Neue Nebelgranaten in der Asyldebatte

■ Die CDU weist jeden Verdacht der Wankelmütigkeit in der Asyldiskussion von sich/ Noch-Innenminister Schäuble und sein Nachfolger Rudolf Seiters halten an einer Grundgesetzänderung fest

Bonn (afp/taz) — Da hat er seinem Nachfolger zum Amtsantritt noch ein Ei ins Nest gelegt: Kurz vor seinem Wechsel in das Büro des CDU- Fraktionsvorsitzenden überraschte Noch-Innenminister Wolfgang Schäuble die Öffentlichkeit und vor allem seine Partei mit der Feststellung, notfalls könne er sich Maßnahmen gegen die wachsende Zahl von Asylsuchenden auch ohne Grundgesetzänderung vorstellen. Und erklärte auch gleich wie: Asylsuchende weist man unter Berufung auf das Schengener Abkommen ohne Anhörung gleich an der Grenze zurück, wenn sie aus „sicheren Drittländern“ aus der Nachbarschaft kommen. Als da wären: Frankreich, die Niederlande, Österreich, die Schweiz, Dänemark.

Gestern nun gaben sich Amtsvorgänger Schäuble in Interviews und sein Nachfolger auf dem Stuhl des Innenministers, Rudolf Seiters, in der Haushaltsdebatte des Bundestages alle Mühe, den öffentlichen Verdacht eines Kurswechsels der CDU bei der Asylpolitik wieder zu zerstreuen. Beide hielten sie an einer Änderung — und damit faktischen Abschaffung — des Artikels 16 des Grundgesetzes („Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“) fest. CDU- Generalsekretär Volker Rühe hatte bereits am Mittwoch in einer Presseerklärung versichert, seine Partei habe ihre Meinung in der von ihr selbst angezettelten Asyldebatte keineswegs geändert.

Abgesehen davon, daß der neue Vorstoß des Juristen Schäuble verfassungsrechtlich fragwürdig ist, wird er bereits von Gerichten und Behörden ausgiebig praktiziert. Ein großer Teil der Anträge von Asylsuchenden wird mit der Begründung abgelehnt, sie hätten bereits Schutz vor Verfolgung in einem anderen Land gefunden. Oft genügt dabei der Nachweis, daß sich ein Flüchtling ein paar Tage lang zum Beispiel in einem Transitland der Dritten Welt aufgehalten hat.

Ganz offensichtlich hat Schäuble in seinen letzten Amtstagen noch versucht, dem Koalitionspartner FDP, der nach wie vor an Artikel 16 festhält, mit dem Verweis auf das Schengener Abkommen ein Schlupfloch anzubieten. Denn dieses Abkommen, in der Bundesrepublik noch nicht ratifiziert, regelt unter den Mitgliedsstaaten BRD, Frankreich, den Beneluxländern, Italien, Spanien und Portugal, wer in Zukunft für das Asylverfahren eines Flüchtlings zuständig ist: in der Regel das Land, in das der Flüchtling zuerst eingereist ist. Da die Einreise auf dem Luftweg für Flüchtlinge aber immer schwieriger wird, hat fast jeder auf seinem Weg in die Bundesrepublik seinen Fuß auf das Territorium eines „sicheren Drittlandes“ gesetzt — ergo kann er nach Schäubles Idee ohne Verfahren dorthin zurückgeschickt werden.

Prompt regte sich auch Beifall — zum Beispiel von seiten des stellvertretenden FDP-Vorsitzenden Wolfgang Gerhardt, der den Vorschlag des neuen CDU-Fraktionsvorsitzenden nun wohlwollend prüfen will. Protest regte sich allerdings in der Bundestagsfraktion der Freien Demokraten. Der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Hirsch, warf Schäuble Irreführung vor. Schäubles Vorschlag hätte zur Folge, daß bis zu „90 Prozent der gegenwärtigen Asylbewerber unseren europäischen Nachbarländern zugeschoben werden müßten, und zwar unabhängig davon, ob diese den Flüchtlingen ein minimales Asylverfahren gewähren oder nicht. Das wäre geradezu bauernschlau und kann wohl nicht ernst gemeint sein.“

Solange sich die europäischen Länder nur darüber einig sind, welches Land für die Anhörung eines Flüchtlings zuständig ist, nicht aber darüber, nach welchen gemeinsamen Kriterien über eine Anerkennung entschieden werden soll, will Hirsch über eine Änderung des Grundgesetzes nicht mit sich reden lassen.

Gegen eine Grundgesetzänderung sprach sich dann auch Seiters aus — allerdings nur beim Aussiedlerrecht. Wenn sich die vorgesehenen Hilfen voll auswirkten und sich die politische Entwicklung in den Aussiedlungsgebieten stabilisiere, werde der Aussiedlerzustrom an Bedeutung verlieren. Eine Diskussion über eine Änderung des Artikels 16 würde die „Tendenzen zum Dortbleiben“ gefährden, warnte der CDU-Politiker. Andrea Böhm