■ BERLINER PLATTENTIPS: Sixties, Trash, Cowboyboots
Das kleine Label Twang! ist seit Mitte der Achtziger der Tradition verpflichtet, das heißt dem Beat und Rock 'n' Roll mit ausladenden Wurzeln in die Sechziger. »Home of the brave« ist das Motto von Mastermind Mike Korbik, und damit sind diejenigen gemeint, die allen Trendschwankungen zum Trotz beharrlich ihre und des Labelchefs Vorlieben für den schnörkellosen kurzen Song aus der Garage pflegen und weiterverbreiten müssen. Ganz stilecht sind jetzt drei 17-cm-EPs von Berliner Combos erschienen, eine Tonträgerart, die von der Industrie schon mehrfach totgesagt wurde. Aber angestaubte Musik braucht das passende Medium.
Twangs Ziehkind The What...For haben sich nach einjähriger Pause wieder zusammengerauft und vier Songs aufgenommen, in denen sie nach wie vor unbeirrbar versuchen, den Sixties so nah wie möglich zu kommen. Der Sound ist dumpf bis scheppernd und der Beat klar dem Rhythm&Blues und dem puren Rock 'n' Roll verpflichtet. Diese EP paßt sich ungebrochen in das bisherige Gesamtwerk der Berliner Neo-Sixties-Institution ein, wobei natürlich Coverhits Pflicht sind. Hier ist die alte deutsche Drogenhymne Rotkarierte Petersilie von den Rainbows der hervorstechendste der insgesamt doch zu bekannt klingenden Songs.
Die EP der sehr jungen Lemonbabies ist wohl nur erschienen, weil deren Eltern die Produktion bezahlt haben. Ansonsten stellt sich die Frage, was dem schülerinnenmäßigen Pop der vier Mädels den Wert gibt, um auf Vinyl erscheinen zu dürfen. Die Antwort ist: weil sie charming girls sind und somit den Aufmerksamkeits- Bonus haben. Singen können sie, spielen nicht; unter Trash-Gesichtspunkten sind die fünf Songs über Boys o.k., und die Lemonbabies sollen auch ruhig weitersäuseln. Aber hoffentlich werden sie sich in ein paar Jahren über Zeilen wie: »I just want him, don't wanna be free!« ordentlich ärgern, am besten schon eher.
Klarer Gewinner im direkten Vergleich sind die Beat Godivas. Sie haben vier Ohrwürmer auf ihr Scheibchen gepreßt, die Byrds-mäßige Melodien mit der Energie des Pops der frühen Achtziger verbinden. Die Gitarren jinglen und janglen, einmal wird sogar ein Banjo geschrubbt, eine Mundharmonika darf jubilieren, und die tiefe Stimme vom Sänger Daniel ist mehr als nur angenehm. Preis für Geschlossenheit und Eigenständigkeit.
Tiefsitzende Sehnsucht nach Amerika ist der Antrieb für das musikalische Schaffen der Twang Dudes. Daraus machen sie keinen Hehl, sie zelebrieren ihre Vorliebe für uramerikanische Musikformen im Gegenteil äußerst ungebrochen, wie auf ihrer selbstproduzierten CD 2nd Floor Ghost zu hören ist. Country, Blues, Bluegrass, Rock 'n' Roll sind die Elemente, aus denen die Twang Dudes ihre Songs flechten. Um diese Stile angemessen zur Geltung kommen zu lassen, sind sie für die Aufnahmen extra ins weite Land Brandenburg gezogen und haben einen Ballsaal aus dem vorigen Jahrhundert angemietet. Diese Atmosphäre hat so sehr durchgeschlagen, daß sich die Jungs ganz alt und erfahren vorgekommen sein müssen. Das Tempo der Songs ist moderat zurückgenommen, und die Geschichten handeln von Außenseitertum, Einsamkeit und Erlösung — ganz so als hätte Sänger U.E. Ford mindestens die Lebenserfahrung eines Dan Stuart oder gar Calvin Russell. Tiefschürfende Weisheiten, von smarten Mittzwanzigern vorgetragen: reine Attitüde. Aber Attidüde ist im Rock 'n' Roll eine legitime Haltung, und so kann man sich an der Entdeckung, daß bei den Twang Dudes alles bis ins Detail auf die Staaten zugeschnitten ist, auch herzlich erfreuen. Das geht so weit, daß die Platte nur als CD und MC erscheint, ganz nach den Erfordernissen des US- Marktes. Ob sie jemals dorthin gelangt? Doch die Songs weisen Qualitäten auf, sind mit Sorgfalt arrangiert und sehr transparent im Sound. Einen offensichtlichen Hit gibt es auf 2nd Floor Ghost nicht, aber das ist wohl beabsichtigt bei der zur Schau gestellten Abgeklärtheit. Mit Rockismen will man zudem hier nichts zu tun haben. »Heavy Metal don't mean Rock 'n' Roll to me!« skandierte Mr. Ford, was eine eindeutige Stellungnahme ist, der zugestimmt werden kann. Aber er sollte auch bedenken: You »can't fool nobody wearing cowboyboots...« — wie er selbst zugibt. Schwalbe
The What...For: Out In The Rain , TS 290989;
Lemonbabies: fresh 'n' fizzy , TS 100000;
The Beat Godivas: You Know What Hot Means ,
TS 150391 (alle Twang!);
Twang Dudes: 2nd Floor Ghost , (Cross-Eyed Lion Music) Lion 9101-2
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen