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Nippons Wirtschaft läßt Dampf ab

Die japanischen Konjunkturaussichten haben sich verschlechtert/ Großkonzerne melden Gewinnverluste  ■ Aus Tokio Georg Blume

„Soziale Gefühle zählen“, orakelt Tadahiro Sekimoto, der mächtige Präsident des Elektronikgiganten NEC, „wenn alle sagen, daß sich das japanische Wirtschaftstempo verlangsamt, dann wird dies auch geschehen.“ Der NEC-Präsident deutet mit warnendem Unterton an, woran das Land noch gar nicht glauben mag: Kann Japans längste Wachstumsphase der Nachkriegszeit, der seit fast 60 Monaten währende Heisei-Boom, auch einmal zu Ende gehen?

Noch ist eine Rezession wie in den USA oder Großbritannien nicht absehbar. Doch erst vor wenigen Tagen feuerte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) einen Warnschuß ab: Sie stufte ihre Vorhersage über das japanische Wirtschaftswachstum für 1992 von 3,5 auf 2,5 Prozent herab — das sind zwei Prozent weniger als in diesem Jahr. Japanische Schätzungen für 1992 liegen derweil zwischen drei und 3,8 Prozent. „Das Wachstumstempo“, faßte das wirtschaftliche Planungsministerium zusammen, „ist langsamer geworden.“ Grund genug für die Japaner, sich Sorgen zu machen.

Filialmanager der „Bank of Japan“ berichteten dem Zentralbank- Chef Yasushi Mieno vom schwindenen Selbstvertrauen der Unternehmer. „Die unternehmerische Grundhaltung“, stellten die versammelten Bankdirektoren fest, „gerate in einem Pessimismus, der sich ganz unabhängig von dem bisherigen, nur geringfügigen Wachstumsrückgang herausbilde.“ Doch so grundlos fürchten Nippons Unternehmer den Konjunktureinbruch nicht.

Im Herbst jagte eine Hiobsbotschaft die andere. Zuerst gaben die von Skandalen geplagten Wertpapierhäuser Gewinnverluste von bis zu 70 Prozent bekannt. Ihnen folgte die Automobilindustrie: Allein der zweitgrößte Autohersteller Nissan mußte im ersten Halbjahr 1991 Profiteinbußen von 56,8 Prozent hinnehmen.

Nicht besser erging es den japanischen Elektronikkonzernen. Toshiba veranschlagte Ertragsverluste von 62 Prozent, bei Hitachi waren es 27 Prozent, Mitsubishi Electric nahm 25 Prozent weniger ein. Der Elektonikriese Hitachi strich daraufhin die Kapitalinvestitionen für dieses Jahr von 280 Milliarden Yen auf 220 Milliarden Yen zusammen. Die Konkurrenten werden spätestens im nächsten Jahr nachziehen müssen.

Keine der Schlüsselindustrien bleibt von der Konjunkturschwäche ausgespart. Sogar Nippons zukunftsreiche Computerindustrie verspürt Angst im Nacken: „Unser Geschäft könnte in eine bisher nicht erlebte Rezession fallen“, prophezeit Hitachis Computer-Chef Shigemichi Matsuka. Zusammengenommen werden die fünf großen japanischen Computerhersteller — Hitachi, Toshiba, Mitsubishi Electric, NEC und Fujitsu — für dieses Jahr Verluste von voraussichtlich 22 Prozent hinnehmen müssen.

Nicht zuletzt für Japans Politiker bricht damit ein Mythos zusammen. Die Tokioter Regierenden wollen sofort Konjunkturprogramme auflegen; ein Nachtragshaushalt für 1991 wird bereits geplant. Denn der erst seit November amtierende Premier Kiichi Miyazawa befürchtet nichts mehr als eine Wahlniederlage bei den im April bevorstehenden Oberhauswahlen. Dabei fehlt es nicht an Stimmen, denen die Regierungshektik übertrieben erscheint und die für die Unternehmensverluste kaum Mitleid empfinden. Zentralbankchef Yasushi Mieno ist einer dieser Unbeirrten: „Ich sehe nicht“, stipuliert Mieno, „daß sich diese Wirtschaft in einer Rezessionen befindet.“ Doch der Zentralbankchef, der Japan vor Jahren die Billigzinspolitik abgewöhnte, steht heute unter stärkerem Druck denn je. Bereits im November mußte er — von der neuen Regierung mehr gezwungen denn überzeugt — den Leitzinssatz von 5,5 Prozent um einen halben Prozentpunkt herabsetzen. Sollte Mieno, der dem Finanzministerium weisungsgebunden bleibt, sein Diktat über die Zinspolitik verlieren, könnte auch ein Inflationsrisiko in Japan wieder auftauchen.

Doch wie auch immer die Risiken der in der Welt zweitgrößten Volkswirtschaft bemessen werden — angsteinflößend können sie auf ausländische Beobachter kaum wirken. „Die japanischen Investitionssummen“, erinnert Kenneth Courtis, Chefökonom bei der Deutschen Bank in Tokio, „waren schwindelerregend. Von 1986 bis 1990 beliefen sich die landesweiten Kapitalinvestitionen auf 2,3 Billionen Dollar. Das japanische Bruttosozialprodukt ist in diesen Jahren um das Frankreichs gewachsen.“ Courtis deutet damit an, an welchen Maßstäben sich die herbstlichen Negativmeldungen messen müssen. „Überflüssige Investitionen werden abgestoßen“, meint denn auch Deutsche-Bank-Vorstand Ulrich Cartullieri, „ein bißchen Abspecken schadet den Japanern nichts.“ Die europäische Industrie, so der Chefbankier, dürfe nun bloß nicht auf Entlastung im internationalen Wettbewerb hoffen. Cartillieri: „Wann immer japanische Unternehmen bisher unter Druck gekommen sind, kamen sie hinterher gestärkt aus der Krise heraus.“

Vor allem in seinem eigenen Gewerbe, dem Bankgeschäft, darf sich Cartillieri schon heute bestätigt sehen: Erst vergangene Woche meldeten Japans große Geschäftsbanken unerwartete Gewinnzunahmen von durchschnittlich 17 Prozent. Dabei hatte man gerade den Banken wegen der anhaltend schlechten Börsenkonjunktur in Tokio die größten Schwierigkeiten vorausgesagt. Doch sie haben das Tal bereits durchschritten und profitieren heute wieder von sinkenden Zinsen. Das Urteil über die japanische Wirtschaftslage bleibt deshalb zweideutig: Als Lokomotive der Weltwirtschaft funktioniert das Nippon-Wirtschaftswunder dieser Tage nicht mehr, doch etwas weniger Dampf läßt die Lok noch lange nicht stillstehen.

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