: Honduras. IRA und Marathon
■ Die Geschichte des Bremer Langstreckenläufers Peter Bullen
Männergesicht,
Hand am Kinn
Peter Bullen Foto: Falk Heller
Wenn man in Bremen vom Langlauf spricht, fällt schnell ein Name: Peter Bullen. Der 37jährige Engländer kam 1981 nach Bremen und läuft heute im Namen des SV Werder ganz Norddeutschland davon. 5.000 Meter, 10.000 Meter, Marathon: Bullen reißt alles ab. Obwohl er eher „aus Faulheit“ zum Laufen kam
Was für ein harter Ausbilder sein Vater gewesen sein muß, erfuhr Peter Bullen, als er im Army-College 1969 für die erste Parade übte. Da trat sein Spieß hinter ihn und zog ihm den Stock über die Waden, weil er sich beim Strammstehen etwas bewegt hatte. „Wenn das Dein Vater gewesen wäre, würdest Du jetzt auf dem Boden liegen“, erklärte der Spieß in seinem schottischen Akzent. Bullen „spürte es brennen in der Wade“ und blieb stehen.
Geboren wurde er in Tuxford, einem Dorf in der Nähe von Leeds. Mittelenglands größte Industriestadt war eine Hochburg des Fußballs. Hier thronte Leeds United, und alle Kinder wollten große Fußballspieler werden. Peter Bullen auch. Seine ersten Läufe sind aus der Not geboren: Immer, wenn er mittwochs abends nach dem Fußball die „Yorkshire Evenig Post“ austragen mußte, rannte er die sieben Meilen vom Trainings-Platz in Leeds querfeldein nach Tuxford. So war er pünktlich an Ort und Stelle, um sein erstes Geld zu verdienen.
Peter Bullens eigentliche Heimat ist aber der Commonwealth. Mit dem Vater zusammen, dem Be
rufsoffizier, hat er „die ganze Welt gesehen.“ England schickte seine Soldaten nach Deutschland, Mittelamerika, Südost-Asien, und ihre Kinder zogen mit: Peter Bullen selbst tritt mit 15 Jahren in das Army College ein. Er sollte Telegraphist werden.
Auf dem College treibt er viel Sport: Fußball, Rugby, Wasserball, Laufen nur im Winter, Fahrrad fahren. Das Training ist für ihn der leichtere Teil des Pflichtprogramms: Während die anderen Armeeschüler exerzierten, konnte er trainieren. „Das war wesentlich angenehmer“. Bullen läuft für das Army-College die ersten Cross-Meisterschaften über sieben Meilen. 1972 schließt er seine Ausbildung ab.
Fallschirmjäger wird er nach einer dreimonatigen Sonderprüfung, es folgt die Stationierung in Münster. Mit etwas Glück kommt er in eine Garnison, in der Sport groß geschrieben wird. 1974 holt er seinen ersten Titel als Garnisonsmeister im Crosslauf.
Dabei ist er kein Asket, kein Kasernenhocker, wohnt oft außerhalb der „barracks“ bei Freunden. Tagsüber Training, abends ab auf die Piste. Es ist die große Zeit der Diskotheken. Bullen liebt die Soulmusik, das Leben, die Frauen. Seine „wildeste Zeit“ erlebt er auf Britisch-Honduras 1974: Viel Sonne, viel Alkohol. Hier ist die Welt für einen Empire-Soldaten noch in Ordnung. Man bringt dem Garnisonspapagei Rick the Mad Max allerlei sprachlichen Unsinn bei und genießt das Leben: „Ein Hotel,
eine Bar, und zwölf Nutten, die einzigen Weißen weit und breit.“
80 Kilo wog er damals, sein Laufgewicht liegt jetzt bei 62 Kilogramm. Er arbeitet weiter als Telegraphist, kommt zurück nach Münster und muß 1976 nach Nordirland. „Dort hatten wir überhaupt keine Zeit für Sport, weil alles 200prozentig laufen mußte.“ Bullen gehört zu einer Truppe, die IRA-Mitglieder observiert. „Manchmal habe ich zwei Tage lang in einem Klo gehockt und beobachtet. Da mußte ich dann mit ansehen, wie sie 13-, 14jährige Mädchen vergewaltigt haben, aber ich durfte nicht raus, mußte auf meinem Posten bleiben.“ Zu dieser Zeit trinkt er gelegentlich eine Flasche Whisky pro Tag. Als er in Nordirland eine Frau kennenlernt, wird er zum „compromise“, einem Sicherheitsrisiko, weil er durch seine Frau gegenüber der IRA erpreßbar wird. Aber das Jahr in Nordirland ist ohnehin um, und er geht zurück nach Osnabrück.
Osnabrück, Bullens letzte militärische Stadtion. Er baut eine Cross-Mannschaft auf, läuft vor allem 1.500 und 5.000 Meter bei Army-Meisterschaften. In dieser Zeit wird sein Lauftalent erst richtig entdeckt. Und trotzdem trainiert er immer noch „aus Faulheit“, weil er sich dem Drill auf dem Kasernenhof entziehen will. 1981 läuft er seinen ersten Marathon, in 2:53. bei den britischen Armee-Meisterschaften in Svendeby. Es ist das gleiche Jahr, in dem er aus der Armee entlassen wird. „Ich habe gedacht: Wenn Du jetzt verlängerst, dann bleibst Du immer da.“ Das will Bullen nicht.
Nach Bremen zieht es ihn, weil er hier eine Freundin hat. Als Fernmeldefachmann findet er Arbeit in einer Bremer Firma für Kommunikationselektronik. „Dann wollte ich irgendwann gut sein“, erinnert sich Bullen. Er findet einen ständigen Herausforderer in Ralf Wilhelms, der ihn regelmäßig schlägt. „Ich habe gedacht, der muß doch zu schaffen sein, und immer nahm er mir auf den letzten Metern das Heft aus der Hand. Bei 20 Kilometern zum Beispiel: 17 Kilometer lang machte ich die Dreckarbeit, und dann zog er vorbei. Es war wie verhext.“
1983 wird Bullen arbeitslos. „Ich war der einzige Ausländer in der Firma, sechs mußten gehen.“ Bullen ist der erste. Jetzt hat er Zeit genug, sich einen Trainingsplan zu erarbeiten, macht vor allem auch Krafttraining, damit ihm Wilhelms nicht mehr davonläuft. „Mir fehlte immer der letzte Biß.“ Intervalle und Schnellkraft, verschiedene Böden: Das ist sein Trainingsprogramm. 1983 schlägt er zum ersten Mal seinen „Intimfeind“ Wilhelms, beim Volkslauf in Drangstedt. „Danach habe ich nie mehr gegen ihn verloren.“
Er arbeitet für verschiedene Sporthäuser, der Name Peter Bullen lockt die laufverrückte Kundschaft an. 1985 kommt er zu Werder Bremen. Trotzdem trainiert Bullen weiter ohne Trainer. „Ich hatte meine eigenen Methoden, und die waren für mich immer die besten.“ Ein paar Werbeverträge bringen etwas Geld, Aber „ein Profi war ich nie.“ Sein publikumswirksamster Auftritt war 1987 vor dem entscheidenden Spiel um die Deutsche Fußball- Meisterschaft. Peter Bullen kündigte im Weser-Stadtion einen neuen Rekord im Stundenlauf an: Und lief ihn auch, mit 18,8 Kilometern, wenige Minuten vor dem entscheidenden Spiel, mit dem Werder die Meisterschaft gewann.
Jetzt arbeitet Bullen als Selbständiger für einen Immobilien- Makler. „Da kann ich selbst bestimmen, wann und wie ich arbeite, und mir mein Training aussuchen.“ Nach einer langen Verletzungspause hat er jetzt wieder angefangen zu trainieren, will aber keinen Marathon mehr laufen. „ Diese 42 Kilometer, die sind mir einfach zu viel.“ Markus Daschner
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen