: Armee droht Osijek abzuschneiden
■ Das kroatische Parlament berät über ein Gesetz zum Schutz der serbischen Minderheit/ Die jugoslawische Marine gibt Seeblockade der Adriahäfen auf — nur Dubrovnik bleibt weiter blockiert
Belgrad/Zagreb (ap) — Die Waffenruhe im ostslawonischen Osijek dauerte offenbar gerade so lange, wie der UNO-Sonderbeauftragte für Jugoslawien, Cyrus Vance, die von der jugoslawischen Armee angegriffene kroatische Stadt besuchte. Kaum war der hohe Gast aus dem Kampfgebiet wieder Richtung Belgrad abgereist, setzte ein Trommelfeuer aus schweren Waffen ein. Im Mittelpunkt der Gespräche zwischen Vance und dem jugoslawischen Verteidigungsminister Kadijević standen am Mittwoch Falschinformationen der Armee über die Lage in der belagerten Stadt. Aus diplomatischen Kreisen wurde bekannt, die Armee habe Vance gegenüber behauptet, daß Osijek nicht beschossen werde. Vance hatte bei seinem Besuch nun einen genau gegenteiligen Eindruck gewonnen. Vance erklärte nach der Unterredung nur: „Wir hatten eine umfangreiche Debatte, die heute morgen eine lange Zeit in Anspruch nahm.“ Für den Nachmittag war ein Treffen zwischen Vance und dem kroatischen Präsidenten Franjo Tudjman, der heute in Bonn erwartet wird, angesagt.
Der kroatische Parlamentspräsident Zarko Domljan bestätigte in Zagreb, daß Bonn ein Minderheitenschutzgesetz mit Verfassungsrang zur Voraussetzung für die Mitte Dezember in Aussicht gestellte diplomatische Anerkennung gemacht habe. In Zagreber Rundfunk schränkte er allerdings ein, daß das Gesetz erst nach Ende des Krieges und nach den von Tudjman in Aussicht gestellten Neuwahlen in Kraft treten könne.
Der Gesetzentwurf beruht nach Angaben des Rundfunks auf einer Einigung zwischen der Haager Friedenskonferenz der EG mit den politischen Führern Jugoslawiens. Er sieht weitgehende Selbstverwaltungsrechte einschließlich einer eigenen Polizei für Minderheiten in Gebieten vor, wo sie die Mehrheit der Bevölkerung stellen. — Die Friedenskonferenz unter Leitung des früheren britischen Außenministers Lord Carrington soll am 9.Dezember erneut zusammentreten. Die Konferenz war vor einem Monat wegen der ständigen Waffenstillstandsverletzungen auf unbestimmte Zeit ausgesetzt worden.
Im erneuten Beschuß von Osijek kamen nach kroatischen Angaben zehn Menschen um, neun weitere wurden verwundet. Auch die Vororte Valpovo und Belisce lägen unter schwerem Feuer. In der Armeekaserne von Karlovac, 60 Kilometer südlich von Zagreb, seien Explosionen zu hören gewesen. An der Front vor Nova Grandiska in Westslawonien werde wieder gekämpft. Die Stadt ist von Soldaten der Bundesarmee und serbischen Freischärlern umstellt. Sollte sie erobert werden, wären Osijek und weitere Städte Ostslawoniens vom übrigen Kroatien abgeschnitten. Auch Gospic im dalmatischen Hinterland ist unter Mörserfeuer gekommen. Der kroatische Generalstab teilte mit, die Bundesarmee ziehe in der Region Truppen zusammen und versuche die Verbindung zwischen Zagreb und Rijeka abzuschneiden, die letzte noch intakte Verbindung zwischen der kroatischen Hauptstadt und der adriatischen Küste.
Andererseits wurde in den kroatischen Adriahäfen am Dienstag die von der jugoslawischen Kriegsmarine verhängte Seeblockade fast völlig aufgehoben. Lediglich in Dubrovnik war sie noch in Kraft. Die Bundesarmee verlangt weiterhin den Abzug aller kroatischen Polizisten aus der Stadt.
Die kroatische Regierung hat inzwischen einen Erlaß von Präsident Tudjman bestätigt, wonach alle Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren einer Arbeitsverpflichtung nachkommen müssen. Damit soll die Umstellung der Wirtschaft auf Produktion unter Kriegsbedingungen unterstützt werden. Nach amtlichen Angaben sind die Industrieanlagen Kroatiens bereits zu 40 Prozent zerstört.
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