: Arbeiten, hart arbeiten
■ Aus vier mach drei Sparten: Ein Gespräch mit dem Freiburger Intendanten Friedrich Schirmer
taz: War der Versuch Ihres Kulturdezernenten, das Tanztheater abzuschaffen, symptomatisch für die Hilflosigkeit des Kulturpolitikers in geldknappen Zeiten?
Friedrich Schirmer: Politiker wissen häufig mit einem lebendigen und widersprüchlichen Theater nichts anzufangen. Seit dem 9. November 1989 hat sich das verschärft, weil wir nicht mehr unser wunderschönes Inselleben führen und von keiner Mauer „geschützt“ werden. Neue Probleme kommen auf uns zu. Ich glaube zwar nicht, daß es uns wie den polnischen Theaterleuten gehen wird, denen die Häuser dichtgemacht werden, aber eines sieht man ganz deutlich: Die Bestandsfragen der deutschen Theater werden zu Vertragsfragen der Intendanten umfunktioniert.
Wie sollten die Theaterleute reagieren?
Sie sollen arbeiten, hart arbeiten, um ihr Theater und das Publikum kämpfen und wenn die Rahmenbedingungen unerträglich werden, die Konsequenzen ziehen. Standhalten ist zur Zeit vor allem deshalb wichtig, weil unsere Stadttheater mit Klauen und Zähnen verteidigt werden müssen. Denn wenn dieses System zusammenbricht, wird nichts Neues an seine Stelle treten — außer Cats-Glitzerbuden.
Sie sind also trotz der internen Schwierigkeiten ein Verteidiger des deutschen Stadttheatersystems?
Ich halte es für eine geniale Erfindung. Sie müssen sich nur einmal überlegen, was ein Theater wie Freiburg mit seinen Konzerten, dem Tanztheater, der Oper, der Operette und dem Schauspiel leistet, und sich dann ausrechnen, was es die Stadt kosten würde, das alles auf dem freien Markt zusammenzukaufen.
Was halten Sie davon, daß die Städte immer häufiger entweder spektakuläre Regisseure oder Managertypen als Intendanten holen?
Gar nichts. Gerade in einer Situation wie jetzt müßten die Theater von guten Leuten in die Hände genommen werden. Regiefürsten jedoch sind selten so klug wie Peymann, sich mit gleichberechtigten Partnern zu umgeben. Besonders schlimm ist, daß die Städte immer häufiger auf eloquente Schuhverkäufer hereinfallen. Die versprechen einem Gemeinderat das Blaue vom Himmel, wodurch immer mehr Theater an den Rand des Ruins geführt werden. Ginge ich zum Beispiel heute von Freiburg weg, stünden morgen hundert Bewerber mit der Versprechung auf der Matte, alles besser, schöner und vor allem billiger zu machen. Daß das nicht geht, weiß jeder Insider, und daß man zwei bis drei Jahre arbeiten muß, bevor sich herausstellt, ob ein Haus Ausstrahlungskraft hat.
Möchten sie in bezug auf die eloquenten Schuhverkäufer Namen nennen?
Nein. Nicht aus Feigheit, sondern weil es mit den deutschen Intendanten wie mit den Bundesligatrainern ist: Wir sitzen alle in einem schwankenden Boot und können uns nicht gleichzeitig mit den Ruderriemen den Schädel einschlagen, erst recht nicht jetzt, da immer mehr Politiker Anschläge auf unser Theatersystem planen und durchführen. Im Gegenteil. Wir müssen jetzt den Politikern vorrechnen, wie hoch die Anteile der Theateretats an den städtischen Ausgaben in den wirtschaftlich nicht eben einfacheren fünfziger Jahren waren und wie diese Anteile in den letzten Jahren beständig zurückgegangen sind.
In Freiburg teilen sich vier Sparten die Große Bühne, das ist fast zuviel. Sind die Überlegungen bezüglich der Streichung einer Sparte nicht durchaus plausibel?
Natürlich wird es schwierig, wenn in einem Haus wie dem Freiburger vier Sparten ehrgeizig arbeiten und es an die Grenze seiner Belastbarkeit kommt. Wenn ein Theater blühen soll, geschieht das zwangsläufig. Sehen Sie sich die deutschsprachigen Theater nach dem Krieg an — zum Beispiel das Basler Theater unter Düggelin, Bremen mit Hübner und Zadek, Fassbinder, Stein und den anderen, oder Peymanns Stuttgarter, Bochumer und jetzt Wiener Zeit — dann waren das immer die guten Mannschaften, die die Betriebe sehr stark gefordert haben, bei denen es krachte und auch einiges mit Grandezza in die Hose ging. Ein erfolgreiches Theater ist immer ein umstrittenes. Aus dieser produktiven Spannung eines Hauses den Umkehrschluß zu ziehen und mit der Reduzierung von Arbeits- und künstlerischen Artikulationsmöglichkeiten — nichts anderes bedeutet Spartenabbau — Ruhe im Karton zu schaffen, finde ich zynisch.
Sie scheinen dem Beruf des Intendanten eine besondere Bedeutung beizumessen. Könnten Sie das erläutern?
Intendant ist ein Beruf, den man lernen muß und in den man eigentlich nicht als Quereinsteiger gelangen kann, da man ganz bestimmte Talente braucht, die man etwa als Theaterkritiker oder Dirigent unter Umständen nicht mitbringt. Ein Intendant muß komplizierte, schwierige und kapriziöse Leute an sein Theater locken, ihnen entsprechende Arbeitsbedingungen bieten und diese Leute dann auch noch zusammenspannen, aushalten und dafür sorgen, daß der Betrieb sie aushält. So etwas schafft man nur, wenn man das Theater über Jahre hinweg von der Pieke auf erlernt hat. Intendant ist ein eigenständiger künstlerischer Beruf, der zum Beispiel wenig mit dem Beruf eines Regisseurs zu tun hat. Doll und Hübner waren noch solche Intendanten, von denen ich sehr viel gelernt habe.
Welche Eigenschaften müßte sich ein guter Intendant aneignen?
Eine Eigenschaft kann er nicht lernen — Liebesfähigkeit. Ich weiß, das klingt kitschig, aber eine Grundvoraussetzung ist, daß ich die Leute liebe, mit denen ich arbeite. Wenn ich dann noch einen Riecher für gute Stücke und Spaß daran habe, nach Menschen zu suchen, die hungrig, engagiert und lustvoll sagen, wir versuchen in diesem Haus mit all seinen Schwächen Theater zu machen, könnte es klappen.
Das hört sich an, als müßte ein Intendant all das können, wofür er eigentlich Spezialisten hat?
Ein Intendant muß in der Tat von allem eine ganze Menge verstehen, aber er muß für alles bessere Leute haben — bessere Regisseure, als er selbst einer ist, und bessere Dramaturgen. Er muß in allen Situationen persönlich reagieren können und dem Theater damit sein Profil geben. Das heißt auch, wenn mit einem von mir ausgewählten jungen Regisseur etwas schiefgeht, stehe ich zu ihm. Theater ist ein Gruppenkunstwerk und wird erst dadurch interessant, daß viele arbeitswütige Menschen längere Zeit zusammenarbeiten. Der Mittelbau eines Theaters, also all die kreativen und wachen Menschen zwischen der Intendanz und dem Ensemble, bestimmt letztendlich, wie lebendig ein Theater ist.
Das Gespräch führte Jürgen Berger
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