INTERVIEW
: Patriarchales Rollback

■ Rechtsprofessorin Monika Frommel zum BGH-Urteil

taz: Der Bundesgerichthof hat das Urteil gegen Theissen nur im Strafmaß aufgehoben. Wie hart ist der BGH-Spruch?

Monika Frommel: Es ist der minimalste, der noch denkbar war. Damit hat der BGH, soweit er konnte, die Prozesse in Memmingen legitimiert. Der Verjährungsfehler war eindeutig. Da kann niemand, der rechnen kann, eine andere Meinung dazu haben. Alle übrigen strittigen Rechtsfragen hat der BGH nicht zugunsten des Arztes, seiner Verteidigung und der betroffenen Frauen geklärt.

Was zu befürchten stand, ist also geschehen: Der BGH hat „inhaltlich“ Stellung bezogen...

Zum Paragraphen 218, obwohl er das nicht gemußt hätte. Sprich: Er hat die prozessualen Rügen der Verteidigung sehr schnell und mit sehr engen Begründungen abgelehnt. Erstens das Befangenheitskarussell der Richter. Da hätte man sich einfach mit dem Zweiten Strafsenat absprechen und eine klare Rechtsprechung festigen können. Schwerer aber wiegt die Problematik der beschlagnahmten Patientinnenkartei, also Paragraph 97 Strafprozeßordnung, der Beschlagnahme nicht unterliegende Gegenstände.

In die Rechtsfrage über ein grundrechtliches Beschlagnahmeverbot von ganz bestimmten, die Intimsphäre betreffende Daten ist der BGH nicht eingestiegen. Das ist sehr bedauerlich. Die Richter hätten überlegen können, ob nicht unter den Gesichtspunkten des Datenschutzes und des Schutzes der Intimsphäre Paragraph 97 weit auszulegen und zu sagen ist: auch wenn der Arzt nicht als Zeuge, sondern als Angeklagter vor Gericht steht, muß die Wahrung des ärztlichen Vertrauensverhältnisses zur Patientin so gewichtig sein, daß nach Möglichkeit solche Daten nicht verwendet werden, um Strafverfahren zu initiieren.

War mit einem solchen Urteil zu rechnen?

Ja — wenn man die Memminger Verfahren als Rollback des Patriarchats interpretiert. Die bayerischen Richter werden nicht entwaffnet, sie werden nur von oben angewiesen, nicht so heftig und nicht so weit zu schießen.

Was heißt das Urteil für die aktuelle Debatte um die Neuregelung des Paragraphen 218?

Es signalisiert der Gesetzgebung, daß sie endlich zu einer Entscheidung kommen muß. Mit dem geltenden Recht kann man nicht mehr arbeiten. Der BGH hat aber nicht vermocht, das Gesetz so auszulegen, daß es einen neuen Kompromiß ermöglicht. Die Richter sagen, wenn es ein Indikationenmodell gibt, dann werden Gerichte darüber auch entscheiden. Insofern müssen alle diejenigen, die ein reformiertes Indikationenmodell im Sinn haben, einsehen, daß das vor deutschen Gerichten nie halten wird. Einen solchen Kompromiß kann man vielleicht in Frankreich machen, aber nicht in einer so militanten Gesellschaft wie der Bundesrepublik.

Und was bedeutet das Urteil für Herrn Theissen und seine Patientinnen, die damals vors Memminger Gericht gezwungen wurden.

Ich hoffe nicht, daß die Augsburger Richter das ganze Verfahren neu aufrollen. Das wird sich noch zeigen, wenn die schriftliche Begründung des BGH vorliegt. Es ist aber nicht auszuschließen, daß die Zeuginnen wieder vor Gericht gezwungen werden. Für Herrn Theissen ist das Urteil persönlich eine Niederlage. Die Kostentragungspflicht wird ihn weiter ruinieren, er kann höchstens hinsichtlich der Strafhöhe Hoffnung haben. Interview: Ulrike Helwerth