: Die späte Entdeckung des Vaters
■ Während sich die Frauenbewegung lange Jahre nur mit der Mutter auseinandersetzte, war der Vater seltsamerweise ausgeblendet
Vor knapp fünfzehn Jahren, im März 1977, erschien das legendäre 'Kursbuch‘ 47: Frauen. Ausgelöst durch einen Aufsatz von Marina Moeller-Gambaroff, begann damit unter Frauen die Auseinandersetzung mit der Mutter. Keine der damals frauenbewegt Aktiven wollte so werden wie die eigene Mutter: ökonomisch und psychologisch abhängig vom Mann, ängstlich und voller Minderwertigkeitsgefühle. Wo waren die Vorbilder, wo die Frauen, mit denen sich die Jüngeren identifzieren mochten?
Die Väter blieben in dieser Diskussion seltsamerweise ausgeblendet. Die Frauen befaßten sich statt dessen mit ihren Ehemännern und Freunden, mit dem Für und Wider der bürgerlichen Ehe, mit den traditionellen Beziehungsstrukturen, der Rollenteilung im Zusammenleben und der Geschlechterrollenerziehung. Dabei liefen die Debatten immer wieder Gefahr, bei Schuldzuweisungen an die Mütter zu enden. Nicht selten wurden sie als Erzieherinnen der Kinder allein verantwortlich für die Fehler und Leiden der Erwachsenen gemacht.
Durch das Buch der französischen Psychoanalytikerin Christiane Olivier Jokastes Kinder (1980), hierzulande erst 1987 erschienen, bekam die Diskussion neue Impulse. Denn sie nahm die Väter in die Verantwortung. Ihre These: Die Abwesenheit der Männer/Väter führt zu Störungen in der psychosexuellen Entwicklung der Kinder. Olivier geht davon aus, daß zu einer gesunden psychosexuellen Entwicklung und Identität das gegengeschlechtliche Begehren gehört. Doch während der Junge von der Mutter als kleiner Mann begehrt wird, muß das kleine Mädchen darauf verzichten, weil der Vater „an der Wiege fehlt“. Das Fatale daran, so Olivier, sei nun, daß die erwachsene Frau zeit ihres Lebens versuche, diesen in der Kindheit erfahrenen Mangel auszugleichen. Unbewußt suche sie in jedem Mann das väterliche Begehren. Davon müssen sich Männer bevorzugt fühlen. Sie nämlich hätten als kleine Kinder die Erfahrung gemacht, daß sich die Mütter viel zu viel um sie kümmerten. Weil Frauen nie genug Zuwendung von Männern bekommen hätten, neigten sie dazu, sich an ihren Söhnen schadlos zu halten. Wenn sich erwachsene Männer ihren Liebspartnerinnen entziehen und Frauen an ihren Männern herumzerren und sie nicht loslassen mögen, dann liegen die Ursachen für diese verbreitete Struktur also in der Kindheit, so Olivier.
Auch die Hamburger Psychologin Sigrid Steinbrecher nimmt die Väter in ihrem neuen Buch aufs Korn. Die sich der humanistischen und feministischen Psychotherapie zuordnende Steinbrecher hat eine psychotherapeutische Praxis. Ihr Vaterbuch beruht auf langjährigen Erfahrungen mit Klientinnen. Danach sitzen Frauen in der „Vaterfalle“, das heißt sie wiederholen kindliche Beziehungsmuster, die sie als Kind mit ihren Vätern gemacht haben. Heide Soltau
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