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HEIMGEKOMMEN Von Mathias Bröckers

Ein Bekannter erzählte unlängst von einem russischen Theater-Regisseur, der vor den Stalinisten nach Deutschland geflohen war; erst mit Beginn der Perestroika Ende der 80er Jahre konnte er, als alter Mann, seine Heimat wieder besuchen. Nach der Ankunft in Moskau wurde er beim Verlassen des Flughafens von einem Taxi überfahren.

Der Philosph Villem Flusser, der 1933 vor den Nazis aus der Tschechoslowakei fliehen mußte und später in Brasilien und Frankreich lebte, kehrte im November 1991 zum ersten Mal wieder in seine alte Heimatstadt Prag zurück. Auf der Rückfahrt fuhr er auf einen stehenden Lkw und kam ums Leben.

Diese tragischen Unfall-Geschichten muten auf seltsame Weise versöhnlich an — daß die Verunglückten „heimgekommen“ sind, scheint ihrem plötzlichen Tod etwas von seinem Schrecken zu nehmen. Ein Schicksal erfüllt sich, eine Geschichte kommt zu ihrem Ende, ein Kreis schließt sich — so lautet die merkwürdige Logik, der diese Unfälle zu folgen scheinen. Es ist eine merkwürdige Ortsmagie, die hinter dieser Logik steckt — das Logische, irgendwie Selbstverständliche, das dem Tod des endlich Heimgekommenen anhaftet, beruht letztlich auf einem Glauben an die Magie des Ortes. Und wollte man, im Zuge des neuen Nationalismus, den wieder ins Spiel gebrachten Begriff „Heimat“ diskutieren, könnte man die Logik dieser Unfälle als Argument dafür anführen, daß es so etwas wie Heimat wirklich gibt.

Villem Flusser schrieb: „Bei der Geburt wurde ich in ein Gewebe geworfen, das mich mit Personen verband. Ich wählte dieses Gewebe nicht aus. Beim Leben, und vor allem beim Herumziehen, webte ich eigene Fäden ein, die mich mit Personen verbinden, und ich webte sie in Zusammenarbeit mit diesen Personen. Der Patriotismus ist schädlich, weil er die auferlegten Fäden aufnimmt und glorifiziert und die selbstgeschaffenen Fäden gering achtet.“

Das Herumziehen war für Flusser ein schöpferischer Akt: „Die Migration ist eine kreative Situation. Und eine schmerzhafte. Wer die Heimat verläßt (aus Zwang oder freier Wahl, beides ist schwer zu unterscheiden), leidet. Denn tausend Fäden verbinden ihn mit der Heimat, und wenn diese durchschnitten sind, ist es, als hätte ein chirurgischer Eingriff stattgefunden. Als ich aus Prag vertrieben wurde (oder die mutige Entscheidung traf, zu fliehen), durchlebte ich den Zusammenbruch des Universums. Ich verwechselte mein Inneres mit der Welt da draußen. Ich litt unter dem Schmerz der durchschnittenen Fäden. Aber dann, im London der ersten Kriegsjahre und beim Vorahnen der Schrecken der Lager, begann ich mir darüber klar zu werden, daß es nicht die Schmerzen eines chirurgischen Eingriffs waren, sondern die einer Entbindung. Ich merkte, daß die durchtrennten Fäden mir Nahrung zugeführt hatten, und daß ich jetzt in die Freiheit geworfen war. Ich wurde vom Schwindel der Freiheit erfaßt, der sich darin zeigt, daß sich die Frage nach ,frei wovon?‘ in die Frage ,frei wozu?‘ verkehrt. Und so sind wir alle Migranten: Wesen, die vom Schwindel ergriffen sind.“

Ich glaube, es ist eher dieser Schwindel, diese Turbulenz, die uns diese Unfälle als logisch erscheinen lassen: Weil sie am selben Ort enden wo sie anfingen, werden sie nur zufällig sichtbar. Dahinter steckt nicht eine verschüttete Ortsmagie, sondern eine viel ältere Ahnung: an die Zyklizität des Lebens.

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