: Jäger des Bernsteinschatzes
Weimar (dpa/taz) — Der Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. hatte es 1716 dem russischen Zaren Peter I. geschenkt. Im Zweiten Weltkrieg raubten deutschen Truppen das Kunstwerk aus dem Zarenpalast in St. Petersburg und brachten es ins Königsberger Schloß. Dort verlor sich 1945 die Spur. Inzwischen gibt es weit mehr als 100 Theorien über das Schicksal des Bernsteinzimmers. Eine neue hat Boris Jelzin bei seinem Besuch in Deutschland hinzugefügt — die Jagd nach dem verlorenen Schatz geht weiter.
Während der russische Präsident Boris Jelzin in Stuttgart erneut erklärte, den Aufenthaltsort zu kennen, ihn aber nicht preisgeben zu wollen, berichtete der thüringische Wissenschafts- und Kunstminister Ulrich Fickel (FDP) über Hinweise, daß die auf rund 250 Millionen Mark geschätzten Bernsteinarbeiten in Weimar vergraben sein könnten. Die Moskauer Zeitung 'Rabotschaja Tribuna‘ blieb dagegen in ihrer am Sonnabend fortgesetzten Artikelserie dabei, daß das Bernsteinzimmer zusammen mit anderen Kunstschätzen im Jonastal bei Erfurt unter einem sowjetischen Truppenübungsplatz vergraben sei.
Der 'Bild‘-Zeitung zufolge sollen in der nächsten Woche sowjetische Spezialisten in Thüringen eintreffen — auch Sprengstoffexperten. Es gibt Vermutungen, daß das Bernsteinzimmer, wenn es denn tatsächlich noch existieren sollte, in mit Sprengstoffladungen gesicherten Stahlkisten lagern könnte. Wie die 'Rabotschaja Tribuna‘ wissen will, soll nach der Entdeckung des Bernsteinzimmers Anfang September der Nachrichtendienst des sowjetischen Generalstabes einen Bericht für den sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow und den russischen Präsidenten Jelzin verfaßt haben. Dieser Bericht sei aber wahrscheinlich vom Staatssicherheitsdienst KGB abgefangen worden, der ihn offenbar in der Absicht habe verwahren wollen, ihn zu einem ihm genehmen Zeitpunkt zu benutzen, schrieb das Blatt. Der Autor der Serie, Alexander Nadscharow, behauptete, die Zeitung habe bisher nicht ihr gesamtes Wissen preisgegeben, weil es eine „bestimmte Instruktion“ gebe, die noch aufgehoben werden müsse.
In Stuttgart antwortete Jelzin am Samstag vormittag auf einer Pressekonferenz auf die Frage, ob er den Ort präzisieren oder bestätigen wolle, daß das Bernsteinzimmer auf deutschem Boden sei: „Nein, aber ich weiß, wo es ist.“ Jelzin hatte dasselbe am Vortag in Bonn erstmals öffentlich mitgeteilt. Der thüringische Minister Fickel (FDP) sagte am Samstag auf 'dpa‘-Anfrage, sein Ministerium habe Anfang dieser Woche vom Weimarer Magistrat Material von einem Bürger bekommen, das angeblich den Verbleib des Bernsteinzimmers in der Klassikerstadt nachweisen könne. Daraufhin sei eine interministerielle Arbeitsgruppe unter seiner Leitung gebildet worden, die den Bürger nach stichhaltigen Belegen befragen solle.
Nach Meinung des Ministers handelt es sich bei den Materialien um „keine neuen Erkenntnisse“. Das meiste habe er bereits in der Zeitung gelesen, so die Vermutung, daß das Bernsteinzimmer gut versteckt in den weiträumigen Keller- und Bunkeranlagen des dortigen Gauzentrums unter der Weimarer Innenstadt liege. Seit Jahren ist bekannt, daß sowohl die Amerikaner als auch die Sowjets und die DDR-Staatssicherheit in Weimar an den möglichen Fundstellen gegraben und nichts gefunden haben. Gegen eine „wilde Drauflosbuddelei“ sprach sich der Staatssekretär im Wissenschaftsministerium, Werner Brans, aus. Es mache keinen Sinn, Leute mit Sonden durch das Gelände zu schicken. Wenn die Untersuchungen der Arbeitsgruppe ein hohes Maß an Plausibilität ergeben, dann könnte gesucht werden. Er glaube auch nicht, daß die Sowjetunion vier Jahrzehnte auf dem Schatz im Jonastal bei Arnstadt gesessen und ihn dann nicht geborgen hätte. Das alles ergebe keine Sinn.
Das Wissen des Präsidenten Jelzin um das Bernsteinzimmer beruht nach Einschätzung von Baron Eduard von Falz-Fein auf Vermutungen. Der in Vaduz (Liechtenstein) lebende gebürtige Russe gilt seit Jahren als „graue Eminenz“ unter den Jägern nach dem Bernsteinschatz. Falz-Fein, der in den vergangenen Jahren schon mehrfach russische Kunstgegenstände aufkaufte und sie wieder den Museen seines Heimatlandes zur Verfügung stellte, berichtete, er habe am Samstag in Stuttgart ein längeres Gespräch mit Jelzin am Rande einer Porzellanausstellung aus dem Nachlaß des Zaren Alexander II. gehabt. „Boris Jelzin kann einem großen Irrtum aufgesessen sein. Bei Aufräumungsarbeiten in einem lange unbeachteten Bunker bei Potsdam fanden russische Soldaten elf große Kisten. Daraufhin hat der Oberkommandierende der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte dem russischen Präsidenten gemeldet, er habe das Bernsteinzimmer entdeckt, ohne die Kisten geöffnet zu haben. Jelzin sagte mir, daß er sich bei seinem Aufenthalt im Hauptquartier am Samstag abend endgültige Klarheit verschaffen wollte“, sagte Falz-Fein. Falz-Fein hat die Suche nach dem Bernsteinzimmer mehrfach als sein „Lebenswerk“ bezeichnet. Er hatte sie nach ungezählten Versuchen bereits aufgegeben. Inzwischen habe er neue Hoffnungen, in Weimar doch noch fündig werden zu können. Informationen über seine neuen Erkenntnisse habe er bereits der sowjetischen Botschaft in Bonn zugeleitet.
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