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Aus der Traum: Pariser Börsen- Elektronik manchem zu transparent

■ „Lächerliches Umsatzvolumen“/ Händler in roten Zahlen/ Deutliche Abwanderung nach London

Paris (dpa/vwd) — „Vergeßt Frankfurt und Zürich“, lautete noch 1988 die selbstbewußte Parole der Pariser Börsianer. Mit der forcieren Modernisierung des blühenden Effektenmarktes schien der Aufstieg der Seine-Metropole zur dominierenden Börse auf dem europäischen Festland nicht mehr zu stoppen. Doch heute spricht man in den Restaurants um die Effektenbörse statt von Umsatzrekorden von Konkursen. Die „Golden Boys“ suchen nach Job-Alternativen.

„Dem Finanzmarkt Paris geht es elend“, klagt der Präsident des Börsenrates, Bruno de Maulde. „Fast allen Maklern geht die Luft aus, die Umsatzvolumen sind derzeit lächerlich, und an der Börse passiert überhaupt nichts.“

Von den 65 Börsengesellschaften des Jahres 1988 sind heute nur noch 41 am Markt aktiv. Und die schrieben im ersten Halbjahr zusammen 400 Millionen Franc (120 Millionen Mark) Verlust, obwohl sie seit Januar 782 Arbeitsplätze (15 Prozent) abbauten. Die Gewerkschaft FO fürchtet, daß von einst 6.200 Arbeitsplätzen (1989) nur 2.000 übrigbleiben.

Dabei schien der Aufstieg von Paris als großer Platz neben Tokio, London und New York nach einer atemlosen Aufholjagd in den 80er Jahren fast vorprogrammiert. Im Jahrzehnt bis 1988 war die Emission von Aktien um das Elffache auf 157 Milliarden Franc gestiegen, die von Obligationen auf 232 Milliarden hatte sich versechsfacht. Von 1982 bis 1987 war die Börsenkapitalisierung in Paris um 318 Prozent gestiegen, in New York aber nur um 43 Prozent (London 162, Zürich 179).

Paris schien Frankfurt bereits den Rang abzulaufen, als mit der Abschaffung der Maklerprivilegien 1987, der Elektronisierung der Notierungen (CAC-Index 1988, Buchungssystem RELIT 1990) und Produktinnovationen (zum Beispiel Indexspekulation 1988) die Grundsteine für eine weitere Expansion gelegt wurden. Doch der Parforceritt in das neue Börsenzeitalter geriet zum Strauchelschritt. 1990 mußten Anleger erstmals erleben, wie eine Börsengesellschaft Konkurs anmeldete und ihre Konten gesperrt wurden.

Heute liegt der Tagesumsatz in Paris zwischen 30 und 50 Prozent niedriger als 1988, und es wird zahlenmäßig nur ein Drittel der 1986/87 üblichen Transaktionen getätigt. Der Aktienmarkt hat seine Funktion als Eigenkapitalquelle der Unternehmen weitgehend eingebüßt, weil die Investoren auf lukrativere und dazu risikofreie festverzinsliche Fonds ausweichen: In den ersten neun Monaten wurden nicht einmal für 16 Milliarden Franc neue Titel ausgegeben, ein Viertel des 1990er Werts. Gleichzeitig fielen die Courtagen der jetzt dem Wettbewerb ausgesetzten Börsengesellschaften in den Keller.

Die Börse wirke „wie eine nagelneue Raffinerie, aber ohne Öl, um sie zum Laufen zu bringen“, befand die Pariser 'Le Monde‘. Vor allem das 689 Millionen Franc (203 Millionen Mark) teure Buchungssystem RELIT, das seit dem 24. Oktober alle Transaktionen abwickelt, erscheint mit dem Notierungssystem CAC überdimensioniert.

Der erklärte Vorzug der Elektronisierung à la francaise — die fast völlige Markttransparenz — ist dabei auch ihr Hauptnachteil: Wer große Aktienpakete möglichst diskret kaufen oder abstoßen will, geht lieber nach London, wo die Transaktionen nicht wie in Paris sofort ausgewiesen werden, sondern erst Stunden später oder gar erst am nächsten Morgen. Der CAC hat zudem den Nachteil, daß Großaufträge zuweilen gestückelt werden müssen, was das Risiko birgt, nur einen Teil erledigt zu bekommen. Dieses und die Pariser Börsensteuer führen Experten zufolge dazu, daß rund 30 Prozent des potentiellen Geschäfts nach London abgezogen wird.

Doch der Reformeifer des Pariser Börsenrates CBV ist ungebrochen. Im Januar 1992 werden die Börsengesellschaften sich auf genau definierte „Marktsegmente“ spezialisieren müssen. Zum Leidwesen der Makler, die bisher noch nicht einmal die Spielregeln kennen. Eine Kommission befaßt sich zudem mit der Einführung eines Marktes für Großorders. Auf dem Parkett stellt man sich derweil mit der 'Monde‘ die Frage, ob die Krise der Pariser Börse eher konjunkturell oder eher strukturell begründet ist.

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