: Verständlich für Faulpelze
■ Zwei Musiker-Biographien: Tom Waits, Captain Beefheart
Die größte verlegerische Leistung des Sonnentanz-Verlages war bisher die deutsche Ausgabe der Velvet-Underground-Geschichte Up-Tight. Das ändert sich auch nicht nach Gestohlene Erinnerungen — Ein Tom-Waits-Porträt und Garantiert ungewöhnlich... — Das Leben des Captain Beefheart.
Autor Patrick Humphries weist gleich zu Beginn von Gestohlene Erinnerungen auf den Umstand hin, daß Tom Waits gerne eine Menge Lügen erzählt, wenn es um seine Vergangenheit geht, und seine eigenen Angaben zur Person eher dürftig sind; so daß er eine Schimäre aufbaute wie Bob Dylan. So ist es verständlich, daß das Buch mit biographischen Daten nicht gerade gesegnet ist. Verständlich zumindest für Leute mit Verständnis für Faulpelze. Humphries ergeht sich statt dessen in seitenlangen Ergüssen, was er von jenem und diesem Song hält, und ob er „grandios“, „lebendig“, „präzise“ oder „authentisch“ ist. Niemand kann 120 Seiten lang nur Songs beschreiben, ohne fürchterlich zu langweilen, und deshalb wiederholen sich die zitierten Vokabeln oft und gerne. Hier wäre weniger wesentlich mehr gewesen. Den gesparten Platz hätte man statt dessen mit mehr Original-Ton und viel, viel mehr Anekdoten über das Leben von Waits füllen sollen. Denn lieber eine falsche, aber gute Geschichte erzählt, als keine. Deshalb mehr Zitate wie: „Ich hab noch keinen getroffen, der eine Frau rumgekriegt hätte, bloß weil er ein Tom-Waits-Album besitzt. Ich habe alle, und es hat mir noch nie was genützt.“
Zudem hat Humphries seine Hausaufgaben nicht gemacht und hält es mit der Wahrheit nicht so genau. Das betrifft vor allem das Kapitel über die Zusammenarbeit mit Francis Ford Coppola, für dessen One From The Heart Waits den Soundtrack schrieb. So wird zum Beispiel der überaus farbige Film The Outsiders von Humphries kurzerhand zum Schwarzweiß-Streifen erklärt.
Humphries verliert sich in seiner gnadenlosen Bewunderung für Waits, behält in keinem Moment den Abstand und erzählt einem auch keine großen Neuigkeiten, die jeder redliche Waits-Fan nicht schon kennt. Aber nicht einmal Humphries schafft es, die ätzenden Sarkasmen von Waits totzulabern, und so ist dieses Buch allein durch die Person Tom Waits einigermaßen genießbar. Übrigens ist Gestohlene Erinnerungen (der Sinn des Titels ist mir verborgen geblieben) auch noch miserabel übersetzt.
Garantiert ungewöhnlich... hat fast genau dieselben Schwächen, denn was tut man, wenn man eine Musiker-Biographie schreiben will, aber zu faul ist, nach den Protagonisten zu suchen und sie zu befragen? Man nimmt sich ein paar alte Interviews, hört sich alle Platten an, macht sich so seine Gedanken, und fertig ist die Laube. Colin David Webb hat genau das getan, und im Klappentext wird sogar damit angegeben, daß jeder Song des Captains vom Autor einzeln kommentiert wird. Also kann man jetzt zu jedem Song ein etwa zehnzeiliges persönliches Statement des Autors nachlesen (das füllt schon mal die Hälfte von so einem Buch). Wie eindimensional und öde es ist, zeigt schon die Tatsache, daß die Geschichte von Captain Beefheart als Maler Don van Vliet — immerhin der Teil seines Talents, der die Musik inzwischen zur Nebensache degradiert hat — auf gerade mal vier Seiten abgehandelt wird. Dabei ist es Webb auch nicht zu peinlich, die Ausstellungsrezension eines anderen Autors einfach nachzudrucken.
Das alles wirft nicht nur ein schlechtes Licht auf die Autoren, über die man mehr erfährt als über den Gegenstand ihrer Betrachtung. Beide Bücher sind auch noch schlecht redigiert. So wird in Garantiert ungewöhnlich... eine Anekdote gleich zweimal erzählt. Wenn man diese Biographien liest, drängt sich der Verdacht auf, daß Up-Tight für den Sonnentanz-Verlag ein unverdienter Glücksfall war. Thomas Winkler
Colin David Webb: Garantiert ungewöhnlich... — Das Leben des Captain Beefheart. Sonnentanz- Verlag, 29,80DM.
Patrick Humphries: Gestohlene Erinnerungen — Ein Tom-Waits- Porträt. Sonnentanz-Verlag, 24,80DM.
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