: Von der Parole zur Brandflasche
Haftstrafen zwischen einem und vier Jahren gegen Hertener Skinheads/ Brandanschläge auf Flüchtlingsheim und Moschee gingen glimpflich aus/ Jugendkammer sieht Chancen ■ Aus Recklinghausen W. Jakobs
Der Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim in Hünxe fand Monate später statt, doch Hünxe war in den letzten Wochen im Recklinghausener Gerichtsgebäude immer präsent. Grausam entstellte, schwerverbrannte Flüchtlingskinder, diese Folgen des rechten Terrors hätte es auch bei den in Recklinghausen angeklagten Taten geben können. Eingang in die Strafzumessung habe das Verbrechen von Hünxe aber nicht finden dürfen, befand das Gericht, denn die von sechs Skinheads verübten Brandanschläge in Herten lagen zeitlich davor. Ernsthaft verletzt wurde bei den Hertener Anschlägen niemand. Von diesem Zufall profitierten auch die Angeklagten. „Passiert ist zum großen Glück der Angeklagten nicht viel“, so die Vorsitzende der 2. Jungendstrafkammer des Recklinghausener Landgerichts. Der Molotowcocktail (siehe taz vom 21.11.) verfehlte sein Ziel, die zuvor geworfenen Steine landeten nicht im Schlafzimmer, sondern in der Küche. „Es hätte aber auch ein Schlafzimmer sein können“, meinte Dr. Hahn-Kemmler, in das die Steine in der Nacht zum 1.12.90 landeten. Ein paar Tage zuvor hatten drei Skinheads, „angetrieben vom Ausländerhaß“, wie es in der Urteilsbegründung am Dienstag hieß, Steine und einen Molotowcocktail in eine türkische Moschee geworfen. Das Feuer richtete keinen größeren Schaden an. Der in einem Nebenraum schlafende Vorbeter erlitt eine leichte Rauchvergiftung. Der 22jährige Lars B., maßgeblich an beiden Verbrechen beteiligt, wurde wegen versuchter schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung zu vier Jahren Haft verurteilt. Der zweite Haupttäter, der 21jährige Oliver G., seit Jahren in der rechtsradikalen Szene im Recklinghausener Raum aktiv, erhielt eine Strafe von drei Jahren und sechs Monaten. Beide wurden im Gerichtssaal sofort nach Urteilsverkündung wieder verhaftet, nachdem sie im September vorübergehend aus der U-Haft entlassen worden waren. Die zwischen einem und zwei Jahre liegenden Haftstrafen gegen die drei Mittäter und die 20jährige Mittäterin Melanie. H. wurden sämtlich zur Bewährung ausgesetzt. Bei der Strafzumessung blieb das Gericht nur unwesentlich hinter den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurück. Die Angeklagten wollten nach der Überzeugung des Gerichts „keinen Menschen töten“. Deshalb scheide eine Verurteilung wegen versuchten Mordes aus. Es sei ihnen darum gegangen, die Flüchtlinge zu schocken und sie auf diese Weise aus Deutschland zu vertreiben. Ihre „Antriebsfeder“ sei der „Ausländerhaß“ gewesen, eine „äußerst verwerfliche Motivation“, die in die Gewalttaten gemündet habe. Die Kammer glaube, daß die Verurteilten „in Zukunft keine Gewalttaten gegen Ausländer mehr begehen werden“. Alle Angeklagten hätten sich von den Taten distanziert, aber, so fügte die Gerichtsvorsitzende vorsichtig hinzu, „von Reue will ich nicht sprechen“. An einen Bruch mit dem rechtsradikalen, ausländerfeindlichen Gedankengut, so kann man diese Worte der souverän agierenden Kammervorsitzenden wohl zu Recht deuten, mag auch das Gericht nicht bei allen Angeklagten glauben. Aber, so die Richterin, „Ausländerfeindlichkeit, die nur gedacht wird, ist nicht strafbar“.
Daß längst nicht alle Angeklagten die Trennung von der rechtsradikalen Szene vollzogen haben, belegt nicht zuletzt deren Kontaktpflege vor und nach der Urteilsverkündung mit den Zuschauern. Von der rechtsradikalen Szene der Region waren alle vertreten. Skins und Reps, FAP-Anhänger und diverse andere Neonazis, sie alle verfolgten den Prozeß — ohne jede Störung. Daß einer von ihnen durch die Urteile abgeschreckt worden sein könnte, ist kaum zu erwarten. Aber, und darauf verwies Richterin Hahn-Kemmler zu Recht, es „ging bei der Strafzumessung nicht darum, aus generalpräventiven Gründen ein wegweisendes Urteil“ zu fällen, sondern ein den Tätern und den Taten angemessenes. In diesem Sinne hat das Recklinghausener Gericht gute Arbeit geleistet. Von dem leisen, höflichen Ton, etwa des Haupttäters Lars B., hat sich das Gericht nicht einfangen lassen. Daß die Aussagen des vom Punk zum Skin konvertierten Lars B., der bis zur 11. Klasse die Waldorfschule besuchte, mitunter allein der Prozeßtaktik geschuldet waren, blieb dem Gericht nicht verborgen.
Was Kenner der rechtsradikalen Jugendszene, etwa der Bielefelder Pädagoge Wilhelm Heitmeyer, seit langem predigen, hat sich in diesem Prozeß erneut gezeigt: Der radikale Ausländerhaß bei Jugendlichen gründet sich nicht im wesentlichen auf wirtschaftliche Verelendung, auf Wohnungsnot oder Arbeitslosigkeit, sondern die Wege zum Haß sind so verschlungen, daß sie Außenstehende kaum nachvollziehen können. Alle Angeklagten haben nach der Schule einen Ausbildungsplatz gefunden; der siebzehnjährige Zimmermannslehrling Maik L. spricht sogar von seinem „Traumjob“. Die Wohnsituation der Hauptangeklagten Lars B. und Christian D., aber auch die von Maik L., läßt sich nur als komfortabel bezeichnen. Alle drei wohnten in abgetrennten Bereichen im elterlichen Haus.
Eine biographische Gemeinsamkeit fällt indes auf. Nur einer der sechs Angeklagten wuchs zusammen mit beiden leiblichen Elternteilen auf. Vier von ihnen erlebten die Trennung ihrer Eltern im Alter zwischen zwei und zehn Jahren. Der leibliche Vater von Frank S. starb, als der Junge gerade drei Jahre alt war. Als „äußerst problematisch“ hat die 20jährige Melanie H. ihr Verhältnis zur eigenen Mutter charakterisiert. Ein behütetes Zuhause habe ihr jahrelang gefehlt. Ihre „chaotische Kindheit“ habe zu „erheblichen Reifeverzögerungen“ geführt. Zu einem ähnlichen Befund kam die Kammervorsitzende auch beim Haupttäter Lars B., der unter „den Konflikten im Elternhaus“ als Kind sehr gelitten habe. Auch der zweite Haupttäter Oliver G. habe eine „schwierige Kindheit“ gehabt. Das wiederum läßt sich von Christian D. nicht sagen. Der 20jährige wuchs im Elternhaus zusammen mit den Großeltern auf. Sein Großvater saß für die SPD jahrelang im Hertener Stadtrat — schon fast eine sozialdemokratische Musterfamilie. Christian D. im Gericht: „Ich weiß auch nicht, warum ich so extrem geworden bin.“
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