Kasperles Wiedergeburt

■ Birtwistles »Punch and Judy« im Hebbel-Theater

Eines von Harrison Birtwistles Musikstücken heißt Secret Theatre. Darin werden musikalische Formen in ein Ritual übertragen, das ein »verstecktes Drama« bildet — eben ein geheimes Theater. Das dürfte wohl der passende Begriff für Birstwistles Musiktheater überhaupt sein. So hat es in seinen letzten beiden großen Opern The Mask of Orpheus (1986) und Gawain (1991) erlebt — zu Klangritualen verarbeitete mystische Stoffe, kompliziert und in höchstem Maße anstrengend.

Des Komponisten Vorliebe für Rätsel und Mysterien tritt ebenfalls in der 1968 uraufgeführten Oper Punch and Judy hervor, die nun als Koproduktion mit dem Wiener Konzerthaus im Hebbel-Theater gezeigt wurde, inszeniert vom Komponisten. Rätsel gibt einem allerdings nicht nur das Bühnengeschehen auf, sondern gleichermaßen der kryptisch zu nennende Kommentar im Programmheft. Als Handlung wird dort nämlich Tod und Wiedergeburt von Punch (einem Kasperle) im Rhythmus der Jahrezeiten angekündigt. Birtwistles begreife Kasperle als eine Art Fruchtbarkeitsfigur. Dessen Tod und Wiedergeburt solle man als zyklische Wiederkehr auffassen. Und sprechend kehren auch in der Oper die Musiknummern ständig wieder, die mit Melodrama, Passion Choral und Suche nach Pretty Polly überschrieben sind.

Präsentiert wurde eine Burlesk- Show. Kasperles recht abscheuliche Einfälle dürfen dabei wohl als schwarzer Humor bezeichnet werden. Und der ging so: Punch fährt ein Baby im Kinderwagen spazieren. Kurz darauf hält er es unter ein brennendes Feuerzeug. Judy tritt auf und findet das tote Baby. Punch ersticht nun Judy mit dem Messer und erhängt sie obendrein. Danach beginnt die Suche nach Pretty Polly, die ihm als schrille Fata Morgana ein paarmal erscheint und die er — Ende gut, alles gut? — nach etwa anderthalb Stunden gefunden hat. Zwischendurch reitet er auf seinem Steckenpferd Horsy, ohne recht voranzukommen. Durch das Alptraumszenario begleiten ihn ein Advokat und ein Doktor, die beide ebenfalls daran glauben müssen. Den einen tötet Punch durch eine Injektion, und dem anderen sticht er einen Federkiel ins Gehirn. Das Geschehen kommentiert von hoher Warte Choregos als Spielführer. Punch findet schließlich seine Polly. Der mittlerweile gehängte Choregos erklärt, was als Tragödie angesagt war, sei in Wirklichkeit eine Komödie. Gelacht hat trotzdem niemand.

Es heißt, Birtwistle lebe für gewöhnlich zurückgezogen auf dem Lande, wo es so ruhig sei, daß man die Wolle der Schafe wachsen höre. Sein Orchestersatz steht zu solcherart Sensibilisierung jedenfalls im krassen Gegensatz. Immerhin, was die Handlung an Verständlichkeit vorenthält, gibt die Partitur an Durchsichtigkeit. Und das heißt im Fall von Punch and Judy schematisierte Heftigkeit. Die Idee der zyklischen Wiederkehr erklingt als stets neu variierter Wechsel von elegischem Tonfall und bruitistischen Ausbrüchen. Das solistisch geführte und stark rhythmisch agierende Kammerorchester wurde instrumental angereichert durch Trillerpfeife, Rassel, Schlagrohr und Tamburin. Dabei entspricht der szenischen Groteske der musikalisch auskomponierte Dauerstreß. Unbeteiligt läßt das eine wie das andere nicht.

Bewundernswert die an Intensität nicht nachlassende vokale und darstellerische Leistung der aus England stammenden Gesangssolisten. Musikalisch begleitet wurden sie vom Aquarius Ensemble unter Nicolas Cleobury. Nora Eckert