: „Honecker als Gastgeschenk“?
■ Rußland: Uneinigkeit in der Frage der Auslieferung Erich Honeckers/ Jelzins Besuch in Bonn ist sein erster Auslandsbesuch nach seiner Wahl zum russischen Präsidenten
„Diesmal wird er nicht wie ein Bär in die Vorzimmer tapsen, der Besuch ist unsererseits ausgezeichnet vorbereitet“, meint hoffnungsvoll eine Sekretärin im Moskauer „Weißen Haus“. Daß Boris Jelzins Besuch als russischer Präsident in Bonn ganz selbstverständlich und „normal“ sei, wird in der gesamten russischen Öffentlichkeit, ja sogar von der 'Prawda‘, weltmännisch betont.
Verkannte Machtverhältnisse
Und doch sind die Zeiten nicht vergessen, in denen er bei westlichen Staatsmännern vergeblich antichambrierte. Es war damals eigentlich nicht die undiplomatisch-hemdsärmelige „Wo stehen die Klaviere“- Attitüde des russischen weißen Riesen, die den Dialog zwischen westlichen Regierungschefs und Jelzin vereitelte, sondern die blinde Gorbimanie der ersteren, wohl auch eine Verkennung der wahren Machtverhältnisse in der Sowjetunion. Denn indem sie den Mann Jelzin ablehnten, schlugen die westlichen Regierungen auch den Bürgern des größten Staates der Erde, Rußlands, ins Gesicht. Die „Hauptbesonderheit“ des heutigen Besuches in Bonn dagegen erblickt die 'Prawda‘ darin, daß „Jelzin erstmals in einer neuen Eigenschaft ins Ausland fährt: als der Mann, der im August sowohl die Demokratie als auch Gorbatschow gerettet hat“.
Daß die Deutschen bis zum August gezögert haben, das souveräne Rußland als Realität wahrzunehmen, könnte sie nun „ihren“ Honecker kosten. „Wenn es nach mir ginge, würde ich ihn gleich im Gepäck mitbringen“ bemerkte Boris Jelzin am Vorabend der Bonn-Visite in einem Interview gegenüber dem Deutschlandfunk. „Honecker als Gastgeschenk, das würde nicht nur Rußlands Autorität in der Welt erhöhen, wir brauchten dafür nicht einmal eine Kopeke zu bezahlen und würden zudem auch noch einen Mitesser der Luxusverpflegungsklasse los“, regt mein Moskauer Zeitungsausträger an. Doch es häufen sich die Ausweichmanöver. „Wann denn und wohin?“ fragt der Kommentator der 'Komsomolskaja Prawda‘ und bemerkt spitz: „Es scheint, als gäbe es, nachdem der Republikpräsident den Unionspräsidenten fast aller Vollmachten auf dem Territorium Rußlands beraubt hat, immer noch eine Einflußsphäre, die ihm verschlossen bleibt — nämlich die Verfügungsgewalt über Honecker.“ Für die „Patenschaft“ über den ehemaligen Gottvater der SED hat Gorbatschow eine ganz starke Schwäche, und offenbar wird sie vorerst nicht an Jelzin übergehen.
Aber auch in der Umgebung Jelzins herrscht in der Auslieferungsfrage keineswegs Einigkeit. In ungewohntem Gleichklang mit Unionspräsident Gorbatschow ließ in den letzten Tagen auch der Vorsitzende des russischen Parlamentes, Ruslan Chasbulatow, verlauten, daß Honecker ein „alter Mann“ sei und eine „menschliche Behandlung“ verdient habe, während Justizminister Nikolaj Fjodorow die Auslieferung des Ex-DDR Staatschefs an die BRD als „Frage von einigen Tagen oder höchstens Wochen“ bezeichnete. Gleichzeitig ließ er verlauten, es handle sich bei Honecker nur um „einen ganz klitzekleinen Läufer im Vergleich zur gesamten ehemaligen KPdSU-Führung, die unweigerlich demnächst in Rußland vor Gericht gestellt wird“. Dieser Logik zufolge ist Gorbatschow wohl schon ein etwas größerer Läufer, schließt daraus die 'Komsomolskaja Prawda‘.
Noch immer sind Jelzin und Gorbatschow ein Tandem — auch in der innersowjetischen Realität. Um so mehr wird sich der russische Präsident bei seinem Bonn-Besuch dem Vergleich stellen und um einen neuen, eigenen Stil bemühen müssen.
Jelzin muß sich in Bonn dem Vergleich mit Gorbatschow stellen
War es doch gerade Gorbatschows und Raissas Luxus-Appeal bei Auslandsbesuchen, der zwar der Weltöffentlichkeit imponierte, aber die darbenden Landsleute zu Hause als „Protzerei“ verdroß. Dem gegen jegliche Verschwendung allergischen Boris Nikolajewitsch dürfte es nicht allzu schwerfallen, dieser Falle auszuweichen. Komplizierter wird schon die Aufgabe für den russischen Präsidenten, den Geltungsbereich für den immer noch gewaltigen — aber schwindenden — Kredit des Vertrauens, den ihm seine Landsleute gewähren, auf das Ausland auszudehnen. „Die müßten doch merken, daß unser Boris Nikolajewitsch mehr kann, als bloß zu schwätzen“, hofft die Milchfrau Tamara.
Viele Moskauer rechnen fest mit einem baldigen Ukas des russischen Präsidenten, der die Wiederherstellung der wolgadeutschen Republik festschreibt. Es ist ein offenes Geheimnis, daß darüber in den letzten Wochen zwischen Bonn und Moskau verhandelt wurde. Jelzin hat im Wolga-Raum mit starkem Widerstand gegen das Projekt zu rechnen, vielleicht ein Grund dafür, daß er den Wolgadeutschen jetzt ein ökologisch belastetes, ehemaliges Raketentestgelände 100 Kilometer südöstlich von Wolgagrad zum Siedeln angeboten hat. Barbara Kerneck, Moskau
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen