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INSPIRATIONEN VON TANGER

■ Auf den Spuren der Beatgeneration

Auf den Spuren der Beatgeneration

VONSABINESCHOLLUNDSABSCHÖNMAYR

Das Taxi quält sich durch die enge, steil ansteigende Gasse im Herzen der Stadt. Der siebzigjährige John Sutcliff empfängt uns, gehüllt in einen weiten arabischen Umhang, am Eingang des Hotels. Alljährlich kommen Vertreter der schreibenden Zunft nach Tanger ins Hotel Muniria. Sie wollen das Zimmer sehen, wo William S. Burroughs schrieb und Exzesse jeder Art lebte.

Hotel Muniria 1957: Jack Kerouac reist nach Tanger, um hier W.S. Burroughs zu treffen. Von Tanger erwartet er sich die Verwirklichung aller Träume der Beatnikkultur: Drogen, Sex, Exotik und Reisen. Doch gleich am Anfang seines Aufenthalts setzt ihn eine Überdosis Opium außer Gefecht, und er verbringt seine Zeit zurückgezogen im Hotel Muniria. Er ist zu angeschlagen, um an den nächtlichen Sauf- und Bordelltouren seiner Freunde Allen Ginsberg und Gregory Corso teilzunehmen. „Aber jetzt, mit der Überdosis Opium, empfand ich wirre, düstere Gedanken über ganz Afrika, über ganz Europa, über die Welt — jetzt wollte ich irgendwie nichts weiter als Cornflakes an einem amerikanischen Küchenfenster im Föhrenwind.“ Statt dessen tippt er das Manuskript von Naked Lunch. Burroughs hatte es in einer endlosen Reihe von leeren Flaschen in seinem Zimmer aufbewahrt. Kerouac sitzt auf der Dachterrasse des Hotels mit Blick auf den Hafen und das weite Meer. Er tippt und ignoriert die Rufe seiner Freunde aus dem Garten. Er träumt von Zen und Asketentum. Als sein Geld aus Amerika ankommt — irgendwie scheinen diese Reisenden immer auf Geld von Verlegern oder Freunden zu warten —, reist er weiter nach Paris.

Hotel Muniria 1991: Immer noch treffen Reisende in Sachen Kultur und Sex ein. Hauptsächlich Homosexuelle aus dem anglo-amerikanischen Raum. Geschäftsmänner und seriöse Lehrer holen sich hier alljährlich ihre Dosis an preiswerter Erotik, wie uns der gutaussehende Barmann zuflüstert. Schon Kerouac schrieb: „Einige seiner älteren Kameraden erzählten mir, sie könnten mir leider keines der jungen Mädchen vom Strand besorgen, gegen ,Christen‘ hätten die was. Aber ob ich vielleicht einen Jungen wolle?“ Das ist eine mögliche Erklärung dafür, daß sich der Sextourismus auf das männliche Geschlecht beschränkt. Oder liegt es auch an diesem Ort, an Tanger? Reisende kennen das Gefühl, wie sich das Klima, der Geruch und die Stimmung eines Ortes auf das eigene Befinden auswirken. Es gibt Orte, die die sexuelle Erregung schlagartig beim Verlassen des Flugzeuges wecken können. Andere wiederum wirken lähmend oder energiefördernd, drückend oder inspirierend.

Das Licht von Tanger scheint anregend auf die künstlerische Inspiration zu wirken. Die Liste der Künstler, die hier schrieben, malten und komponierten, ist lang.

Tanger 1950: Bohème- und Beatliteraten aus Amerika kommen auf der Suche nach käuflichen Jungen und billigen Drogen. Was im Land der unbegrenzten Möglichkeiten unmöglich schien, war in Tanger lebbare Wirklichkeit!

1947 wählte Paul Bowles als erster diese Stadt zu seinem Domizil, auf Empfehlung von Gertrude Stein. Ein Jahr später folgt ihm seine Frau, Jane Bowles, nach. Sie lernt auf dem Markt eine arabische Getreideverkäuferin kennen, wirbt um sie und verwickelt sich mehr und mehr in eine komplizierte Liebesaffäre, die jahrelang ihr Leben bestimmen wird. Cherifa ist anspruchsvoll und launisch. Jane muß Geschenke besorgen, Freundinnen akzeptieren, Arztbesuche bezahlen und schließlich in einen kleinen Laden für die Freundin investieren. 1957 erleidet Jane Bowles einen Schlaganfall und ist von da an mehr und mehr von der Hilfe anderer Menschen abhängig. Sie verliert die Fähigkeit zu schreiben und endet nach einem langen Leidensweg in einer psychiatrischen Klinik in Malaga.

Hotel Muniria 1956: Im Zimmer Nummer 9 beginnt W.S. Burroughs sein Buch Naked Lunch zu schreiben, das später zur Bibel der Drogenjünger folgender Jahrzehnte avancierte. Nicht zuletzt wegen des Verzeichnisses von Drogen und ihrer Wirkungen im Anhang. In Tanger aber ist, was er schrieb, Realität: Liebe und Träume, alles käuflich. Und wer sich darauf einläßt, kommt so schnell nicht wieder fort. Anfangs haßt Burroughs, El Hombre Invisible, wie er von den Leuten aufgrund seiner distinguierten englischen Erscheinung genannt wird, die Stadt und die arabische Kultur. Er hat kaum Kontakte zu anderen Schriftstellern und ist auf die Gesellschaft von Schuhputzern angewiesen. Bald aber zeigen die Experimente mit Drogen ihre Wirkung. Er kann und will Tanger nicht mehr verlassen, zu groß ist die Sucht und die Angst, anderswo auf dem trockenen zu liegen. Er bleibt und schreibt, verliebt sich, und die Stadt wird zu seiner Traumstadt.

Hotel Muniria 1991: John Sutcliffe, der jetzige Besitzer des Hotel Muniria, ist eine typisch tangerine Figur. Exzentrisch, kreativ und heimatlos.

Jahrelang stand er im Dienst der Königin, war Offizier in Indien und Kriegsgefangener in Japan. Die Fotos der jungen Queen und des schmucken John als Offizier hängen in der ansonsten orientalisch eingerichteten Hotelbar. Nach einem Herzinfarkt — er arbeitete als Pressesprecher in der Lokalpolitik — folgte er seinem „heliophilen“ Neffen, wie er es ausdrückt, nach Tanger. Heute sagt er: „Hier lebt man gut, mit englischem Fernsehen und Essen direkt aus Gibraltar.“ Besonders stolz ist er darauf, jederzeit seine „cup of tea“ von einem Dienstboten serviert zu bekommen, während seine Schwester in London für eine ähnliche Dienstleistung viele Pfund ausgeben muß. In Tanger wurde auch der Soldat Sutcliffe zum Schriftsteller und verfaßte innerhalb von ein paar Wochen seinen Roman The Unknown Pilgrim. Eine fast kindlich einfach geschriebene Geschichte des namenlosen Pilgers, der barfuß, in einen arabischen Umhang gehüllt, von der Wüste nach Nordirland wandert, um auf den tragischen Bürgerkrieg dort aufmerksam zu machen. Unterwegs vollbringt er eine Reihe von Wundern — heilt Kranke, besänftigt einen wilden Stier, macht Frauen plötzlich wieder fruchtbar. Die Medien spielen bei der Verbreitung der Wundertaten eine große Rolle. Zur Botschaft seines Romans meint John Sutcliffe: „Ich wollte, daß die Menschen über Gott nachdenken.“ Er selbst besucht regelmäßig die nahe spanische Kirche und liebt lateinische Messen. Eine englische Fernsehgesellschaft wird die Geschichte als Serie verfilmen, jede Woche ein Wunder. Hotelgäste können das Buch mit grünem Umschlag, der Farbe des Propheten, an der Hotelbar erstehen. Ein handgeschriebenes Schild neben den Spirituosen verspricht die persönliche Widmung des Autors.

Tanger 1991: Eine normale Hafenstadt mit Tausenden von Möchtegern-Führern, die sich wie streunende Hunde an jeden Fremden kleben. Eine Durchreisestadt, in der sich die Neuankömmlinge mit mehr oder weniger schlechtem Kif versorgen und vielleicht hängenbleiben. Die europa- und amerikamüden Literaten sind längst abgereist. Nur Paul Bowles ist geblieben. Der 81jährige lebt jetzt schon seit 60 Jahren in Tanger, zurückgezogen auf einem Hügel. In letzter Zeit, seit der Verfilmung seines Werkes Himmel über der Wüste, scheuchten ihn Journalisten auf und wollten Interviews. Er meinte zu einer marokkanischen Journalistin, daß er Interviews genauso wenig liebe wie Steuern.

Paul Bowles hat sich darauf verlegt, die Geschichten von arabischen Geschichtenerzählern aufzuschreiben. Wenn der Marokkaner Mohammed Mrabet in der Nacht anfängt zu erzählen, hat Bowles sein Aufnahmegerät eingeschaltet. Er übernimmt auch die Übersetzungsarbeit. Auf diese Weise haben Bowles/ Mrabet schon zehn Bücher herausgegeben. Mrabet ist Analphabet und steht ganz in der Tradition arabischer Kultur, die von mündlicher Wiedergabe lebt. So kommt arabische Literatur in den Norden. Ben Jelloun Tahar allerdings schimpfte Bowles deswegen einen Neokolonisten.

Und dann sitzt da noch der alte John Sutcliffe jeden Abend in seiner Hotelbar. Er lebt ganz gut von den Kulturtouristen, die einen Hauch von Naked Lunch erheischen wollen.

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