Rudi gibt Asyl

■ Die Rudi Carrell Show, Samstag, 20.15 Uhr, ARD

Haben Sie geheime Wünsche? — Sprechen Sie über diese Dinge mit niemandem! Selbst Ihr bester Freund könnte Sie verraten an einen Mann namens Rudi Carrell. Getarnt als TV-Entertainer erfüllt Carrell die Mission, die Menschen glücklich zu machen, indem er ihnen ihre Wünsche erfüllt vor der Kamera.

Stellen Sie sich einmal folgende Szene vor: harmlos, nicht unschuldig, sitzen Sie am Samstag abend in irgendeinem Fernsehstudio, um der Rudi Carrell Show beizuwohnen. Dann geschieht es: Der Mann mit der Silbertolle kommt auf Sie zu, verwickelt Sie in ein Gespräch und entlockt Ihnen das Geständnis, daß Sie Pinocchio-Figuren sammeln. Damals in Rom, entfährt es Ihnen, der mannshohe Zappelmann — er wäre die Krönung Ihrer Kollektion. Jetzt ist es heraus, und Sie sind geliefert: Das Ding steht auf der Bühne, verpackt als Weihnachtsgeschenk, und daneben, verkleidet als Nikolaus, Ihre alte „Freundin“, die angeblich schweigt wie ein Grab.

Selber Schuld, könnte man sagen — und in der Tat sind es nette Späßchen, die man uns serviert: Da hottet mit feuchten Augen der Freizeittänzer von der Bundeswehr mit dem DFF-Balett. Und eine Biologiestudentin sinkt vor einem Orka- Wal auf die Knie: ach, Wale.

Und dann hört der Spaß auf. Dann nämlich versucht sich unser Fernseh-Glücksbringer als Vorreiter in der Rassismusdebatte. Zwölf Jahre hat die Dame aus dem Tschad, da war Bürgerkrieg oder so, ihre Eltern nicht gesehen. Na, und wer kommt da aus den Kulissen spaziert? Mama und Papa.

Jetzt kommt der Ehemann an die Reihe, will gerade seine Rührung und Dankbarkeit zum Ausdruck bringen, da schneidet ihm Silbertolle auch schon das Wort ab: Und Sie, wie lange haben Sie Ihre Eltern nicht gesehen. Dreizehn Jahre. Dann drehen Sie sich doch mal um, mein Lieber!

Jetzt läuft der Rudi zur Höchstform auf: Schade, schade, man kann sich mit diesen Menschen, die einen komplizierten arabischen Dialekt sprechen sollen, nicht unterhalten. Und sie kommen in unserem Teil der Welt auch überhaupt nicht zurecht, in unserer Zivilisation, kennen keine Treppen, die gibt es im Tschad nämlich nicht. Und wie kalt es bei uns hier ist: Brrrrr, hat er gesagt auf dem Flughafen, der alte Mann in dem prächtigen Kostüm oder Anzug. Und weil sie Christen sind, die Herrschaften aus dem Tschad, bleiben sie bis nach Weihnachten. Das freut die afrikanische Familie und beruhigt das deutsche Publikum — und wieder ist ein Wunsch in Erfüllung gegangen. Christoph Wingender