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Merry Christmas mit Barbie, He-Man & Co

Im Spielzeug-Supermarkt werden die Weihnachtseinkäufe zum Horrortrip: Eltern toben, eingeklemmt zwischen Plastikautos und Monsterhelden, und den Kleinen kommt angesichts der Übermacht des kalt-bunten Angebots das Heulen  ■ Aus Wallau Heide Platen

Wallau ist eine zum Rhein-Main- Gebiet zersiedelte und zerflossene Gemeinde im Osten von Wiesbaden. Eine Endlos-Blechschlange windet sich tagtäglich um die Kurve der Autobahnausfahrt direkt auf den gigantischen Parkplatz im Gewerbegebiet zwischen Großbäckerei, Autoersatzteile-Handel und Cigarettenfabrik. Die Fußwege sind schmal, Fußgänger spärlich. Durch die Luft donnern Flugzeuge und Helikopter zum benachbarten Militärflughafen in Erbenheim. Und hier beginnt, gleich neben einem besonders großen Möbelhaus, das Vorweihnachts-Wunderland für Familien mit Kindern. Toys„R“Us bietet alles, was es draußen vor der Tür auch gibt: Autos und Flieger, Flieger und Autos. Nur viel kleiner, viel bunter und fast immer aus Plastik.

Das amerikanische Spielzeug- Unternehmen Toys„R“Us (das R gehört eigentlich verkehrt herum geschrieben) ist vor zwei Jahren angetreten, den deutschen Spielwarenmarkt gegen den Widerstand des Einzelhandels zu erobern. In den großen Lagerhallen auf dem Land geht ein Firmenkonzept auf, mit dem auch die Spielwarenabteilungen der Kaufhäuser nur schwer konkurrieren können. Sie setzen inzwischen im Gegenzug wieder auf Beratung und Animation. Das hat der US-Konzern gar nicht nötig. Er bietet statt dessen wirklich alles unter einem Dach: von Beißring und Plastiknachttopf für die ganz Kleinen, Windeln und Babynahrung nebenan, bis zur Software für die Computer-Kids. Ausprobiert werden kann nichts: Die Monitore und Keyboards stehen hinter Glas. Wer kaufen will, zieht einen Coupon und bekommt die Ware originalverpackt ausgehändigt.

In den Gängen stauen sich auch an einem ganz normalen Wochentag Kinder- und Einkaufswagen, verhaken sich ineinander, kollidieren. Die Fülle des Angebotes erschlägt den Familienfrieden hinterrücks beim Einkaufsbummel. Spätestens nach einer halben Stunde fangen die meisten Kinder an, in dem Reichtum den Mangel zu entdecken. Da bleibt nichts mehr zu wünschen übrig, Überreizung und Verwirrung machen sich breit. Dann brüllen sie. Kakophonien schriller Kinderstimmen heulen in unfreiwilligem Chor.

Doch das ist erst die Vorhölle im Kinderparadies. Die Spannung steigt. Der Bruder haut der kleinen Schwester mal eben einen Baseballschläger über den Schädel. Die Ohrfeigen der genervten Kindsmutter fallen hageldicht und gleichmäßig. Die Reihen ungezählter Weihnachtsmänner verschwimmen hinter den Tränenschleiern zu grell-grinsenden Monstern. Zwei Schritte weiter wehrt sich der dreijährige Raphael dagegen, als im Drahtkäfig des Einkaufswagens Gefangener durch den Produktedschungel geschoben zu werden. Er tritt wütend gegen das Gitter, zerrt sich die Kleider vom Leib und wirft sie von sich. In der Babyabteilung wühlt ein Kleinkind weinend auf dem Fußboden herum. Es hat den Stand mit den vielen bunten Nuckeln abgeräumt. Festhalten kann es keinen einzigen, dafür sind es zu viele, die immer wieder durcheinandergeworfen werden müssen. Fürs Orale sind sie, weil verpackt, nicht befriedigend — Übersprunghandlung klassisch. Die Mutter eilt entsetzt herbei. Währenddessen demoliert hinter ihr der etwas größere Filius hingebungsvoll die Kühlerhaube eines kinderlebensgroßen VW-Plastikkäfers. Der Konzern mag von seinen Kunden einiges gewöhnt sein, mahnt doch ein Schild: „Bitte unterlassen Sie das Skateboard-Fahren im Laden.“ Mit Unschuldsmine bestaunen zwei kleine Mädchen die Kunststoff-Catcher, befühlen die Muskeln von „Jake, the Snake“ und sinnieren ganz gelassen über das nach, was unter dem aufgemalten Trikot verborgen sein könnte. Jugend forscht, Mutter wird rot. Vor Pistolen und Maschinengewehren machen sich zwei dem Kindesalter gerade entwachsene junge Männer Gedanken über die Naturtreue des Angebots.

Kinderland ist Wunderland — von He-Man bis Ring Riders. Commander Victor Vector pariert den „Angriff der Skull Squadrons“ mit mehr Zubehör als Barbie im Koffer davon tragen kann. Die ist inzwischen mit Ken im rosa Traummobil abgereist zur Hollywood-Schoko- Bar. Oder hat sich auf den Renner der Saison geschwungen, eines der vielen harten Plastikpferdchen, die heuer gleich herdenweise ihr skurriles Eigenleben führen. Die Tierchen in rosa, lila, hellgelb sind aber auch gar zu allerliebst garniert mit glitzerbunten Flecken und leuchtenden Mähnen. „Mondschimmer“, „Nachtglanz“, „Disco-Pony“ und „Vorschul-Baby-Pony“ brauchen, versteht sich, das Zubehör eines mittleren Reitstalles. Überangebot macht aggressiv. Große Supermärkte laden seit jeher ein, zum Beispiel von einem stillen Winkel im Stapellager aus, die vorüberziehenden Familienkräche wie in einem Rollfilm zu betrachten. Toys„R“Us ist eine hochspezialisierte Variante: Terror beim Weihnachtseinkauf — nichts kann schöner sein.

Das findet auch Norbert. Er ist Betriebsrat und mag seine Kundschaft. Das Personal ist freundlich und hilfsbereit. 40 Festangestellte arbeiten auf 400 Quadratmetern Fläche. Das ist, weiß er, viel. Andere Filialen kommen mit weniger aus. „Aber“, sagt er stolz, „wir sind hier ja in einer so zentralen Lage.“ Den Tagesumsatz an diesem Vorweihnachtswochentag mag er lieber nicht verraten. Ein Kollege schätzt: „Gestern gute 400.000 Mark. Weihnachten ist eben unsere Saison.“ Dafür braucht es Aushilfen. Und der junge Mann, der über dem Bewerbungsbogen sitzt, wundert sich nur über die Frage: „Sind Sie schwanger?“ Noch nicht, aber wenn, dann wird er Spielzeug brauchen.

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