piwik no script img

Ende der Schonzeit für Väter

Lange waren sie in der Diskussion ausgeblendet, die an- oder meistens abwesenden Väter. Die Psychotherapeutin Sigrid Steinbrecher hat die Folgen dieser verdrängten, tabuisierten Beziehung untersucht und beschrieben. Ein Interview über die „Vaterfalle“  ■ Von Heide Soltau

taz: Sigrid Steinbrecher, die Liebesbeziehungen zwischen Frauen und Männern klappen nicht mehr so, wie wir das wollen. Ein Grund für das Scheitern, so die These Ihres Buches, sei die „Vaterfalle“: Frauen wiederholen ihre unglücklichen Erfahrungen, die sie mit dem ersten Mann in ihrem Leben gemacht haben, dem Vater also.

Sigrid Steinbrecher: Ich habe in meinem Buch „Funkstille der Liebe“ den Ist-Zustand beschrieben: wie Männer und Frauen miteinander umgehen. Daran knüpft das neue Buch an.

Wie sieht der Ist-Zustand aus?

Der Ist-Zustand sieht so aus, daß sich Männer in der Liebe zurückziehen und Frauen, je nach Charakter und individueller Struktur verschieden, um die Liebe werben und unheimlich kämpfen. Und zwar nicht zu ihren eigenen Gunsten, und schon gar nicht mit viel Erfolg.

Liefern Sie mit der Vaterfalle die Begründung für das Dilemma?

Genau. Frauen tun das ja nicht, weil sie das gut finden, sondern sie haben ihre unbewußten Motive. Ich bin bei der Suche, warum Frauen sich aus dem Kampf um die Liebe nicht lösen können, in den Analysen immer auf die Vaterproblematiken gestoßen. Auf unbewußte Vatergeschichten, die Frauen bis zu dem Zeitpunkt nicht als ihre Geschichte anerkannt, sondern verdrängt hatten.

Nun sagt das die Psychoanalyse auch, nur nennt sie das Wiederholungszwang und nicht Vaterfalle. Also ist das doch eigentlich bekannt.

Der Wiederholungszwang ist bekannt, nur, ich versuche, in der „Vaterfalle“ aufzuzeigen, wie dieser Wiederholungszwang wirklich funktioniert in bezug auf den Mann, in bezug auf die Liebe und in bezug auf die individuelle Lebensgestaltung und Emanzipation der Frau. Das Wort Wiederholungszwang gibt nicht viel her, es muß gefühlsmäßig gefüllt werden, ich muß fühlen können, was mein Wiederholungszwang ist.

Ähnlich argumentiert die französische Psychoanalytikerin Christiane Olivier („Jokastes Kinder“). Sie führt das gestörte Geschlechterverhältnis wesentlich auf die Abwesenheit des Vaters bei der Kindererziehung zurück, auf das mangelnde männliche Begehren: Was sie als Kinder nicht bekommen haben, versuchen sie sich als Erwachsene vom Mann zu holen. Lehnen Sie diese These ab?

Ich habe eine Erweiterung der These vorgenommen. Für sich genommen ist sie nämlich gefährlich. Das Buch ist 1987 erschienen, wir wissen inzwischen mehr über sexuellen Mißbrauch von Kindern. Das männliche Begehren ist mehr als genug vorhanden, es war nur hinter einer bürgerlichen Moral verborgen, was wir alle nicht so recht gewußt haben. Das männliche Begehren war immer aktiv.

Sie schreiben, es fehle das menschliche, nicht das männliche Begehren. Wenn das so wäre, dann brauchten wir den Vater nicht, dann könnte er durch eine andere Person ersetzt werden. Die Geschlechtlichkeit spielt also keine Rolle?

Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Wenn wir heute „männlich“ mit Macht in Zusammenhang sehen, Männer haben die Macht, Männer sind die Macher, dann weiß ich nicht, ob die Geschlechtlichkeit im Vordergrund steht, ob es da nicht wichtiger für ein Mädchen in einer Familie ist, von einer männlichen Autorität angenommen und akzeptiert zu sein. Ob es da so sehr um Phallus oder nicht Phallus geht, ist sehr die Frage.

Am Anfang der Frauenbewegung stand die Auseinandersetzung mit der Mutter. Worauf ist es zurückzuführen, daß Frauen erst so spät angefangen haben, sich mit ihrem Verhältnis zum Vater auseinanderzusetzen?

Es ist heute immer noch so, daß Frauen in der Analyse als erstes mit ihrer schlechten Beziehung zur Mutter ankommen, das liegt im Bewußtsein noch oben. Über den Streit mit der Mutter darf man reden, das ist erlaubt. Ich glaube, die Vaterproblematik ist deshalb so verdrängt, weil Väter die Macher der Gesellschaft sind. Letztlich läßt sich die Frage mit der patriarchalischen Struktur beantworten.

Sie glauben also, Frauen haben Väter und Männer geschont?

Väter müssen geschont werden, das ist wie ein heiliges Gesetz: Ehre deinen Vater.

Aber Männer sind doch gerade von der Frauenbewegung, gerade von feministischen Frauen sehr angegriffen worden.

Eine Partnerschaft ist nicht verdrängt, da sehe ich genau, wie der Mann ist. Über ihn kann ich leicht herfallen. Nur meine Position in der Partnerschaft zu hinterfragen, sie herzuleiten und mich dabei an den Vater zu erinnern, das ist sehr viel schwieriger. Erwachsene Frauen haben bereits den Vater verdrängt, ich bin selbst erst sehr spät darauf gekommen.

Was fehlt denn nun im Verhältnis Vater-Tochter?

Die Akzeptanz des Vaters. Daß er sich um die Seele des kleinen Mädchens kümmert. Das kleine Mädchen ist Puppe, Spielzeug, reizende Begleiterscheinung — alle Väter sind stolz, alle sind glücklich, die kleine liebe Tochter vorzuführen, aber die Tochter darf sich nicht entwickeln, sie darf nicht frech sein, nicht Stellung beziehen.

Aus dem lebhaften, neugierigen kleinen Mädchen wird eine scheue, brave Frau. So steht es in ihrem Buch. Läßt sich das verallgemeinern? Die traditionelle Frauenrolle ist im Wandel begriffen. 20jährige sind heute nicht mehr so angepaßt und abgerichtet wie die 45jährigen Mütter.

Der Schein trügt. Von außen würde ich das genauso beurteilen: Das sind Frauen, die sagen, was sie wollen, die ihre Position im Leben haben, sich ihren Mund nicht verbieten lassen. Das Problem ist nur, die Frauen verändern sich, sobald sie eine Liebesbeziehung eingehen und sich wirklich für einen Mann interessieren. Ich habe sie in meinen Therapien. Dann werden diese Frauen unselbständig und hilflos und vergessen, wer sie sind. Ihr Selbstbewußtsein trägt sie nicht in der Beziehung. Da steht das kleine Mädchen an vorderster Stelle und schreit.

Und Sie meinen, das läßt sich auf den Vater zurückführen?

Ich meine nicht auf die Person Vater, sondern auf die unverarbeitete Vatergeschichte, die das Verhalten steuert. Es ist ja nicht der Verstand, der das Verhalten steuert, sondern es sind die Gefühle. Die setzen genau in der Liebesbeziehung ein. Solange sich eine Frau nicht für einen Mann interessiert, verhält sie sich emanzipiert.

Viele Mädchen fühlen sich von ihren Vätern ganz besonders geliebt. Sie halten sich für die Lieblingstochter, und Sie behaupten nun: Das gibt es nicht.

Ja, wenn ich die Lieblingstochter bin, darf ich den Vater nicht kritisieren. Die Lieblingstochter zu sein erhebt mich, gibt mir ein Stück Selbstbewußtsein, aber sie gibt mir auch die Rolle der Besonderen...

Dann darf sich die Tochter doch viel mehr herausnehmen als die anderen Geschwister. Der Lieblingstochter wird alles verziehen.

Wenn man die Wahrheit analysiert, dann war es so: Die Lieblingstochter wurde besonders gelobt für Leistungen, die sie erbrachte, sie wurde hervorgehoben in der Familie, weil sie der Familie das Prestige verschaffte. Aber es gab auch Grenzen, vor allem, wenn die Lieblingstochter versagte. Dann wurde sie fallengelassen wie eine heiße Kartoffel. Ihr Leben geht gut, solange sie Erfolg hat, wenn sie scheitert, rutscht sie in ein Loch, das unvorstellbar tief ist. Nach außen war sie immer stark, innerlich hat sie oft geweint, schon in ihrer Kindheit.

Sie machen den Vater auch verantwortlich für die Magersucht seiner Tochter. Die Tochter würde hungern, um die Liebe des Vaters zu bekommen.

Es gibt auch andere Autorinnen, auch aus der feministischen Bewegung, die auf die patriarchale Familienstruktur bei Magersüchtigen verweisen. Es ist nämlich der Vater, der anfängt, seine Tochter zu kritisieren, der sagt: Die Oberschenkel sind zu dick, du wirst nie so schön schlank wie deine Mutter, so begehrenswert. Und der Vater ist der Maßstab. Die meisten Mütter von magersüchtigen Töchtern haben es auch mit der Diät, die schwebt immer im Raum.

Sie schreiben, eine Frau, die in der Vaterfalle sitzt, könnte auch keine erwachsene Beziehung zu ihren Kindern haben?

Wenn es um ein tiefe Bindung geht, und Kinder sind eine tiefe Bindung, ist die Gefahr sehr groß, daß man das Tochterleben weiterlebt. Daß man keine eigenständige Beziehung zu den Kindern aufbaut. Die Eigenständigkeit ist oft gestört. Es gibt viele Mütter, die sagen: Ich muß mit meinem Mann eine gemeinsame Beziehung zu den Kindern haben, oder die eine Vermittlerposition zum Vater einnehmen. Frauen wollen Harmonie und Frieden in der Familie, sie bleiben mit ihren Gefühlen am Mann kleben. Sie trauen ihren eigenen Gefühlen nicht.

Sie schreiben, Frauen suchen sich einen Partner, der dem Vater gleicht.

Das ist ein Erfahrungswert. Frauen gehen zwar davon aus: Ich suche mir einen Mann, der ganz anders ist als mein Vater — was schon auf die unglückliche Kindheitsposition verweist —, aber dann stellt sich in den Partnerschaften heraus, daß der Mann die Frau genauso beurteilt wie der Vater. Das ist wirklich ein Phänomen. Dann fällt der entscheidende Satz aus der Kindheit: Du bist ein Dickkopf. So warst du schon immer. Mit dir ist nichts anzufangen. Du bist so kompliziert. Die entscheidenden Sätze wiederholen sich in der Partnerschaft. Das heißt, der frei gewählte Mann hat die gleiche Beurteilung von der Frau. Und das Gefährliche ist, jetzt fangen die Töchter an zu argumentieren: Stimmt, mein Verhalten war falsch, vielleicht wende ich mich dir nicht genügend zu.

Ich habe den Eindruck, der Vater wird bei Ihnen zum Joker für alles Übel.

Nein. Ich möchte die unverarbeitete Vatergeschichte in den Mittelpunkt rücken. Die muß aufgearbeitet werden. Die Frau muß wissen, was sie mit dem Vater wirklich erlebt hat, sie darf ihn nicht verklären. Es geht nicht darum, einen Schuldigen zu finden, sondern die Verdrängung aufzuheben.

Und wie merke ich, ob ich meine Vatergeschichte verdrängt habe?

Immer in der Realität. Zum Beispiel: Ich bin eine erfolgreiche Frau und fühle mich oft unter Streß. Da muß ich mich fragen, woher kommt mein Streß? Eigentlich hätte ich das nicht nötig, ich könnte alles besser organisieren. Angenommen, ich hätte „Die Vaterfalle“ gelesen, dann hätte ich eine Möglichkeit weiterzudenken: Um was kämpfe ich in meinem Streß. Und dann komme ich auf den Satz, den ich als kleines Mädchen erlebt habe: Es genügt nie.

Der kleine Junge und spätere Mann leidet wahrscheinlich auch unter dem Vater. Aber er steckt offenbar nicht in der Vaterfalle.

Doch, oh ja. Deshalb gebe ich das Buch auch Männern zu lesen. Vieles trifft auch auf sie zu. Das bestätigen mir die Männer. Dennoch gibt es Unterschiede, aber das soll mein nächstes Buch werden.

„Die Väter haben ihre Töchter programmiert“, so steht das in Ihrem Buch. Meinen Sie das ernst?

Ja. Damit meine ich die Fernsteuerung. Jeder Vater, jede Tochter ist verschieden, aber mir geht es um das Prinzip. Der Vater hat seiner Tochter die Beurteilung mitgegeben, wer sie ist, und wie sie sich verhalten muß.

Aber Menschen sind doch keine Maschinen, die so monokausal funktionieren.

Richtig, aber wir sind Menschen, die sich schwach und ohnmächtig fühlen und die versuchen, aus dieser Schwäche und Ohnmacht herauszukommen. So ist das schon in der Kindheit. Das meine ich mit Programm. Der Vater verkörpert für das Mädchen die Welt, das darf man nicht vergessen. Er gibt die Anleitung, wie das Mädchen in der Welt zurechtkommt.

Wenn es ein solches Programm gibt, wie Sie behaupten, gibt es dann auch eins, um aus der Vaterfalle herauszukommen?

Indem man die Verdrängung aufhebt und weiß, was man als kleines Mädchen erlebt hat. Wenn Frauen das wagen, dann kann das kleine Mädchen anfangen mitzuwachsen.

Wenn das klappt, werden Sie arbeitslos, dann muß es keine Psychoratgeber mehr geben, und wir wüßten endlich, wie wir richtig, lebenslänglich, lieben können.

Um die Verdrängung aufzuheben, kann so ein Buch viel bewirken, aber ob es ausreicht? Auch die Erinnerung arbeitet nach dem Prinzip der Vaterschonung.

Also eine unendliche Geschichte.

Vielleicht.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen