Doppelt eingesperrt!

■ „Setzen Sie sich mal anständig hin!“ / Diskriminierung von Schwulen im Knast

Ein ganz gewöhnlicher Freitagvormittag in den Besuchsräumen einer Justizvollzugsanstalt. Scheinbar uninteressiert sitzt ein Uniformierter an einem kleinen Tisch, auf dem sich Besucher-Karteikarten stapeln. Die Stimmung ist wie jedesmal, sie hat einen mäßigen Bahnhofshallen-Charakter. Verteilt im Raum sitzen — fast aufeinander, weil der zweite Besucherraum noch nicht geöffnet wurde — Familien, die ihre Söhne besuchen, Bekannte und Freundinnen, Ehefrauen und daneben ein junger Mann, der wohl seinen Bruder besuchen will.

Nach einer Weile kommt der erwartete Gefangene nun durch die Tür und geht freudestrahlend auf den Jungen zu. Als er aber bei dem Stuhl ist, auf den er sich jetzt setzen müßte, geht der Gefangene noch einen Schritt nach vorn, um seinen Besucher zu umarmen und zu küssen. Auf den Mund!

Plötzlich ist die Welt im Besucherraum nicht mehr so ganz in Ordnung. Wenn Blicke töten könnten, so würden sie dies jetzt tun, nämlich die beiden Schwulen da drüben, die sich anscheinend überhaupt nicht schämen, „sowas“ in der Öffentlichkeit zu tun. Die hängen ja schon wieder aneinander, hast du das gesehen, die geben sich hier auch noch richtige Zungenküsse, denk doch bloß, die ganzen Kinder, wenn die das sehen...!

Ein zweiter Beamter betritt mit forschem Schritt den Raum, bleibt kurz an der Tür stehen, geht dann aber zielstrebig auf den Tisch zu, an dem die Schwulen sitzen. „Setzen Sie sich mal anständig hin!“, sagt der Bedienstete so laut, daß auch andere „normale“ Pärchen kurz aufsehen, weil sie glauben, sie seien gemeint. Das Männerpaar jedoch reagiert fast überhaupt nicht und hält den Besuch genauso weiter wie bisher.

Ein paar Minuten später wird der Beamte, der an dem Tisch mit den Karteikarten sitzt, abgelöst. Dabei fällt dem Neuen in den Listen ein Name auf, den er noch nicht gehört hatte. Nicht nur das Strafvollzugsgesetz sondern auch der Anstand gebietet, einen Gefangenen normal anzureden. Trotzdem sagt der gefragte Beamte: „Das sind die Schwulen da drüben!“. Ob gewollt oder ungewollt, der Satz ist deutlich am anderen Ende des Raumes zu hören.

Solchen und ähnlich diffamierenden Situationen ist ein Gefangener ausgesetzt, der sich selbst in der Subkultur des Knastes noch zu seinem „anders Sein“ bekennt und so zum Zielfeld für Erniedrigungen, nicht nur verbaler Art, wird. Gerade, weil die Toleranz gegenüber den „anderen“ Formen der Liebe, trotz fortschreitender Aufklärung und einem Umdenken in vielen Lebensbereichen, immer noch gering ist, entscheiden sich viele Homosexuelle zu einem Under-cover-Dasein und leben damit doppelt eingesperrt, in ihrem selbstgeschaffenen Ghetto. Der Weg des geringsten Widerstandes wird absichtlich gewählt und in kauf genommen, auch wenn die Gefühle rebellieren. Man könnte ja sonst auffallen, oder hätte möglicherweise mit negativen Reaktionen zu rechnen. Vermeintlich ist das Problem damit gelöst. Aber fängt es dadurch für den Betroffenen nicht erst an?

Werden Schwule nicht geradezu in eine passive Haltung hineingedrängt, durch die Instrumentalisierung von Homosexualität als Vorwurf in politischen Auseinandersetzungen, getragen durch fast alle Bevölkerungsschichten, die Homosexualität als krankhafte sexuelle Abweichung sehen und sie so in die Richtung von „Unzucht“ und Kriminalität bringt. Dies zeigt sich auch immer wieder an Diskussionen um die Krankheit AIDS, bei der Abschaffung des Paragraphen 175 und nicht zuletzt bei der Forderung nach Angleichung in Steuerfragen und der sonstigen Gleichstellung zu heterosexuellen Paaren.

Nach wie vor ist es so, daß Homosexuelle nicht mit Gleichmut hingenommen werden. Vielmehr herrscht die Vorstellung, daß Homosexualität ein Laster oder eine Degenerationserscheinung sei, die ihren Ursprung in einer Persönlichkeitsstörung habe.

Das Bild wird zusätzlich von Schwulengegnern und —hassern geprägt, die ihre eigene latente Homosexualität durch aggressives Verhalten gegenüber Homosexuellen zu unterdrücken und wegzuspielen versuchen. Aus dieser Haltung heraus resultiert, daß ein offenes Gegenübertreten solange nicht möglich ist, bis durch wirkliche Auseinandersetzung und Aufklärung mit diesem Thema eine Basis dafür geschaffen wird.

Schwule sind keine Monster, die geneigt sind, jeden Mann an seinen Hintern zu fassen, mit dem Hintergedanken, ihn zu verführen. Es ist davon auszugehen, daß die Zahl der Männer, die Frauen offen oder versteckt angrapschen, viel höher ist.

Die eigenartige Ablehnung kommt sicher auch daher, daß aus dem wie selbstverständlich übertragenen Sexismus der Heteros, der in Schwule hineinprojeziert wird, natürlich ein Voruteil direkt übernommen wird. So entsteht, weil mann sich ja so als „Opfer“ versteht, plötzlich das Bedürfnis nach Schutz vor „den Schwulen“.

Ablehnung von Schwulen gibt es bei Männern ebenso wie bei Frauen, komischerweise treten Frauen aber Homosexuellen oft sehr viel offener gegenüber, als dies heterosexuelle Männer tun.

Die Bedürfnisse eines Schwulen stellen sich nicht anders dar, als die von Heterosexuellen. Auch ein Schwuler sucht nur „sein“ Glück und seine Zufriedenheit, allerdings mit einem männlichen Partner. Und das ist auch sein selbstverständliches Recht!

Zur Schaffung eines anderen Bewußtseins gegenüber Homosexualität in Haft schlage ich Schwulengruppen auch in JVAs vor, fordere ich Anlaufstellen für Schwule und Bisexuelle, um deren Problematik und ihre Stellung im Rahmen von Gleichgesinnten diskutieren zu können.

R. M., JVA Butzbach