: Streit und Spiele
■ Spielzeitbeginn in Zürich: Zeitgenössisches und zwei Uraufführungen
Die Findungskommission des Schauspielhauses Zürich versichert dem ehemaligen Stuttgarter Generalintendanten und jetzigen Feuerwerker der deutschen Theaterlandschaft Hans Peter Doll, daß er einziger Kandidat für die Nachfolge Achim Bennings sei, und lädt ihn postwendend wieder aus (Doll: „in der Nähe eines Vertragsbruchs“). Die Chefin des Theaters am Neumarkt, Gudrun Orsky, erfährt das Ende ihrer Amtszeit aus der Zeitung, und auf der Minibühne der Heddy Maria Wettstein plustern sich Theatermacher mit Worten gegen den Wind, der ihnen derzeit in der Limmatstadt ins Gesicht bläst. Daß da überhaupt noch etwas auf den Bühnen stattfindet, ist vielleicht das größte Theaterwunder.
Gespielt wird Modernes. Das Schauspielhaus adaptierte zusammen mit dem Vaudeville Theater Douglas Welbats Bei Hempels unterm Sofa als Bürgerbespitzelungsfarce für die nationale Geburtstagsfeier, dramatisierte (etwas fragwürdig) Handkes Wunschloses Unglück und brachte mit Dieter Giesings Inszenierung von Die schöne Fremde rauhe Welt auf die Bühne. Im „Theater am Neumarkt“ setzte das Fragen nach den Machtverhältnissen zwischen den Geschlechtern mit Stefan Schütz' Amazonen ein, Thomas Brauns Inzest-Stück Kalte Hände geriet allerdings gar zu harmlos. Selbst im entferntesten Stück der Spielzeit, in Schnitzlers Ruf des Lebens, entdeckte Achim Benning in einem wunderbaren Augenblick der Marie (Emanuela von Frankenberg) die Not und den Lebenshunger heutiger Jugendlicher. Dieser Gegenwartsbezug ist auch in zwei Uraufführungen zu finden, deren eine zeigt, daß auch die freie Szene von Skandalen nicht verschont bleibt.
In-Situ: Skandal „Anni B.“
Mariella Mehr hat den Fall der „Anni B.“ aufgegriffen, die anscheinend als einzige Schweizerin im Spanischen Bürgerkrieg gegen Franco kämpfte und nach ihrer Rückkehr in der Psychiatrie „versorgt“ wurde. Sie lebt heute noch, fünfundsiebzigjährig, in einer Anstalt; nach jahrelanger Elektroschockbehandlung ist sie verstummt. Wolfram Frank, früher in Tübingen und schon einmal Uraufführungsregisseur eines Mehr-Stückes am Stadttheater Chur, inszenierte den Stoff in der alternativen Zürcher Gessnerallee. Zwei Tage vor der Premiere distanzierte sich die Autorin von der Produktion, weil ihre Vorlage „massiv gekürzt“ und durch andere Texte ersetzt worden sei. Die Empörung um Autorenrecht und Inszenierungsfreiheit, die durch die Presse rauschte, verwundert um so mehr, als Mariella Mehr der Churer Gruppe „In Situ“ selbst angehört hatte und das Stück in deren Auftrag entstanden ist. Wolfram Frank hat die Lebensgeschichte der Anni B. zurückgenommen in ein Geschichtstableau, das Filmausschnitte aus dem Spanischen Bürgerkrieg, Toncollagen wie Hitlers Ankündigung des „totalen Kriegs“, Zitate von Dante, Dürrenmatt und Peter Weiss, Figurengruppierungen nach Delacroix, Partisanenlieder, die rote Fahne und die schwarze der Anarchisten assoziativ auf die Themen Faschismus und Psychiatrie beziehen.
Der riesige Raum der alten Reithalle erinnert an die Irrenanstalt des Marquis de Sade, die Akteure sind mit Requisiten aus ihrem früheren Leben in sich selbst versunken und murmeln sich nur langsam ins Spielen der Geschichte vom Spanischen Bürgerkrieg und Hitlerfaschismus, von der Schweizerischen Scheinheiligkeit und der Abschiebung der Vergangenheit in die private Depression. Das Spiel ist ein Versuch zur Befreiung und endet in Tod und Verklärung der meist nur schweigsamen Anni B. Wolfram Frank und die Gruppe „In Situ“ arbeiten vorwiegend mit Symbolen und Bildern, die Sprache ist eher ein musikalisches Mittel zur Hervorhebung einzelner Passagen. Das gelingt selten, die Bilder stimmen nicht, die Vereinfachungen sind gelegentlich peinlich. Zu viel Bedeutung, fast nichts zum Erleben; am Ende hat man den Eindruck, da habe sich jemand mit viel Mühe an einem theaterfernen Text verhoben.
Schauspiel: In den Solarplexus
Geradezu leichtgewichtig steuert die Suisse Romande Monique Laederach in ihrem ersten Theaterstück Die Liebe ist schon mal erfunden worden Geraden und Haken in den Solarplexus der Männerwelt. Merri ist Krankenschwester und arbeitet nach einer mißlungenen Ehe als Privatpflegerin im Hause Panel. Während oben die Mutter sich mit dem Sterben Zeit läßt, warten unten Sohn und Tochter zankend aufs Erben. Lelia hebt schon mal den Rock für Geld und Karriere, Charles bejammert seine allseitige Unterdrückung. Wo sie aufstampfte, reichte sein Kinderprotest gerade zum Bepinkeln des Wohnzimmerteppichs, und mit vierzig hängt er noch so sehr an ihrem Rock, daß alle Frauen sich nach ihrem Vorbild die Haare färben sollen. Er ist verwöhnt, selbstmitleidig und trotzig und gefällt sich als Ferkel in der klinisch sauberen Küche. Obwohl sie das alles sieht, verliebt sich Merri in ihn. Daß aus ihren mühsamen Erkenntnissen über weibliche Aufopferung für kaputte Männer kein trockenes Seelendrama wird, verdankt die Inszenierung (Regie: Beatrix Bühler) einem leisen Humor. Er umfängt den versoffenen Hausherrn auch noch, wenn er spielend immer armseliger wird, bis Merri voller Mitleid den Mantel auszieht und kocht. Und er hat seine stärkste Stütze in der Putzfrau Maria. Sie weiß: Männer sind so, wie sie sind. Weil der Kindertraum von der Lokomotive nicht in Erfüllung geht, kriegen sie periodisch Zustände. Man muß sie akzeptieren oder sein lassen. So viel trockene Lebenserfahrung läßt auch den dicksten Beziehungsballons die Luft ab. Da hat eine Autorin mit genauer Menschenkenntnis ihre unbeschwerte Liebe zum Theater entdeckt. Ein Skandal wäre es, wenn wir lange auf ihr nächstes Stück warten müßten. Gerhard Mack
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