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Die Erben des Chico Mendes

■ Der Bundesstaat Acre ist der Wilde Westen Brasiliens. Hier wurde Chico Mendes ermordet, hier kämpfen Gummizapfer, die vom Erhalt des Regenwaldes leben, um ihre Existenz. Die Regierung richtet den...

Die wirklichen Ökologen sind wir, die wir ins Land investieren und es fruchtbar machen, die wir Lebensmittel und Reichtum für unser Land hervorbringen.“ Zufrieden über so viel Patriotismus und Umweltbewußtsein lehnt sich Assuero Doca Veronez in seinem breiten Bürosessel zurück und zieht die Brauen zusammen. Die Regierung nehme keine Rücksicht mehr auf die Interessen der Viehzüchter. „Wenn wir nicht gehört werden“, droht er, „dann werden wir die Demarkation des Sammlerreservats verhindern“, und beeilt sich hinzuzufügen: „mit rein juridischen Mitteln natürlich.“

Der Mord an Chico Mendes, dem Gewerkschaftsführer und Umweltverteidiger, sei ein persönlicher Racheakt eines Außenseiters gewesen. Auch mit anderen Gewalttaten gegen die Seringueiros, die Kautschukzapfer des Amazonaswaldes, habe seine Vereinigung nichts zu tun.

Assuero Doca gehört zu jenen Jungunternehmern aus Sao Paulo, die in den siebziger Jahren dem Ruf des brasilianischen Militärregimes folgten und im 3.000Kilometer entfernten Amazonasurwald zu Schleuderpreisen Land kauften. Land, auf dem Tausende Seringueiros, Indios und Kleinbauern mit gewohnheitsrechtlichen Besitzansprüchen lebten. Allein im Bundesstaat Acre, größer als die Ex-DDR, wurden damals nicht weniger als fünf Millionen Hektar Urwald verkauft und zur Erschließung freigegeben. Dom Assuero nennt heute die vergleichsweise bescheidene 3000-Hektar-Fazenda Buruti sein eigen, wo zweitausend Rinder grasen.

Konflikte zwischen Viehzüchtern und Kautschuksammlern, die ihren Lebensraum verteidigten, waren vorprogrammiert und endeten mit dem gewaltsamen Tod zahlreicher Seringueiros. Chico Mendes war nur der berühmteste von ihnen. Das nach ihm benannte Sammlerreservat, das noch von der letzten Regierung auf dem Papier geschaffen wurde, soll jetzt die Seringueiros vor dem Aussterben schützen.

Latex, Para-Nüsse und Bohnen hinter der Hütte

Das Wildweststädtchen Xapuri hatte noch nie so viel Prominenz auf einmal gesehen: die Vertreter der Interamerikanischen Entwicklungsbank und des United Nations Development Program (UNDP) waren im Hubschrauber eingeflogen, Eduardo Martins, Brasiliens stellvertretender Minister für Umwelt war da, begleitet von den Leitern nachgeordneter Behörden. Nur der Gouverneur des Bundesstaates Acre ließ sich entschuldigen und schickte seinen Umweltsprecher.

Alle standen sie auf dem Podest neben Chico Mendes' Nachfolger Julio Barbosa und der Witwe Ilzamar Mendes. Über fünfzig Seringueiros waren aus den umliegenden Wäldern herbeigeströmt, um die feierliche Enthüllung einer Gedenkplakette für Chico Mendes mitzuerleben und die hohen Funktionäre mit ihren Problemen zu konfrontieren. Mit Spruchbändern in makellosem Portugiesisch nahmen sie im Nieselregen Aufstellung und vernahmen mit Erstaunen, wie plötzlich auch Bürgermeister Juarez Ribeiro, Sproß einer reichen Händlerfamilie, der die Seringueiros immer ausgebeutet hatte, plötzlich sein Herz für die Gummisammler entdeckte, rhetorisch zumindest. Chico Mendes und seine Gewerkschaft, so schien es, haben nie Feinde gehabt.

Chico Mendes wurde international bekannt, weil es ihm gelungen war, den gewerkschaftlichen Kampf mit den ökologischen Anliegen des Regenwaldes zu verbinden. Der Seringueiro nutzt die Ressourcen des Urwaldes, ohne ihn zu zerstören. Er zapft den flüssigen Latex aus den Gummibäumen, sammelt Para- Nüsse, und baut hinter seinem Haus Maniok und Bohnen für die Selbstversorgung an. Bäume fällt er nur für den Hausbau. Die Erhaltung der Seringueiro-Kultur garantiert also, ebenso wie die der Indios, die Erhaltung des Urwaldes.

In den Jahren der zunehmenden Diskussion um den Amazonasurwald wurde Chico Mendes bald von einem internationalen Ökologiekongreß zum nächsten weitergereicht und wurde schließlich zum Symbol für den Kampf um den Tropenwald. Chico Mendes eroberte die Welt für seine Sache, ohne dabei seine Wurzeln zu verlieren. Bis zuletzt wohnte er in einem bescheidenen Holzhaus in Xapuri und ging immer, wenn es seine Zeit erlaubte, in den Seringal hinaus zur gewohnten Arbeit. Er besaß weder Auto noch Telefon. Und seinem Einsatz ist es zu verdanken, daß die Abholzung im Staat Acre stark gebremst werden konnte. Damit zog er sich die unerbittliche Feindschaft der lokalen Fazendeiros zu, besonders die des Viehzüchters Darli Alves, der das Gebiet Cachoeira gekauft hatte, wo Chico Mendes selbst arbeitete.

Die Geschichte der letzten Monate des Gewerkschaftsführers liest sich wie die Chronik eines angekündigten Todes. Zuletzt entschloß sich sogar der lokale Kommandant der Militärpolizei, vier bewaffnete Männer für seinen Schutz abzustellen. Doch die Leibwächter liefen davon, als Chico Mendes schließlich am 22.Dezember 1988 am Hinterausgang seines Hauses ermordet wurde. Die Täter — Mitglieder des Alves- Clans — hatten sich, kaum fünf Schritte vom Haus entfernt, im Schutz der Nacht hinter dem Bad verschanzt. An den Wänden sieht man heute noch Einschußlöcher und den Abdruck der blutverschmierten Hände, wo Chico Mendes tot zusammenbrach.

„Was dann auf uns zukam, war ganz schwierig“, erzählt Dionisio Barbosa, der heutige Gewerkschaftssekretär: „Wir waren plötzlich ohne Anführer und mußten die Strukturen dezentralisieren. Noch heute herrscht unter den Seringueiros Mißtrauen gegenüber den neuen Anführern; die Witwe Ilzamar soll Spendengelder für ihr neues Haus abgezweigt haben. Der Fonds der Chico-Mendes-Stiftung (rund 20.000 Dollar) wird von der Justiz verwaltet. Die Gewerkschaftsführer wollen von der Stiftung nichts hören.

Das ehemalige Wohnhaus des Ermordeten, wo seine internationalen Auszeichnungen, ein blutiges, von Einschüssen zerfetztes Handtuch und persönliche Gegenstände wie Reliquien aufbewahrt werden, ist verwahrlost. Vor drei Monaten wurde sogar der Strom abgestellt. „Doch ihren eigentlichen Zweck — nämlich die Gewerkschaft zu zerschlagen — erreichten die Fazendeiros nicht“, verkündet Dionisio Barbosa. Im Gegenteil: der Aufruhr, den der heimtückische Mord in aller Welt hervorrief, zwang auch die lokalen Behörden zum Handeln. Während vorher ungezählte Morde an Landarbeitern ungesühnt geblieben waren, wurden Darli und dessen Sohn Darcy Alves bald gefaßt, vor Gericht gestellt und letztes Jahr sogar zu je 19 Jahren Haft verurteilt.

Als weitere Konsequenz des Aufruhrs schuf die brasilianische Regierung — damals noch, unmittelbar vor der Amtsübergabe an Fernando Collor, unter Staatspräsident Jose Sarney — per Dekret das Sammlerreservat Chico Mendes, ein Urwaldgebiet etwas kleiner als die Fläche Thüringens, wo über 3.000 Seringueiro-Familien leben.

Brahman-Rinder neben verkohlten Baumstümpfen

Entlang der 180 Kilometer langen Straße, die Rio Branco, die Hauptstadt des Bundesstaates Acre, mit Xapuri verbindet, ist schon alles abgeholzt. „Wirkliche Ökologen“ wie Assuero Doca haben dort den Tropenwald niedergebrannt, um Rinderfarmen oder Zuckerplantagen für das vom Staat heftig subventionierte Alkohol-Treibstoff-Programm anzulegen. An manchen Stellen steigt aus den verkohlten Baumstämmen noch der Rauch auf. Unmittelbar daneben grasen bereits die tropenfesten, buckeligen Brahman-Rinder.

Etwa hundert Groß- und Mittelbesitzer erheben noch Anspruch auf Gebiete innerhalb des Seringueiro- Reservats, um den Wald zu Weideland zu machen. Die müssen formal enteignet und entschädigt werden. Eine weitere Voraussetzung für die grundbuchliche Verankerung des Schutzgebietes ist außerdem die Vermessung und Demarkation der Zone. Die Demarkation begann mit der feierlichen Einweihung am 8. September und muß bis Jahresende abgeschlossen sein. Das Umweltinstitut IBAMA hat jetzt nach langem Zögern für etwa 80 Millionen Dollar die Mitarbeit der Streitkräfte für diese Aufgabe gewinnen können.

Ein Stück Tropenwald mag damit vorerst gerettet sein. Doch der Überlebenskampf der Seringueiros ist mit der Schaffung von Reservaten nicht gewonnen. Billiges Latex aus Malaysia und von künstlich angelegten Plantagen in Südbrasilien haben den Preis für den Rohstoff, die „borracha“, gedrückt. Ein Seringueiro, der durchschnittlich 43 Kilogramm borracha im Monat auf den Markt bringt, verdient heute gerade die Hälfte des im August vom Parlament beschlossenen Mindestlohnes (damals etwa 170 DM).

Die latexhältigen Gummibäume stehen weit verstreut im Regenwald, durchschnittlich drei Bäume auf zwei Hektar. Jede Familie bearbeitet daher ein immenses Gebiet von 150 bis 200 Hektar Wald. Viele Seringueiros arbeiten mehrere Stunden Fußmarsch oder gar mehrere Tagereisen im Einbaum vom nächstgelegenen Umschlagplatz entfernt. Von den rund 1.250 Seringueiros im Gebiet der Gemeinde Xapuri ist nur jeder fünfte Mitglied der Genossenschaft. Und von geschätzten 50.000 Kautschukzapfern im ganzen Bundesstaat sind kaum tausend in der Gewerkschaft organisiert.

Tagereisen im Einbaum bringen den halben Mindestlohn

Noch vor zehn Jahren ging es den Seringueiros nicht schlecht. Für ein Kilo Latex bekam man drei Dosen Öl. Heute muß man in Xapuri für dieselbe Menge Speiseöl den Gegenwert von fünf Kilo Rohstoff zahlen. Und in den Läden im Urwald, wo noch der Tauschhandel herrscht, verlangen die Zwischenhändler sechs bis acht Kilo borracha. Dort, wo die Seringueiros noch den privaten Abnehmern, den „seringalistas“, ausgeliefert sind, werden kaum 60 Prozent des offiziellen Preises bezahlt. Wegen der hohen Transportkosten kann nicht einmal die von den Gewerkschaftern gegründete Genossenschaft den offiziellen Preis von 420 Cruzeiros bezahlen.

„Wir verlangen einen garantierten Abnahmepreis von 976 Cruzeiros, also eine Anhebung um 130 Prozent“, rechnet der Finanzsekretär der Gewerkschaft in einer Versammlung vor. Die jüngste Preiserhöhung ist längst von der Inflation aufgefressen.

Eduardo Martins, der als stellvertretender Umweltminister für diese Fragen zuständig ist, hält die Forderungen der Seringueiros für berechtigt. Es gibt sogar einen Beschluß, den Rohgummipreis immer so zu halten, daß die Seringueiros auf einen Mindestlohn kommen können. Aber in einer von neoliberalen Planern beherrschten Regierung fühlt sich der Ökologe oft wie ein Don Quijote im Kampf gegen die Windmühlen: „Immerhin konnten wir vor drei Monaten durchsetzen, daß die Finanzanreize für die Waldabholzung abgeschafft wurden.“

Doch auch die Viehzüchterlobby von Acre ist nicht untätig. Zwar hat sie nach dem Prozeß gegen die Mendes-Mörder ihre Rhetorik deutlich gemäßigt, doch geht die Vertreibung von Seringueiros und Kleinsiedlern munter weiter. Nicht der staatlichen Kontrolle, sondern der Wirtschaftskrise sei es zu verdanken, daß das Tempo der Abholzung in den letzten drei Jahren abgenommen hat, versichern Amazonas-Experten.

Die Regierung, die sich einen Umweltminister Jose Lutzenberger als ökologisches Feigenblatt hält, steckt in einer tiefen Krise und ist viel zu schwach, um die mächtigen Wirtschaftslobbys auszubremsen. Im Urwald herrschen die Gesetze des Dschungels auf allen Ebenen. In einem vom Viehzüchter und selbsternannten Ökologen Assuero Doca gezeichneten Rundbrief an die Kollegen, der nur unter Mitgliedern seiner Vereinigung zirkuliert, spricht der Fazendeiro eine deutliche Sprache: „Die Viehzucht wurde durch die widerliche und räuberische Arbeit der Ökologen beschnitten und diskriminiert. Es liegt jetzt an uns, jenen, die niemals gelernt haben, was arbeiten und produzieren heißt, eine Antwort zu erteilen.“

Wie Tiere ins große Freilichtmuseum?

Wie diese Antwort aussieht, kann man nur raten. Sicherlich kann man nicht die Viehzüchter für alle Attentate verantwortlich machen — doch die Serie von Aggressionen reißt nicht ab. So wurde am 9. September der Chef des Seringueiro-Rates von Cruzeiro do Sul, im äußersten Westen des Staates Acre, tätlich angegriffen. Eine Woche später wurde der Agraringenieur Gumercindo Rodrigues, der als Schüler von Chico Mendes gilt, angeschossen und schwer verletzt. Angeblich eine Eifersuchtstat. „Basta“ — es reicht — steht in dicken gelben Lettern auf einer schwarzen Fahne vor dem Gewerkschaftslokal.

Doch mittelfristig sind es nicht die Gewaltakte, die die Existenz der Seringueiro-Kultur in Acre bedrohen. Die Seringueiros können nicht wie seltene Tiere in ein großes Freilichtmuseum gesteckt werden. „Wir brauchen Zugang zur Bildung und Gesundheitsversorgung und staatliche Förderung während einer Übergangszeit“: Der Chef der nationalen Seringueiro-Vereinigung, Julio Barbosa, der sich mit seinem sicheren Auftreten und seiner Redegewandtheit deutlich von seinen wortkargen Kollegen abhebt, denkt längst an Alternativen. „Wenn es uns nicht gelingt, neue Produkte zu finden, die im Urwald ohne Umweltzerstörung angebaut oder gewonnen werden können, dann ist der Seringueiro wirklich eine zum Aussterben verurteilte Rasse.“

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