: Der eingebildete Regisseur
Alexander Lang inszenierte Molière am Berliner Schiller-Theater ■ Von Esther Slevogt
Argan trifft auf. Die Robe üppig, das Haar elegant: zu stattlich der Mann, um krank zu sein. Doch dem kann abgeholfen werden. Eine zerzauste Perücke, ein paar gebrechliche Bewegungen, einige unzweideutige Geräusche aus den Eingeweiden. Schon steht auf der Bühne der eingebildete Kranke wie er im Buche steht: Argan leidet und er aalt sich darin. Das Publkum will ihm wohl. Bereitwillig bricht es gleich in den ersten Minuten des Abends mehrmals in lautes Gelächter aus. Noch weiß es nicht, was ihm blüht. Noch hat Walter Schmidinger, der den Argan spielt, die Schatzkammern seiner Kunst nur einen Spalt breit geöffnet. Noch scheint der Auftakt geglückt, der Abend gerettet. Noch hat Alexander Lang nicht mit der Klistierspritze zum Rundumschlag ausgeholt.
Doch aus dem liebenswürdigen Hypochonder, der seine Wehwehchen, all die kleinen Püpse und Rülpser, anfangs wie wunderbare Kostbarkeiten zur Schau stellt, wird bald ein monströser Neurotiker, dessen medizinische Manie in die gefährliche Nähe der Perversion gerückt ist. Aderlaß und unzählige Einläufe. Argan auf dem Klo. Argan, der an seinem Blut nippt und seine Exkremente kostet. Dem Publikum bleibt nichts erspart. Und während Argan auch die Torturen der ärztlichen Behandlung noch mit masochistischer Lust genießt, vergeht dem Publikum zunächst das Lachen und am Ende wohl auch der Appetit. Erstarrte Mienen, angewiderte Gesichter. So genau wollte es keiner wissen. Trotzdem überleben bis zum Schluß ein paar vereinzelte, zusehends trotziger werdende Lacher. Zu groß die Bereitschaft, sich zu amüsieren. Zu gern hätte man Walter Schmidinger, der immerhin der schönste Argan des Jahrzehnts zu werden versprach, sein Herz zu Füßen gelegt. Doch Alexander Lang wollte keine Liebesaffäre zwischen Schauspieler und Publikum. Er wollte Theater. Und das bekam er auch. Als sich der Regisseur mit seinen Akteuren am Ende zum Applaus einfand, traf ihn geballte Aggression.
Lang konnte von Glück sagen, daß er Regisseur und kein Linienrichter ist. Premierengäste pflegen immer noch das Buffet und nicht die Bühne zu stürmen. Dennoch hatte man an diesem Abend das Gefühl, daß die Stimmung nahe daran war, umzuschlagen.
Nicht die Gesellschaft ist pervers, sondern der Einzelne, der ihr die eigene Deformation so lange aufzwingt, bis die ganze Welt schließlich deren Gestalt angenommen hat. Das könnte das Motto der Berliner Inszenierung gewesen sein. Argan ist nicht krank. Doch er bildet sich ein, krank zu sein, bis seine Umgebung die Krankheit bis ins Detail abbildet und reproduziert. So gesehen müßte die Empörung des Publikums nicht unbedingt gegen die Inszenierung sprechen. Träfe ihre Sicht doch eine Leistungsgesellschaft, die brutal auf das Recht des Stärkeren pocht, an ihrem empfindlichsten Punkt. Folgerichtig wäre da auch der geänderte Schluß, wo das „Happy End“ kurzentschlossen entfällt. Die verstoßene Béline (Friederike Wagner) kehrt zurück und umgarnt Argan erneut mit falschem Geturtel. Der Reigen von Terror und Heuchelei geht weiter. Eine von den Extremitäten des Egoismus geprägte Welt kennt kein Glück.
Aber Lang macht es sich zu leicht und bevölkert das opulente Bühnenbild mit grellen Gestalten, die Schrecken schon verkörpern, bevor er überhaupt entstanden ist. Die Ärzte und Apotheker sind allesamt dem Labor des Dr.Frankenstein entsprungen. Brutale und entseelte Wesen. Leblose Zombies, die in Blut und Eingeweiden wühlen. Kein Wunder, daß Argans Tochter Angelique (Dinah Helal) bei dem Gedanken schaudert, daß sie mit einem von ihnen verheiratet werden soll. Doch ihr Geliebter Cléante (Herbert Rohm) ist auch nur eine lächerliche Gestalt, ein halber Crétin, so daß sie eigentlich bloß vom Regen in die Traufe kommt. Während des ganzen Abends prasselt ein Wolkenbruch von Gags und Regieeinfällen auf die Zuschauer nieder. Oft spektakulär fürs Auge (wie auch die Ausstattung von Marcel Keller und Caroline Neven Du Mont), doch folgenlos für Kopf und Herz.
Völlig unverständlich schließlich, daß die Rolle des Dienstmädchens Toinette mit einem Mann besetzt wurde. Obwohl sich Christian Grashof einigermaßen bravourös ins Unvermeidliche fügt. Es ist nur zwei wunderbaren Schauspielern zu verdanken, Christian Grashof eben und Walter Schmidinger, daß das Duo Toinette-Argan nicht als „odd- couple“ im Fegefeuer des schlechten Geschmacks umkommt. Und doch, spätestens als Argan versucht, Toinette zu verführen, wird klar, daß Lang mit dieser Besetzung nicht nur Stück und Figuren, sondern die eigene Inszenierung verraten hat. Den erotischen Vorlieben des Argan ist man nämlich schon eimmal begegnet. Und zwar als sich seine Frau Béline ganz zu Beginn hüftschwingend mit einem schlüpfrigen „Wulle- wulle“ auf den Lippen zu ihm herabbeugt. Als die junge Frau den alten Mann wie einen kleinen Jungen anspricht und man für Momente in die schwülen Abgründe arganscher Sexualität blickt. Aber wenn Argan später der ältlichen Toinette (die ja außerdem „eigentlich“ ein Mann ist), eindeutige Avancen macht, hat die Szene nichts Abgründiges mehr. Sie ist nicht einmal mehr komisch, sondern offenbart die einigermaßen traurige Wahrheit, daß am Ende der Gag der Vater aller Regieeinfälle ist. Wogegen ja im Prinzip nichts einzuwenden wäre. Wären sie nur nicht mit solch teutonischer Gewissenhaftigkeit plaziert. Frei nach dem Sprichwort: Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
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