piwik no script img

TOURISMUSPOLITIK= WIRTSCHAFTSPOLITIK

■ Eine Gleichung, die aufgeht? Zum zehnjährigen Jubiläum ihrer Tagungen zum Thema Tourismus fragte die Thomas-Morus-Akademie nach politischen Konzepten zu den weitreichenden sozialen, ökonomischen...

Eine Gleichung, die aufgeht? Zum zehnjährigen Jubiläum ihrer Tagungen zum Thema Tourismus fragte die Thomas-Morus-Akademie nach politischen Konzepten zu den weitreichenden sozialen, ökonomischen und ökologischen Auswirkungen dieser Wachstumsbranche. Ein Tagungsbericht

VONEDITHKRESTA

„Tourismus als praktizierte menschliche Freiheit braucht die Politik“, so das Fazit des Präsidenten des Deutschen Reisebüro Verbands (DRV), Otto Schneider, auf einer Tagung der Thomas-Morus-Akademie zum Thema „Tourismus — Stiefkind politischer Interessen?“. Die bisherige politische Auseinandersetzung mit dem Tourismus kann man gelinde als verschlafen bezeichnen, selbst wenn ein tourismuspolitischer Kongreß der CDU im September erhöhte Aufmerksamkeit signalisiert. Und auch das Medienecho zum Thema ist reichlich verhalten. Reisejournalisten amüsierten sich eben lieber auf einer Kreuzfahrt in der Karibik, auf Kosten eines Großveranstalters, als sich in die zugegebenermaßen trockenere Materie hineinzuknien, mokierte sich der Reisejournalist Ferdinand Ranft lakonisch über das überwiegende Nichterscheinen der schreibenden Zunft auf dieser Tagung. Wirtschaftlich sei der Tourismus ein Riese, politisch ein Zwerg, konstatierte der Bundestagsabgeordnete Olaf Feldmann (FDP), Mitglied des vor einem Jahr gegründeten Ausschusses für Fremdenverkehr.

Bislang scheint sich die Beziehung der Politik zum Tourismus stiefmütterlich auf eine reine Wirtschaftsgemeinschaft zu reduzieren. Diese Ansicht erhärteten zumindest die Ausführungen von Dr. Solveen, Referatsleiter für Tourismus im Bundeswirtschaftsministerium. Als Schwerpunkte der Tourismuspolitik benannte Dr. Solveen: Leistungsfähigkeit; Verzahnung von Ökologie und Ökonomie, denn Umwelt muß als Marktchance begriffen werden, als Erfolgspotential und Zukunftssicherung; internationale und bilaterale Zusammenarbeit, wobei im Moment vor allem der Erschließung des osteuropäischen Marktes eine wesentliche Rolle zukäme. Tourismuspolitik als Wirtschaftsförderung und sonst nichts? Selbst den Umweltschutz, der inzwischen in keiner Regierungserklärung zu diesem Thema fehlt, sieht Dr. Solveen in den Händen der Industrie gut aufgehoben. Die Tourismusbranche könne Standards für Umweltschutz setzen. Und Dr. Schneider, der Partner auf dem Podium, fing diesen Ball lässig auf: „Wir müssen den Umweltschutz erst ins Bewußtsein heben.“

Na bestens. Die Veranstalter, nur allzuoft Hauptverursacher von Umweltübergriffen im Tourismus, handeln, die Politiker stärken den Rücken und schaffen die bilaterale Basis. Politischen Handlungsbedarf für die Interessen der Verbraucher, geschweige den im Bereich Planung und Erschließung, wo es immerhin um den Lebensbereich der Menschen geht, erwähnte Dr. Solveen nicht. Seine Ausführungen ließen nicht die geringsten Ansätze tourismuspolitischer Erwägungen erkennen, die sich daran orientieren sollten, wie der Tourismus in die wirtschaftliche, soziale und ökologische Struktur einer Region eingebunden wird, damit er nicht zur sozialen Belastung auswächst. Wirtschaftliche Monokultur, minderwertige Arbeitsplätze, verschandelte Landschaften sind nur einige Folgeprobleme davon. Der Fremdenverkehr ist offensichtlich eine Kuh, die es zu melken gilt, da sie immerhin über fünf Prozent des Bruttosozialprodukts erwirtschaftet und damit weit vor der Landwirtschaft liegt. Darüber hinaus scheint sich für die Politik keine Reibungsfläche mit dem Tourismus zu ergeben.

Primat der Ökonomie

Die Statements der parteipolitischen Vertreter des Ausschusses für Fremdenverkehr zeigten sich in der Materie zwar stärker bewandert, aber auch hier galt das Primat der Ökonomie. Außer daß man darüber hinaus den Eindruck hatte, der moralisch- ethische Impetus der Sanfter-Tourismus-Diskussion habe auf parteipolitischer Ebene voll eingeschlagen. Der CDU-Abgeordnete Rolf Olderog zitierte zumindest häufiger den einsichtigen Touristen zur Lösung sozialer und ökologischer Auswüchse herbei. Nun, irgendwer muß ja wohl handeln, wenn die Politiker keinen Handlungsdruck verspüren. Olaf Feldmann sah in der Gründung des Ausschusses schon einen entscheidenden Fortschritt. Die Prioritätenliste bei den Vertretern der Parteien, neben Olaf Feldmann und Rolf Olderog Carl Ewers von der SPD, war ähnlich gelagert wie bei Dr. Solveen: wirtschaftliche Ergiebigkeit; Förderung des Tourismus in den neuen Bundesländern; Unterstützung der Verbände, wie der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT) und des Deutschen Reisebüro Verbands; und natürlich die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie. Alle Parteien sehen einen wichtigen Schritt dazu in der Förderung des öffentlichen Verkehrsnetzes (Reisen mit der Bahn), die Sozialdemokraten unterstützen darüber hinaus „sanfte Angebote“ (beispielsweise „Sanfter Sommer Saar“, organisiert von den Naturfreunden) und erwägen eine Beschränkung bis hin zum Verbot von naturbedrohenden Sportarten wie Heli-Skiing und Mountainbiking. Dr. Ewers erwähnte selbst die Kurseelsorge als ein Element der Sinngebung im Tourismus.

Geballte Problematik in den neuen Ländern

Trotz soviel Sinngebung fehlt es im Tourismus aber vor allem an sinnvoller Regionalplanung, an der Frage, wie der Tourismus in die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Struktur einer Region eingebunden wird. Die Politiker vom Bund verweisen dabei nach dem Subsidaritätsprinzip auf die Länder; die Länder, wären sie vertreten, verwiesen auf die Bezirke, die Bezirke auf die Kommunen. Die regionalen Planungsgrundlagen, wie Städteplanung, Raumordnungsverfahren, Bauleitplan und Bebauungsplan lassen die Entscheidung letztendlich in den Kommunen, erklärte die Münchener Freizeit- und Sozialforscherin Romeiß-Stracke. Der zuständige Bürgermeister oder Gemeinderat sei nicht nur häufig von den vielversprechenden Angeboten möglicher Investoren beeindruckt, sondern oft auch fachlich überfordert.

Dies zeigt sich zur Zeit nirgends deutlicher als in den neuen Bundesländern. Die in den Kommunen verbliebenen Schuster oder Lehrer stünden häufig vor weitreichenden Entscheidungen, wenn es um die Strukturierung der touristischen Landschaft ginge, so Bruno Benthin, Professor für Geographie, unter der Modrow-Regierung Tourismusminister in der DDR. Benthin betonte die räumliche Bedeutung des Tourismus. Besonders in den neuen Ländern seien weite Teile in eine „andere Lagesituation“ gerückt. Prognoseräume, deren Zukunft jetzt ausgehandelt werde. Dabei, führte Benthin weiter aus, solle der Tourismus möglichst nur ein Standbein wirtschaftlicher Entwicklung sein.

Die Raumstruktur sei durch nicht vorhandene Gesetzgebung in Gefahr, bestätigte auch Christa Eichbaum, zuständig für den Bereich Tourismus im Ministerium für Wirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern. Es sei daher notwendig, ein Raumordnungsprogramm für das ganze Land zu erarbeiten. Bislang käme es allein darauf an, mit welchem Sachverstand die Kommunen die Bauleitplanung begleiteten.

Planungsdefizite und mangelnde Kompetenz

Das Problem der Raumplanung mit nicht vorhandenen Auflagen und Gesetzen, fehlende Koordination und Kompetenz und der dadurch mögliche Landschaftsverbrauch und -mißbrauch wurde in einer Arbeitsgruppe zu den Anforderungen der Tourismuspolitik aufgegriffen. Ein Vorschlag war die Bildung „interdisziplinärer Fachlichkeiten“ (Umweltschützer, Landschaftsplaner, Architekten, Politiker, etc.), die zumindest bei der Einrichtung von Großprojekten auf regionaler Ebene Mitspracherecht haben sollten. Ein Vorschlag, der den Vorstellungen von Frau Eichbaum und Herrn Benthin entsprach. Politiker aus den alten Bundesländern scheint dieses Problembewußtsein fremd. Eine Diskussion zwischen Ost und West darfüber fand leider nicht statt.

Subsidaritätsprinzip contra sinnvolle Koordination

Wenn schon im nationalen Rahmen das Subsidaritätsprinzip häufig sinnvolle Koordination unterbindet, so kann man sich ausmalen, wie viele Widerstände auf europäischer Ebene ausgetragen werden. Mit dem „Touristischen Jahr 90“ hat die EG-Komission in Brüssel den Tourismus als völkerverständigende Kraft entdeckt, mit den „Richtlinien zur Pauschalreise“ erregte sie vor allem in Deutschland die Gemüter, und mit der blauen Flagge setzte sie fragwürdige umweltpolitische Zeichen. Ihre Mitglieder sind die nördlichen touristischen Entsenderländer wie die südlichen Empfängerländer, in denen die Abhängigkeit vom Fremdenverkehr— und damit die Problemstellung — ganz anders geartet ist als beispielsweise im exportorientierten Deutschland. Schon dadurch sei die EG-Politik, so Heinrich Moltke (EG-Kommission für Fremdenverkehr), mehr Reibungspunkten ausgeliefert. Moltkes Ausführungen zum Aktionsplan der EG ging ansatzweise über eine reine Förderpolitik hinaus: Diversifizierung und Qualifizierung des Angebots, Entzerrung der Reiseströme, Koordinationsfunktion, Umweltfonds. Moltkes Betrachtung des Tourismus als Querschnittsbereich läßt außerdem Gesichtspunkte wie Bildung, Kultur, Umwelt, Soziales in die Diskussion miteinfließen. Aspekte, die, außer der allgemeinen Anerkennung ökologischer Notwendigkeiten, ansonsten gänzlich ausgespart blieben. Welche Umsetzmöglichkeit der EG- Kommission letztlich zur Verfügung stehen, sei dahingestellt.

Mangelndes Problembewußtsein, schlichte Diskussion

Die tourismuspolitische Fragestellung bewegte sich ansonsten auf der Ebene „Unser Dorf soll schöner und reicher werden“. Bislang konnten Probleme zwischen Investor und Region, ob in der Lüneburger Heide oder in Südspanien, in den Bereich regionaler Befindlichkeiten verdrängt werden. Im Zuge des europäischen Binnenmarktes und mit erleichterten wirtschaftlichen Expansionsbedingungen ist eine übergeordnete Kommission mit Sensibilität für die Probleme der wachsenden, freieren Reiseströme unerläßlich. Unerläßlich scheint auch eine tourismuspolitische Diskussion auf nationaler Ebene, da mit der touristischen Erschließung der neuen Bundesländer die planerischen, das heißt politischen Unzulänglichkeiten verschärft und geballt zum Ausdruck kommen. Doch politische beziehungsweise gesetzgeberische Maßnahmen gelten allenfalls als hysterische Reaktion, die darüber hinaus den Grundsatz der Liberalität ankratzen könnten. „Wer die Macht hat, hat die Verantwortung“, so der FDP-Politiker Feldmann zu den Aufgaben der Veranstalter. Wunderbar. Und was fangen die Politiker mit ihrer Macht an?

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen