piwik no script img

Free Jazz und nickende Zehen

■ Das Trio »DiLämma« im Kulturhaus Peter Edel/ Martina Schaaks Solotänze im BKA

Das »Kulturhaus Peter Edel« — einer von vielen neuen Spielorten für improvisierte Musik — veranstaltet eine Reihe Konzerte, die, vom Free Jazz ausgehend, auch weiterentwickelten Improvisierformen gewidmet ist.

Am Mittwoch gab das Trio »DiLämma« mit dem Schlagzeuger und Perkussionisten Achim Trampenau, dem Cellisten Dieter Klockenbusch und dem Saxophonisten Wilfried Truntsch dort ein Konzert. Die drei Musiker haben eine ausgefeilte gemeinsame Musizierweise entwickelt, die sich verlustlos durch viele Idiome zu bewegen weiß. Da erklingen Free-Jazz-Anspielungen bis hin zu kräftigstem Powerplay, Wilfried Truntsch läßt alte Saxophonwelten erstehen, Dieter Klockenbusch lotet dazu die schrillsten Höhen seines elektronisch verstärkten Cellos aus. Trampenau entpuppt sich als der heimliche Kopf des Trios, sorgt für Fundamentgebendes und klare Verläufe. Dann entsteht aber auch Filigranes; Dieter Klockenbusch läßt am Cello Musikgeschichte Revue passieren, da klingen Bachsche Cello- Suiten ebenso an wie schostakowitschartig kreisende Ostinati oder hohe Flageolett-Partien. Wilfried Truntsch ist eher der Free-Jazz-Tradition verhaftet; Achim Trampenau, ehemals Schlagzeuger des bereits legendären DDR-Saxophonisten Manfred Schulze, holt seine beiden Improvisationskollegen, sollten sie sich zu weit in Metaphysisches verlieren, schon mal auf den Boden zurück, indem er ironisierend zur Trompete greift.

Gegen Ende des Abends wurde's dann noch bunter, ein französischer Posaunist namens Mark Boukouya stieg mit ein, und der ebenfalls anwesende Manfred Schulze ließ es sich nicht nehmen, zum Baritonsaxophon zu greifen — der Abend endete in einem großen, wilden Free-Jazz- Credo. Marc Maier

Der Dienstagabend in der Reihe »Unerhörte Musik« im Kreuzberger BKA war dem modernen Tanz gewidmet. Martina Schaak bot ein kontrastreiches Programm eigener Choreographien.

Der Abend begann mit einem Tanz namens Dialog zum zweiten Satz von Stravinskis Klaviersonate und Erik Saties Le Tango perptuel. Martina Schaak beschränkt sich auf eine reine Fuß-Choreographie; der Rest ihres Körpers, schwarz gekleidet und unbeleuchtet, ist kaum sichtbar. Die Bewegungen der Füße sind äußerst reduziert, klären damit gewissermaßen strukturelle Zusammenhänge auf, reduzieren fast skelettartig die zutage tretende Begeisterung Strawinskis für die freien Instrumentalrezitative des späten Beethoven. Nach unbegleiteter Überleitung folgt zu Saties Tango Bewegteres — da gewinnen auf einem zweistufigen Treppchen auf- und abnickende Zehen geradezu Komisches. Mario Bertoncini begleitet am Flügel, hebt die leisen Nuancen subtil hervor.

Morph, eine musikloser Tanz folgt — aber was heißt da musiklos — mit sich polyrhythmisch überlagernden Bewegungen einzelner, isolierter Körperteile weiß Martina Schaak »klingende« Formen zu erschaffen, obwohl da nicht mehr passiert als zwei schwingende Arme, ein sich drehender Kopf, eine sich ein- und ausrollende Hand vielleicht.

Nach der Pause, zu einem Tonbandstück des Komponisten Lutz Glandiens (cut) eine weitere Solo- Choreographie. Das Stück liebt in seiner üppigen Länge vielerlei Klänge und findet bisweilen den Mut zu gewagt abrupten Schnitten. Martina Schaak ist in Schleier gehüllt, aus denen bis auf ihre weiß geschminkten Arme nichts herausragt. Da setzt sie wieder der wechselreichen Musik Ruhiges entgegen, zeichnet mit ihren Händen an Barockmalerei Erinnerndes, ausdrucksstark Gestisches.

Den Abschluß des Abends bildete eine tänzerische Umsetzung von John Cages Variation II, ein Stück, das nur als variable, in engem Rahmen zufallsbestimmte Formgebung existiert. Aus Einzelelementen wird ein Tanz zusammengesetzt, der sich durch Beleuchtung in den drei Grundfarben und die Verwendung dreier gleichfarbiger Tücher in drei große Teile gliedert. Tänzerisch fließen nun expressivere Figuren ein, die — immer neu wiederholt und in immer neuer Konstellation — Leichtigkeit vermitteln, den Raum zu öffnen scheinen. Dazu erklingt vom Band John Cages Cartridge Music in der Version Mario Bertoncinis: Unhörbare Klänge werden durch elektronische Verstärkung hörbar gemacht, indem mit allerlei Gerät auf einem Tisch hantiert wird, an dessen Unterfläche Kontaktmikrophone angebracht sind. Mario Bertoncini gelingt es da, den Hörer eine Abenteuerreise durch die Welt des musikalischen Mikrokosmos antreten zu lassen. Die Kombination dieser Musik mit der getanzten Variations II-Version, im Programm bescheiden als Experiment angekündigt, ragte weit darüber hinaus und ist bereits ein Stück unerhört musikalischer Gegenwartskunst, das den gelungenen Abend gebührend beschloß. Fred Freytag

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen