: »Gleiches Recht für alle«
■ Interview mit Bert Flemming, zurückgetretener Vorsitzender der Ehrenkommission der Humboldt-Universität/ Was für Fink gilt, müsse für alle Gekündigten an der Uni gelten
Aus Protest gegen das Unvermögen der Leitung der Humboldt-Universität trat der Vorsitzende der Ehrenkommission, Bert Flemming (47), am Mittwoch zurück. Die Leitung sei nicht in der Lage, die existentiellen Probleme der Universität zu beraten und entsprechende Beschlüsse zu fassen. Mit der Handlungsweise im Fall Heinrich Fink sei die Arbeit der Ehrenkommission als ein Instrument der Erneuerung gescheitert. Diese Kommission soll nach Anhörungen von politisch belasteten Mitarbeitern über deren Weiterbeschäftigung entscheiden. In der Rücktrittserklärung von Bert Flemming heißt es unter anderem, diese Verfahrensweise der Ehrenkommission sei im Lichte der jüngsten Entscheidungen des Konzils zum Nachteil der bislang wegen Stasi-Mitarbeit Gekündigten getroffen worden.
taz: Können Sie diesen Vorwurf präzisieren?
Bert Flemming: Das Konzil und der Akdemische Senat haben beschlossen, daß der Rektor nach den Gauck- Befunden weiter im Amt bleibt. Es ist doch so: Keiner weiß, wer die Wahrheit sagt. Wir haben während der Erneuerung die Leute aufgefordert, von sich aus vor der Ehrenkommission offen auszusagen, ob sie bei der Stasi waren. Nach langen Gesprächen haben wir darüber entschieden, ob sie für die Uni zumutbar sind oder nicht. Unsere Überlegung dabei war: Selbst wenn die Leute geschwiegen hätten, wären sie um eine Überprüfung durch die Gauck-Behörde nicht herumgekommen.
Wenn jetzt aber das Konzil Gaucks Bescheid für fragwürdig erklärt, dann hätten wir den Mitarbeitern, die bereits vor der Kommission ausgesagt haben, raten müssen, dies nicht zu tun. Sie hätten erst auf den Gauck-Befund warten sollen, damit sie sich nicht selber schaden. Anschließend hätten sie die Vorwürfe vor Gericht überprüfen lassen können. Das wäre die gleiche Vorgehensweise, wie sie derzeit im Fall Fink praktiziert wird.
Aber das Recht, nach einer Entlassung zu klagen, hatten doch auch die vor Fink Gekündigten?
Das Recht hatten sie — aber sie blieben ja nicht im Amt. Normalerweise hat man die Leute entlassen und dann war Feierabend. Jetzt hat das Konzil beschlossen, da die Sache fraglich erscheint, erst gerichtlich zu klären, ob jemand im Amt bleibt. Das möchte ich dann für alle anderen auch. Manche sind ohne Anhörung entlassen worden, nur aufgrund eines Kreuzes im Fragebogen. Dagegen hat die Ehrenkommission protestiert. Aber weder die Uni noch der Senat oder der Rektor haben etwas unternommen.
Aber für Fink gab es auch keine Anhörung.
Das ist nicht richtig. Herr Fink ist von Wissenschaftssenator Manfred Erhardt angehört worden. Darüber liegt ein längeres Protokoll vor. Fink verhält sich widersprüchlich: Einerseits bestreitet er die Anhörung, andererseits erklärt er auf öffentlichen Veranstaltungen das Gegenteil.
Sie behaupten, mit den universitären Entscheidungen im Fall Fink hätten sich die Grundlagen für die Erneuerung der Universität geändert.
Bisher war es an der Universität Konsens, daß die Materialien der Gauck-Behörde vorrangig als Verhandlungsgegenstand betrachtet wurden. Aus der Aktenlage und den Aussagen der Betroffenen vor der Ehrenkommission haben wir uns ein Bild gemacht. Nur so konnten wir — anders als viele öffentliche Einrichtungen — die Weiterbeschäftigung von ehemaligen Stasi-Mitarbeitern an der Humboldt-Universität für zumutbar erklären. Wenn jetzt die Aussagen der Behörde von Joachim Gauck von vornherein in Frage gestellt werden, ändert sich die Grundlage für unsere Arbeit.
Haben Sie das Gefühl, daß die Einigkeit in den leitenden Gremien der Universität eine offensive Auseinandersetzung mit der Stasi-Problematik an der Uni verhindert?
Ich hoffe nicht. Aber es herrscht ein Klima, das eine richtige Auseinandersetzung augenblicklich nicht zuläßt. Im Akademischen Senat werden Entscheidungen ohne Diskussionen und nur auf emotionaler Basis getroffen. Das Schwierige ist hier die Verquickung persönlicher mit institutionellen Fragen. Ich war dafür, diese Fragen unbedingt voneinander zu trennen. Alles hängt miteinander zusammen: Gauck, Fink als Person, seine Vergangenheit, die Universität, der West-Ost-Konflikt und auch der Ost-Ost-Konflikt. Aber diese Verquickung halte ich für gefährlich.
Bedeutet Ihr Rücktritt dann auch, daß die Arbeit der Ehrenkommission gescheitert ist?
Zumindestens was die Stasi-Problematik betrifft. Aber auch der Sinn dieses Gremiums hat sich erledigt. Unser Verfahren beruhte ja auf einem idealen Anspruch: Die Erneuerung sollte von innen geschehen. Das heißt, die Leute kommen von sich aus zu uns und reden. Wir mußten selbst erleben, daß Professor Fink sich nicht an uns gewandt hat, obwohl er schon am 28.Oktober alle gegen ihn gerichteten Vorwürfe von der Gauck-Behörde erhalten hatte. Diese sind ihm zwar erst am 25.November offiziell mitgeteilt worden, aber als Fink in der Zwischenzeit wegen einer anderen Sache bei uns im Ehrenausschuß saß, hatte er sich nicht dazu geäußert.
Werfen Sie Fink jetzt Doppelzüngigkeit vor?
Ich werfe ihm zumindest vor, daß er seine Kenntnisse bei uns nicht zur Sprache gebracht hat. Ein Teil der Mitglieder des Ausschusses fühlt sich daher an der Nase herumgeführt.
Haben Sie das Gefühl, als hochschulpolitischer Sprecher der SPD und als Vertreter eines eigenen Erneuerungsweges der Humboldt- Universität in einem ständigen Interessenkonflikt gestanden zu haben?
Diesen Konfklikt habe ich immer gespürt. Eigentlich könnte ich als hochschulpolitischer Sprecher nicht Mitglied des Akademischen Senates der Humboldt-Universität sein. Aber in dieser besonderen Situation war es zeitweise sogar sehr nützlich und wurde von den Uni-Gremien auch so gewollt. Obwohl ich Mitglied der Großen Koalition bin, stimme ich nicht in allen Punkten mit dem CDU-Wissenschaftssenator Manfred Erhardt überein. Unmittelbar nach der Kündigung Finks war ich durchaus auf Erhardt wütend, weil mir das Verfahren gegen Fink zu übereilt erschien. Nachdem ich aber mit ihm und anderen gesprochen habe, stellte ich fest, daß der Senator nicht anders handeln konnte.
Glauben Sie also doch den Gauck-Akten?
Ob diese stimmen oder nicht, dafür muß Gauck einstehen. Die Konsequenzen mußte in diesem Fall Erhardt ziehen. Wenn Fink sich zurückgezogen hätte und er später von einem Gericht Recht bekommen hätte, wäre er der gemachte Mann und Rektor auf Lebenszeit. Das Gespräch führten Severin Weiland und Anja Baum
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