: Bremer Senat vorerst ohne Grüne
Mit 97 gegen 96 Stimmen lehnten die Mitglieder der Bremer Grünen den Eintritt in die Ampel-Koalition ab/ Ihr Spitzenkandidat Ralf Fücks sieht seine Partei „völlig im Abseits“/ Noch können die Grünen ihre Entscheidung rückgängig machen ■ Aus Bremen Klaus Wolschner
Eine Stimme zuwenig — das darf doch wohl nicht wahr sein! Ungläubiges Staunen bei vielen Bremer Grünen, als das Abstimmungsergebnis über die Ampel-Koalition bekannt wurde. Einige Mitglieder brachen kurz in Jubel aus, dann aber machten sich Erschöpfung und auch Ratlosigkeit im Saal breit.
Angst vor der eigenen Courage
Drei Stunden lang war in einer eher müden Debatte das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen beraten worden, Kritik gab es an umweltpolitischen „Kröten“, die die Grünen schlucken mußten, an der Vergrößerung der Landesregierung auf elf Ressorts und an fehlendem Engagement für ein starkes, grünes Frauen- Ressort. Einzelne Stimmen erinnerten auch daran, daß die Grünen im Wahlkampf für Rot-Grün gewesen seien und nicht für die Ampel. Daß solche Motive sich in der entscheidenden Abstimmung zu 97 Neinstimmen gegen nur 96 Jastimmen bündeln könnten, hatte jedoch niemand erwartet.
Ein „grünes Debakel“
Die Abgeordnete Helga Trüpel zeigte sich am Samstag abend „erschüttert“ und sprach von einem grünen „Debakel“. Die Mitglieder der Öko-Partei hätten „Angst vor der eigenen Courage gezeigt“. Der Abgeordnete Martin Thomas sah die Partei „für Monate handlungsunfähig“. Der Grünen-Spitzenkandidat Ralf Fücks sah die Grünen jetzt politisch „völlig im Abseits“. Nun sei die CDU wieder ins Spiel gebracht worden. Nach diesem Debakel seien die Grünen-Verhandlungsführer jedenfalls „kaputt — jetzt müssen andere weiter verhandeln“. Über Rot-Grün jedoch, schleuderte er verbittert den Befürwortern dieses Denkmodells entgegen, würde seitens der SPD wohl nur noch mit dem Hausmeister zu sprechen sein.
Die FDP hatte der Ampel-Koalition am Samstag nachmittag nur wenige Stunden vor der Grünen-Abstimmung fast einmütig ihren Segen gegeben. Bei der SPD hatte es innerhalb der vergangenen Woche heftige Debatten über die fehlende Erneuerung gegeben, Bürgermeister Wedemeier hatte aber mit einem Appell zur Geschlossenheit die Parteidisziplin wiederherstellen können — auf dem Landesparteitag der SPD am Samstag nachmittag hatte es dann keine personellen Alternativen gegeben, mit großer Mehrheit stimmten die Delegierten für das ausgehandelte Ampel-Modell.
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Claus Jäger sagte in einer ersten Stellungnahme zu dem grünen Abstimmungsergebnis, die Grünen hätten alle bisher getroffenen Abmachungen mit der Abstimmung zunichte gemacht. Die FDP sei jetzt bereit für eine sozialliberale Koalition. Diese Koalition hätte in der Bürgerschaft/ Landtag eine hauchdünne Mehrheit, nicht allerdings, wenn die Bürgerschaft sich ohne die Bremerhavener Volksvertreter als „Stadtbürgerschaft“ zusammensetzt und die Stadt Bremen regiert.
Die sozialliberale Koalition in Bremen wäre also auf die Duldung der Grünen-Parlamentarier angewiesen, die für die Ampel verhandelt haben. Für das sozialliberale Modell wäre denn auch der Ampel-Koalitionsvertrag verbindlich. Die Ankündigung der SPD, es werde „keine Nachverhandlungen“ geben, geht so auch an die Adresse der FDP.
Noch in der Nacht zum Sonntag setzte sich die Bremer SPD-Spitze zusammen und beriet die Lage. Trotz neuerlicher Angebote der CDU bleibt vorerst eine große Koalition ausgeschlossen. Der stellvertretende Landesvorsitzende der SPD, Horst Isola, gilt als absoluter Gegner einer CDU-Koalition und hat aus seiner Vorliebe für Rot-Grün nie einen Hehl gemacht. Am kommenden Mittwoch, so vorläufig der Fahrplan, soll die Bürgerschaft die Senatsmitglieder von SPD und FDP wählen.
Die Grünen, so unter Druck gesetzt, hätten so die Chance, den Ernst der politischen Lange zu begreifen und in einer erneuten Mitgliederversammlung das Votum vom vergangenen Samstag zu korrigieren. Wenn dies nicht zustande kommt, dürften einzelne grüne Abgeordnete einen SPD/FDP-Minderheitssenats auch ohne das Votum der grünen Basis tolerieren, wenn die Ampel-Verhandlungsergebnisse zur Grundlage einer solchen Koalition gemacht werden.
Nach einem internen Streit im Bonner Bundesvorstand (BuVo) der Grünen hat das Bremer Debakel weiterreichende Auswirkungen. Wolfgang Templin vom Sprecherrat Bündnis 90 hatte im Vorfeld der Bremer Abstimmung die Hoffnung geäußert, daß mit der Bremer „Ampel“ die Brandenburger Schwester-Koalition nicht mehr allein wäre. Dort allerdings sind die Grünen in der Opposition, während die DDR-Bürgerrechtsgruppen als Bündnis 90 die Landesregierung mittragen. Christine Weiske und Ludger Volmer hatten ausdrücklich dem Bremer Ampel-Modell die bundespolitische Bedeutung abgesprochen, vier andere Bundesvorstandsmitglieder hatten ihren Sprechern wiedersprochen. Templin: „Es hat überhaupt keinen Zweck, den Konflikt innerhalb der Grünen zuzudecken.“
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