: EINE SANFTE BILANZ
■ "Allgäuer Gespräche" über Naturschutz und Tourismus
„Allgäuer Gespräche“
über Naturschutz und Tourismus
VONCHRISTELBURGHOFF Das wichtigste Diskussionsforum der Umweltverbände und Jugendreiseorganisationen zum Sanften Tourismus, die „Allgäuer Gespräche“, ging jetzt in die sechste Runde. Angefangen hatte es mit dem „Bierenwanger Aufruf“ für einen ökologisch und sozial verantwortungsbewußten Tourismus. Der immer größer werdende Kreis aus Jugendverbänden und tourismuskritischen Gruppierungen traf sich dann jährlich einmal zu Themenschwerpunkten wie Ski- Tourismus, neue Sportarten und Landschaftserhaltung. Im letzten Jahr ging es hauptsächlich um den vom Deutschen Naturschutzring und der Naturfreundejugend gemeinsam konzipierten „Reiseengel“.
Nun wurde eine Art Bilanz gezogen: Zahlreiche Vertreter „sanfter“ Projekte trafen sich zum gemeinsamen Erfahrungsaustausch. Ob im Bereich der interkulturellen Begegnung oder im Seminarbetrieb mit ausgesuchten Umweltthemen, ob beim Wandern, Radeln oder bei jeder anderen Sportart mit sanftem Hintergrund — auf quasi allen touristischen Feldern sind mittlerweile „sanfte“ Angebote entwickelt worden. Für Jugendliche, die Anschauungsunterricht über die touristischen Umweltschäden vor Ort nehmen und sich praktisch an Reparaturarbeiten beteiligen wollen, hat die Alpenvereinsjugend sogar Umweltbaustellen eingerichtet. Selbst das ehrgeizigste Projekt, der „Reiseengel“ für „umweltfreundliche“ Fremdenverkehrsgemeinden, Beherbungsbetriebe und Reiseveranstalter, sieht einer erfolgversprechenden Zukunft entgegen. Es nennt sich jetzt „Grüner Koffer“.
Die Umweltkommission der Fremdenverkehrsverbände hat sich nach langem Zögern für eine Übernahme der Prüfkriterien dieses Gütesiegels ausgesprochen; wenn noch, wie die Initiatoren hoffen, der Verband der Gaststättenbetriebe mitzieht, werden sich künftig gleich ganze Gemeinden und Hotelketten als „sanft“ bezeichnen können. Dem Augenschein nach ist es nur noch eine Frage des Zeitpunkts, bis der ganz harte Tourismus „sanft“ ist.
Sanfte Touristiker aus den neuen Bundesländern kriegen oft glänzende Augen bei diesem Erfolgskurs. Mit nichts anderem als Problemen und einer unsicheren Zukunft belastet, hätten sie doch gern einen Sanften Tourismus wie den im Westen vorgeführten. „Fast muß man die schönen Vorstellungen der Leute aus den neuen Bundesländern bremsen, diese Art Tourismus installieren zu können und damit wirtschaftlich erfolgreich zu sein“, meint Heinz- Rudolf Hönings von der Tagungsleitung,
In der Tat agiert das Gros der Projektemacher im wirtschaftlichen Schutz ihrer Sponsoren, der großen Naturschutzorganisationen, der Verbände und Kirchen beziehungsweise mit Hilfe öffentlicher Zuschüsse. Der sanft-touristische Angebotsboom täuscht auf diese Weise gewaltig über die touristischen Realitäten der „weißen Industrie“ hinweg, bei der nach wie vor „normale“ Härte auf der Tagesordnung steht. Sanft-touristische Projekte bewegen sich vor allem im Jugendreisesektor. Hier haben die radikalen Forderungen von Tourismuskritikern eine Menge Impulse freigesetzt und als Innovationsschub im Verbandstourismus gewirkt. Der Sanfte Tourismus hat im Jugendbildungs- und -reisebereich sein pädagogisches Ziel und auch seine Legitimation gefunden. Wie Michael Friedel vom Deutschen Alpenverein auf der Umweltbaustelle am Herzogstand ausführt, will man sich „hochmotivierte Anwälte für die intakte Natur“ heranbilden; die Reparaturarbeiten, die die Jugendlichen am Berg leisten, „sollen ihnen das Gefühl der Ohnmacht nehmen“.
In die „kleinen Schritte“, wie die sanften Touristiker ihre Arbeit gern bezeichnen, wird enorm viel Energie investiert. Wie hart die touristischen Bedingungen trotz aller Sanftheiten geblieben sind, wird in den neuen Bundesländern überdeutlich. Auf geradezu klassische Weise treten hier die alten Konfliktlinien neu zutage. Alf Korzetz vom Müritz-Nationalpark weiß detailliert zu berichten, wie am geltenden Nationalpark-Statut vorbei touristische Erschließung betrieben wird. Mit den alten Argumenten der Arbeitsplatzbeschaffung und den massentouristischen Konzepten von vorgestern läuft der neue Nationalpark Gefahr, zu einem Disney-Verschnitt eines Naturgartens herausgeputzt zu werden. Statt öffentliche Fördermittel gezielt zur Stärkung der regionalen Wirtschaftsstruktur zu verwenden, betreibt beispielsweise die Gemeinde Roggentien damit die Versiegelung landwirtschaftlicher Nutz- und Wanderwege. Die Verdichtung des Straßennetzes als Grundinvestition für den kommenden Auto-Tourismus: Wo — wie im Müritz-Nationalpark — Großvogelpopulationen mit ihrem Seltenheitswert locken, versuchen nicht allein Fremdinvestoren ihr Schnäppchen zu machen, da wittern vor allem Ortsansässige das schnelle Geld. Alf Korzetz umschreibt dieses Phänomen vorsichtig als eine „mangelnde Akzeptanz der Nationalparkidee“, die im Osten doch weit weniger ausgebildet sei als in den alten Bundesländern. Der Müritz-Nationalpark trägt schwer an der DDR- Altlast, das private Stophsche Jagdrevier gewesen zu sein. Aus diesem „Erbe“ flugs eine Goldgrube zu machen ist der Dreh- und Angelpunkt der populären touristischen Erschließungsideen, gegen die er zu kämpfen hat. Bislang steht der Nationalparkverwalter ziemlich allein im Regen. Die sanften Touristiker aus dem Westen werden ihm kaum helfen können. Zum einen beißt sich jeder sanfte Projektemacher an solchen Problemen die Zähne aus; zum anderen sind sanfte Projekte keine Alternative. Ein Nationalpark ist im Kern so konzipiert, daß er schlichtweg keines von beidem verträgt: weder harten Tourismus noch sanfte „Jeins“.
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