: Ein Felix gegen den Europudding
■ Zur Verleihung des Europäischen Filmpreises in Babelsberg/ Gewonnen haben Ken Loach und Jaco van Dormael
Vor allem wurde beschworen: die Existenz des europäischen Kinos, das Vorhandensein von Stars, der glückliche Felix. Daß er zwar klein sei, erst vier Jahre alt, aber schon ein bißchen laufen und auch sprechen könne (O-Ton Bertolucci) und überhaupt eben der Bruder vom Oscar. Auf die Verwandtschaft legte man Wert: nicht nur, daß Robert Wise von der amerikanischen Academy of Motion Pictures persönlich anwesend wohlwollende Worte fand, nicht nur daß die European Cinema Society unter Vorsitz von Ingmar Bergman sich nun passend in European Film Academy umbenannt hat. Auch sonst mühte sich die Gala- Show in den Babelsberger Filmhallen um möglichst exaktes Imitieren der Oscar-Verleihung. Laser-Lichtspiele und Giorgio-Moroder-Musik, Ballett und Pappmaché, Filmausschnitte in Videoclip-Manier und handgestrickter Wortwitz, von Johannes Willms und Desirée Nosbusch betulich über die diversen Rampen der Metropolis- Halle gebracht. Gelacht wurde selten. Karniggels-Regisseur Detlev Buck bemerkte treffend, die Light-Show in seiner Heimatdisco sei besser, und Moderator Willms ließ sich auf der Herrentoilette gar beim Auswendiglernen seiner Bonmots ertappen. Der Fehler steckte weniger in den Details als in der Gesamtkonzeption. Warum muß es ausgerechnet der Oscar sein, den nachzuahmen sich alle so redlich bemühen? Warum kann das europäische Kino seine Feste nicht anders feiern? Schon wegen des hierzulande nicht existenten Starsystems kann die Rechnung nicht aufgehen: Nicht selten fragten die illustren Gäste einander ratlos, wer denn das auf der Bühne nun gerade wieder sei. Auch die Nominierungs-Prozedur selbst ist ein heikles Unterfangen. Aus komplizierten Vorauswahlverfahren (26 Länder schicken je einen Spielfilm, einen Erstlings- oder zweiten Film und einen Dokumentarfilm ins Rennen) ergeben sich schließlich drei Debütanten und drei Spielfilme als Favoriten. Die Vorauswahl ist nicht selten obskur: So wurde für Deutschland ausgerechnet Schlöndorffs Homo Faber nominiert — die amerikanische Fassung eines Schweizer Romans. Ein Votum von unfreiwilliger Komik, das durch komplette Mißachtung bei der Felix-Vergabe seine angemessene Würdigung erfuhr. Alle Einzelpreise dürfen ebenfalls nur an diese sechs Favoriten vergeben werden. Gehäufte Preise also für wenige Filme, gleich vier etwa für den belgischen Streifen Toto der Held: sicher das sehenswerteste europäischen Debüt der Saison, aber ein Felix hätte vielleicht genügt. Überdies werden die Endsieger nicht von einer Jury ermittelt, sondern von den Mitgliedern der Filmakademie (wie beim Oscar): Der Felix ist eine Mehrheitsentscheidung. Getroffen wird sie von den in die Akademie auf Lebenszeit aufgenommenen Regisseuren, Produzenten und Schauspielern: ein prominenter Club unter Vorsitz von Wenders und Szabo, mit Vorstandsmitgliedern wie Ben Kingsley, Hark Bohm, von Trotta, Saura und Jiri Menzel. Ein Verein der Mittvierziger, saturiert und allenthalben anerkannt: Man kennt sich aus Hotelbars und Festivalempfängen. Kein Zufall, daß die European Cinema Society in einer Suite des Kempinskis ins Leben gerufen wurde. Die jüngeren Filmemacher, die eine Akademie und den Felix gerade nötig hätten, bleiben fürs erste außen vor. Bleibt der Hauptgewinner. Nicht Jacques Doillons Der kleine Gangster — dabei stellt allein das Gesicht des Hauptdarstellers Gérald Thomassin die Masse des Euro-Kinos '91 in den Schatten —, sondern Riff Raff von Ken Loach. Eine traurig- komische Sozialkomödie aus dem Postthatcher-England, die Helden sind Bauarbeiter, junge Arbeitslose, eine erfolglose Popsängerin. Sie sprechen normales Englisch — also eines, das unsereins nicht versteht, haben alltägliche Sorgen, sind witzig, klug, herzlich, gemein, kurz: normal. Ken Loach zeigt das Gewöhnliche als das Besondere. Den ersten Felix bekam 1988 Kieslowskis Kurzer Film über das Töten: auch ein Film gegen den Euro-Pudding. In Großbritannien lief Riff Raff mit drei Kopien und ging unter. Der Felix kann daran vielleicht etwas ändern. Ein Lichtblick, immerhin.
Christiane Peitz
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