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Kodderschnauze mit so viel Mitgefühl

Am Beginn einer neuen, gesamtdeutschen Karriere starb letzte Woche der Fernsehliebling der DDR, Helga Hahnemann  ■ Von Peter Ensikat

Erich Kästner hat einmal geschrieben, Berühmtheit bestünde einfach darin, von lauter Leuten gekannt zu werden, die man selber gar nicht kennt. Helga Hahnemann war im Osten so eine Berühmtheit. Ihre Stimme, ihr Gesicht kannte auch, wer sich nichts aus dem machte, was sie sang und spielte — immer sich selbst, die fröhlich-sentimentale Ulknudel, die Kodderschnauze, hinter der sich so viel Mitgefühl offenbarte. Die Berufsberlinerin wurde auch da geliebt, wo die Hauptstadt so ganz und gar nicht geliebt wurde — in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern.

Angefangen hatte die gelernte Schauspielerin beim Leipziger Kabarett „Pfeffermühle“. Ich hab' sie — selbst noch Schauspielstudent in Leipzig — auf der Brettlbühne gesehen. Sie war eine ausgezeichnete Kabarettistin. Daß sie dann das Kabarett verließ, um sich in die Niederungen der Varieté- und Unterhaltungsbühnen zu begeben, konnte ich seinerzeit gar nicht begreifen.

Ich war als Student der höheren Schauspielwissenschaften so dämlich arrogant, wie man es eben ist, wenn man noch sehr jung oder schon alter deutscher Feuilletonist ist und — von des Gedankens reinen Modefarben angekränkelt — im alldeutschen Tiefsinn trockenschwimmt. Die Hahnemann jedenfalls war für mich erst mal gestorben, bis uns der klügste aller Dramaturgen — der Doktor Zufall — einmal zusammen auf die Bühne brachte.

Im Dresdner Kulturpalast war's, im großen Saal. Die Hahnemann sang und tanzte eine Opernparodie, und außer dem Publikum im Saal lachten auch wir Kollegen hinter der Bühne jeden Abend wieder, und keiner von uns hatte das Gefühl, sich für das, worüber er da immer wieder lachte, wenigstens danach ein wenig schämen zu müssen. Wer die allgemeine deutsche Fernsehunterhaltung kennt, der weiß, wofür man sich so alles schämen kann.

Die Hahnemann konnte etwas, was in Deutschland wohl nur deshalb so verpönt ist, weil es kaum einer wirklich beherrscht — umwerfend komisch sein und das nicht auf Kosten fremder Glatzen oder Schwiegermütter. Humor, bei dem weder Gedanke noch Gesinnung auf der Strecke blieben.

Am liebsten machte sie sich über sich selbst lustig. Und da sie ein sehr lebendiger Mensch war, war sie eben so komisch, wie wir fast alle sind, nur daß die wenigsten von uns in der Lage oder willens sind, das öffentlich vorzuführen.

Für die, die sie nicht kannten — und das dürfte jetzt in Deutschland einig Bundesrepublik eine Mehrheit sein — nur so viel: Sie war so was wie eine vielseitige Claire Waldoff. Daß solche Kunst nicht minderwertig ist, gibt die deutsche Kunstwissenschaft immer erst zu, wenn die Erkenntnis gesichert, daß heißt, wenn der Künstler tot ist. Wie lange wird es in Deutschland wohl brauchen, bis sich die Erkenntnis durchsetzt, daß das Gegenteil von Unterhaltungskunst nicht die ernste Kunst ist, sondern die langweilige? Die Kunst der Hahnemann war nie langweilig, auch wenn sie gewiß nicht jedermanns Geschmack traf. Ich sollte und wollte für sie immer mal eine Clownsszene schreiben. Sie hatte mich darum gebeten, ich hatte es ihr versprochen und hab's nicht zustande gebracht. Ihre Art, mit dem Publikum zu reden, war eben nicht meine. Ich kann nicht so laut, wie sie es eben konnte.

Jetzt — zwei Jahre nach dem Fall der Mauer — stand sie am Beginn einer neuen, gesamtdeutschen Karriere. Vielleicht hätte sie auch den Bayern, den Rheinländern und den Ostfriesen zeigen können, daß Humor in Deutschland nicht unbedingt peinlich sein muß.

Sie starb am vergangenen Donnerstag in einem Alter, in dem jetzt im Osten Hunderttausende noch mal ganz von vorne anfangen müssen. Sie wurde 54 Jahre alt.

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