Warteschleifen am Kiosk

Der Kommunismus geht, die Presse kommt: Bulgariens Medien im Wandel  ■ Aus Sofia Ralf Petrovi

Trotz der vielen vom „real existierenden Sozialismus enttäuschten Bulgaren, blieb hier der Protest nach dem Vorbild „Wir sind das Volk“ aus. Die sich um den heutigen Staatspräsidenten Dr. Shelju Shelew gruppierten Intellektuellen versuchten das enttäuschte Volk für ihre antikommunistische Ideen zu gewinnen, konnten aber die Massen nicht medienwirksam erreichen.

Trotz breit propagierter Wende blieben Presse, Funk und Fernsehen weiterhin unter der anspruchsvollen Kontrolle altgedienter Parteisekretäre und promovierter Ideologen. Nur zögernd und mit deutlichem Unbehagen gestattete das sich bereits auf tönernen Füßen befindende Regime der Opposition die Herausgabe einer eigenen Zeitung. Obwohl das Blatt 'Demokrazija‘ auf dem miserabelsten Papier und in einer noch schlechteren Druckqualität erschien, stellten sich unzählige Bulgaren noch um Mitternacht an den Zeitungskiosken an, um am kommenden Morgen ein Exemplar der ersten nicht-kommunistischen Zeitung seit 45 Jahren lesen zu können. Trotz geringer Auflage erreichte 'Demokrazija‘ einen breiten Leserkreis, das Blatt wurde von Hand zu Hand weitergereicht und anschließend in die Provinz an Verwandte und Freunde geschickt, da die fürs Land bestimmten Exemplare in der Regel mysteriös verschwanden.

Das neue oppositionelle Blatt durchbrach das alte kommunistische Informationsmonopol, ignorierte jegliche Zensur und sorgte für einen Boom, wie ihn Mitte der 80er Jahre die sowjetische Presse schon einmal verursacht hatte. Im Zuge von Glasnost und Perestroika hatten Rußlands Journalisten unter Gorbatschow die Schwächen des Systems in Angriff genommen und Tabuthemen ans Tageslicht gebracht und somit auch unter den fast 100prozentig der russischen Sprache mächtigen Bulgaren ein breites Publikum gefunden. In den sonst so öden und eintönigen sowjetischen Zeitungen und Zeitschriften fand man plötzlich das, was einheimische Medien nicht einmal zwischen den Zeilen zu drucken wagten. Ähnlich wie in der ehemaligen DDR, in der die sowjetische Zeitung 'Sputnik‘ über Nacht verschwand, blieben auch etliche andere Ausgaben aus dem Bruderland in Bulgarien aus, da sie „subversive Informationen“ über Sofias Machthaber enthielten.

Ende 1991, bereits zwei Jahre nach der Wende, bietet der neue Abo-Katalog der Post weit mehr Spektakuläres und Sensationelles, als man sich je hätte träumen lassen. Die Palette enthält sämtliche, private und Parteiblätter, von ganz links bis ultrarechts, von Kunst, Politik und Wissenschaft bis hin zu Sex, Crime und Esoterik. Infolge der allgemeinen Lebenszeuerung stiegen die Preise für Zeitungen und Zeitschriften in Bulgarien bis auf das 20fache in die Höhe, die dann so manchen kühnen Verleger in den Bankrott stürzten. Und dennoch stehen dem lesefreudigen Bulgaren heute über 300 verschiedene Titel zur Auswahl. Eine für das neun Millionen Einwohner zählende Bulgarien doch beachtliche Zahl.

„Jeder, der etwas auf sich hält, verlegt seine eigene Zeitung“, lautet auch weiterhin das Motto unter den hiesigen Intelektuellen. Doch nicht nur unter ihnen. Das Herausgeben einer Zeitung oder Zeitschrift gilt nach wie vor als ein gewinnbringendes und angesehenes Geschäft. Nobeldiskotheken haben heute ebenso ihr eigenes Wochenblatt, wie Bierbrauereien, der Verband der Bettler oder Anhänger okkulter politischer Bewegungen, nicht selten wird eine Wochenzeitung von sechs oder acht Seiten von einzigen sich selbst zum Journalisten ernannten Redakteur verfaßt und auch gelesen. Das Verlegen von Zeitungen ist gleichzeitig ein recht lukrativer Weg, alte Parteigelder reinzuwaschen. Wenn man heute Bulgariens Printmedien betrachtet, entsteht der Eindruck, als hätte es in diesem Land noch nie eine Zensur gegeben. Anders sieht es noch bei den elektronischen Medien aus. Sowohl die Ex-Kommunisten als auch die Neo-Demokraten scheinen im geheimen Bündnis keinen frischen Wind in Funk und Fernsehen zulassen zu wollen. Zwar sind die Sendungen deutlich objektiver und informativer geworden, doch individuelle Experimente werden nur mühsam zugelassen. Stets bemüht die sich feindlich gegenüberstehenden politischen Kräfte im Land nicht zu beleidigen, verläuft sich konstruktive Kritik oft im Sand, oder die Moderatoren müssen um ihen Job fürchten.

Zwar liegen dem parlamentarischen Ausschuß für Rundfunk und Fernsehen bereits Dutzende von Bewerbungen für Privatsender vor, doch haben bis dato nur ausländische Anbieter den Segen der Abgeordneten erhalten und sich somit den Zorn der einheimischen Enthusiasten eingehandelt. Die Angst vor einer zu starken politischen Polarisierung des Äthers ist noch zu groß, und so wurden auch die wenigen mutigen Privatsender schnell wieder dicht gemacht und bestraft, ohne daß daraus politische Konsequenzen gezogen wurden.

Die 45 Jahre im Orwellschen Kommunismus gelebten Bulgaren sind hungrig nach Informationen. Letzten soziologischen Untersuchungen zufolge liest der Durchschnittsbürger pro Tag 16 Minuten Zeitung. Weitaus mehr Zeit wird vor dem Fernseher oder mit dem Radio verbracht. Zu totalitären Zeiten, als alle Massenmedien die einheitlich sozialistische Linie durchpeitschten, lautete das Motto einer jeden Zeitung „Proletarier aller Länder vereinigt euch!“. Heute steht in jeder Ausgabe des Organs der bulgarischen Christdemokraten in deutscher Sprache „Keine sozialistischen Experimente!“ und unter dem Logo der derzeit meist gelesenen bulgarischen Tageszeitung '24 Stunden‘, ein der 'Bild‘-Zeitung nachempfundenes Blatt, leuchtet die stolze Aufschrift: „Die Nachrichten, so wie sie wirklich sind!“