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Grausliger Eindruck-betr.: "Die Friedensbewegung klagt an" von Andrea Seibel, taz vom 27.11.91

betr.: „Die Friedensbewegung klagt an“ von Andrea Seibel,

taz vom 27.11.91

Ich freue mich sehr über den Weg, den die taz im Moment einschlägt, nicht aber über solche Artikel.

1.Vom journalistischen Standpunkt aus möchte ich Deine Meinung gerne in einem dafür gekennzeichneten Kommentar sehen und nicht den ganzen Bericht hindurch. Das ist genau der schlechte taz-Stil, den ihr, dachte ich, abschaffen wolltet. In jedem Satz Deine Meinung beziehungsweise ein süffisanter Unterton „im Rahmen bekannter linker Veranstaltungen wie etwa dem ,Russel-Tribunal‘“. So nicht!

Warum nicht zwei gegensätzliche Kommentare oder eine „Erwiderung auf Mechtersheimer“? Das wäre zum Beispiel eine Form, in der Mechtersheimer auch Stellung nehmen könnte (das kann er so kaum).

2.Inhaltlich mag Deine Kritik an einer Einseitigkeit des Tribunals eventuell gerechtfertigt sein — ich kann das aber kaum beurteilen, weil ich nur Deine Meinung vorgesetzt bekomme. Aber in einem Punkt kann ich nicht folgen: „Behaupten die Veranstalter, es gebe immer noch kein öffentliches Bewußtsein für ,das Verbrechen dieses Krieges...‘, auch wenn dagegen Millionen Pazifisten auf die Straße gegangen seien.“

Ich kann seit dem Sieg keine Öffentlichkeit mehr feststellen, noch nicht einmal die taz schreibt viel über die Situation im Irak. Oder gibt es keine Informationen? Wenn ja, dann möchte ich gerne bei Euch lesen, warum. Was ist mit den Tausenden, die nach medico an Spätfolgen leiden?

Vielleicht leben wir ja nicht im gleichen Land, aber ich kann darüber kaum ein „öffentliches Bewußtsein“ erkennen. Wenn in meinem Umfeld die Rede auf den Golfkrieg kommt (das ist fast nie), habe ich den Eindruck, man spräche vom 30jährigen Krieg. Lang, lang her. Vielleicht ist das Umfeld in der taz anders, aber dann solltest Du Dich in unserer Republik mal ein bißchen umsehen. [...]

Ich hoffe, Dir ist wenigstens nicht entgangen, daß im Moment Nationalisten und Rassisten europaweit (auch in den USA) mehr „öffentliches Bewußtsein“ genießen als „Pazifisten“. Um so wichtiger ist so ein Tribunal. Um so wichtiger, daß die taz als Medium einer „Gegenöffentlichkeit“ erhalten bleibt und darüber berichtet. Aber bitte nicht so! Anne Schmidt, Frankfurt

Der taz-Redaktion wurde gekündigt und schon versuchen diverse RedakteurInnen sich mit ihrem Geschreibe bei anderen Zeitungsredaktionen zu empfehlen. Andrea Seibel offensichtlich bei der 'FAZ‘. Ekkehard Skoring,

(West-)Berlin

Zu was ist die taz eigentlich verkommen? Wann beginnt Ihr, Linke nur noch in Anführungszeichen zu schreiben wie weiland 'Bild‘ DDR? Nach dem Lesen der Nur-Polemik über das Golfkriegs-Tribunal habe ich meinen Genossenschaftsinteressenantrag wieder zerrissen. Ich warte jetzt erst mal auf bessere tazzen. Georg Rapp, Stuttgart

Diese Polemik gegen das Golfkriegs- Tribunal hat offensichtlich ein Ziel: Die notwendige Kriegsaufarbeitung soll durch Abstempelung als „Selbstbeweihräucherung und späte Rache einer frustrierten Friedensbewegung“ (kommst Du Dir mit so klischeetriefenden Sätzen nicht blöd vor?) von vornherein abgetan werden, damit die, die „aus moralischen Gründen für diesen Krieg waren“, sich die Auseinandersetzung mit den Folgen der von ihnen gutgeheißenen Politik ersparen können.

Was Du den VeranstalterInnen vorwirfst, das tust Du doch selbst: Du vorverurteilst die Friedensbewegung. Offensichtlich hast Du die erwähnten 100 Seiten Dokumentation (über „völkerrechtliche und politische Fragen der Kriegslegitimität, die Kriegsführung der Alliierten, die Rolle der UNO, die Folgen der 43tägigen Offensive“) nicht gelesen. Anhand einer Vorab-Pressemitteilung erklärst Du die Anhörung schon im Voraus für gescheitert, das ist einfach feige. Sicher sind die VeranstalterInnen nicht neutral und unparteiisch, aber mit diskussionsfähiger Kritik haben Deine Vorwürfe nichts zu tun, hier wird einfach beharrlich die Problematik ignoriert. Was Du machst ist Verweigerung der Diskussion: Da Du nicht leugnen kannst, daß wir Recht haben, wirfst Du uns Rechthaberei vor, ohne Dich auf die Sache selbst einzulassen. [...]

Die Fakten über die „gezielten Zerstörungen ziviler Ziele und die systematische Zerschlagung der Infrastruktur, die auch nach Einstellung der Kampfhandlungen Tausenden von Kindern und Kranken das Leben gekostet hat und noch unzählige Opfer fordern wird“, werden tatsächlich nicht negiert, sie werden einfach totgeschwiegen. [...] Toni Menninger, Würzburg

Recht hat „die Friedensbewegung“ mit ihrer Anklage gegen UNO, USA und deren Alliierte, Recht hat sie, den „dunkle(n) Schatten der Einseitigkeit“ zu verbreiten. Unrecht hat Andrea Seibel mit der pseudo-akademischen Verurteilung der Anhörung zum „Golfkrieg“ in Stuttgart und des in New York geplanten „Tribunals“ aus der „Sicht der Opfer“. In der Regel haben, wie fast die gesamte Geschichte der Menschheit zeigt, alle Opfer von Kriegen — auf der Seite der Verlierer wie auf der der Sieger (hier zum Beispiel die durch „friendly fire“ oder durch feindliches Feuer Umgekommenen, die wegen Verweigerung der Kriegsteilnahme Verfolgten) und alle an Kriegsfolgeschäden Leidenden — keine Möglichkeit, ihre Sicht der Ereignisse zur öffentlichen Diskussion zu stellen. Und eben dazu sollen ihnen die Anhörung und das Tribunal Gelegenheit geben. Das ist ja noch viel zu wenig gegenüber den furchtbaren politischen und wirtschaftlichen Vorteilen, die die Eliten aller an diesem Krieg in der Golfregion beteiligten Staaten aus diesem brutalen Geschehen inzwischen gezogen haben, ziehen und noch lange ziehen werden. Ich sage „Ja!“ zu der „Orgie von Rechthaberei“, da ich hiermit die Hoffnung verbinde, daß Anhörung und Tribunal zwei weitere Schritte auf dem langen mühevollen Wege sein werden, allmählich ein weltweit wirkendes Bewußtsein dafür zu schaffen, daß Krieg als eine der brutalsten Formen von Gewaltanwendung schon deswegen ein nicht mehr hinzunehmendes Kollektiv-Verbrechen ist, weil er fortlaufend weitere solche Verbrechen zu Folge hat. Lutz Roemheld, Fröndenberg

Andrea Seibels Zetern über die bundesweite Anhörung zum Golfkrieg am 29. und 30.11. in Stuttgart mit Bezeichnungen wie „Orgie der Rechthaberei“, „Einseitigkeit“, Selbstbeweihräucherung und späte Rache einer frustrierten Friedensbewegung“, sowie das Aufzählen falscher Fakten wie etwa die Befriedung des Nahen Ostens durch den Golfkrieg oder ihre falsche Befürchtung, es werde nicht über die Rolle der USA nach dem Ende der bipolaren Welt (als Weltpolizei) gesprochen, erwecken in mir den grausligen Eindruck, daß Kriegspolitik unter dem Deckmantel der differenzierten Betrachtung als anzuwendende Möglichkeit dargestellt wird und daß diese gewaltsame Macht- und Problemlösungsstrategie, die ansonsten aus dem Mund rechter Volksvertreter zu vernehmen ist, nun auch in der taz ihren Platz zu finden scheint.

Was hat Andrea Seibel gegen dieses Tribunal, daß sie, ein offenes Ohr für die Argumente der Kriegstreiber fordernd, durchgehend von der ersten bis zur letzten Zeile dagegen wettert? Sie glaubt doch nicht etwa das Märchen vom guten, selbstlosen Onkel USA, der Unrecht nicht ertragen konnte, schweren Herzens Hiebe austeilte und dabei etwas zu doll zugelangt hat? Oder will sich die taz mit vorsichtigen Mittepositionen zum Massenblatt wandeln? Eine weitere Nummer im Einheitsbrei der Standpunktlosigkeit? Stefan Klein, (West-)Berlin

Frau Seibel tut diese Anhörung ab als „Rache der frustrierten Friedensbewegung“. Sagen Sie, Frau Seibel, sind Sie nicht auch frustriert: über das Umfunktionieren der UNO zum Schirmherrn des US-Militarismus, über die heuchlerische Empörung der Panama-Invasoren über Saddam Husseins Aggression, über die Blackout der US-Presse (aber weitgehend auch in der deutschen Presse), über die Hintergründe und über die Folgen dieses Krieges? „Fakten die niemand negiert.“ Schmarrn, über die Idee, daß wir die Nahost-Konferenzen diesem Krieg zu „verdanken“ haben? Die Anhörung soll nicht Rache sein, sondern Arbeit, Information, Konsolidierung gegen die neue Militarismusvariante der USA und des Nordens gegen den Süden und gegen die Kollaboration der Presse mit den Machtzentren. Ist das nicht mehr ein Anliegen der taz? Dann brauche ich sie nicht mehr. Denn solch angepaßte Polemik kann ich auch in der 'SZ‘ lesen! Sue Dürr, München

[...] Als am Anfang dieses Jahres hier in Münster mehrere Demonstrationen gegen den Golfkrieg stattfanden, skandierte eine kleine Gruppe von TeilnehmerInnen jedes Mal die Parole: „U-S-A — internationale Völkermordzentrale!“ Daß es Saddam Hussein war, der das kurdische Volk mit Giftgas (Halabja 1988) und Napalm zu vernichten suchte (und dieses Ziel auch heute noch — neuerdings mit tatkräftiger Unterstützung des Nato-Mitglieds Türkei — uneingeschränkt verfolgt), und daß er es war, der seine Truppen in das nahezu wehrlose Kuwait einmarschieren und Hunderte von Kuwaitis auf brutalste Weise zu Tode foltern ließ — davon wollten diese DemonstrantInnen offenbar nichts wissen; es genügte ihnen, voller Stolz ihren kruden Anti-Amerikanismus zur Schau zu stellen. Bei einigen anderen ProtestiererInnen machte sich daraufhin Unmut breit, der aber leider nicht laut genug geäußert wurde — auch von mir nicht, wie ich zugeben muß.

Es sieht so aus, als ob in diesen Tagen eine ähnliche Show — wenn auch auf einer höheren Ebene — noch einmal abgezogen werden soll. Wenn dieses „Anhörung zum Golfkrieg“ und das anschließende „Tribunal“ sich nur mit den Kriegsverbrechen der USA befassen und nicht auch den Hauptverantwortlichen für den Krieg, nämlich Saddam Hussein, beim Namen nennen, dann wird das Ganze zu einer erbärmlichen Farce. Saddam, dessen feister Wanst so rund ist wie eh und je und der das irakische Volk die bittere Suppe auslöffeln läßt, die er ihm eingebrockt hat, wird dem „Tribunal“ sicher Beifall spenden. In Rußland gibt es ein Sprichwort: „Wer nur die halbe Wahrheit sagt, der lügt.“ [...] Benedikt Jürgens, Münster

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