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Zuckerrohrernte — Sklavenarbeit wie vor hundert Jahren

Zigtausend haitianische Wanderarbeiter ziehen zur Zuckerrohrernte in den Nachbarstaat, die Dominikanische Republik/ Die Lebens- und Arbeitsbedingungen verstoßen gegen jede Menschenwürde/ In dieser Saison treibt auch das Militärregime die Haitianer außer Landes  ■ Von Jutta Bangel

Es waren etwa hundert Männer unterschiedlichen Alters, alle damit beschäftigt, in einem Zuckerrohrfeld Gräben zu ziehen, die meisten nackt oder lumpenbedeckt. Der Schweiß floß in Strömen von allen Körperteilen. Jedes Gesicht trug den Stempel der Erschöpfung, aber die Stunde der Ruhe war noch nicht gekommen. Das mitleidlose Auge des Verwalters kontrollierte die Gruppe, und mehrere Aufseher teilten mit ihren langen Peitschen brennende Hiebe aus...“

So beschrieb 1785 ein Schweizer Reisender die Arbeitsbedingungen der Sklaven auf den Zuckerrohrplantagen der Dominikanischen Republik. Seitdem hat sich nicht viel verändert. Zwar werden die Arbeiter heute nicht mehr mit der Peitsche zum Zuckerrohrschlagen auf die Felder getrieben. Doch Arbeiten bis zum körperlichen Zusammenbruch, unzureichende Ernährung und erbärmliche sanitäre Verhältnisse gehören auch heute noch zum Alltag auf den Zuckerrohrplantagen der als Touristenparadies hierzulande bekannten Inselrepublik.

Der je nach Lichteinfall smaragdgrün oder braun-violett schimmernde Teppich aus engbepflanztem Zuckerrohr birgt das Elend von mehr als 50.000 Männern, Jugendlichen und Kindern. Sie alle verrichten sechs Monate im Jahr eine tägliche Knochenarbeit auf den Plantagen der Dominikanischen Republik, die ihre Gesundheit ruiniert und dabei kaum das nötige Geld zum Überleben einbringt. Die meisten von ihnen kommen aus Haiti, dem armen und ungeliebten Nachbarn, mit dem sich die Dominikanische Republik die Karibikinsel teilt. Für zwölf Stunden harte körperliche Arbeit am Tag bekommen sie nicht einmal einen Dollar; gerade genug für die tägliche Ration Reis mit Bohnen. Bezahlt wird nach Gewicht des geschlagenen Zuckerrohrs, und das wird von den Aufsehern kräftig manipuliert. Nur die erfahrensten Arbeiter können den in der Dominikanischen Republik gültigen Mindestlohn von drei Dollar am Tag erreichen. Die meisten der jedes Jahr ins Land strömenden Haitianer waren noch nie in der Zafra, lebensgefährliche Arbeitsunfälle sind daher an der Tagesordnung. Wer sich aber zum Krüppel gearbeitet hat, fristet häufig genug ein Dasein am Rande des Hungertodes oder ist auf die Solidarität seiner Landsleute auf den Plantagen angewiesen. Die dominikanischen Arbeitgeber zahlen keinen Pfennig. Wer beim Zuckerrohrschneiden verunglückt, hat eben Pech gehabt.

Während der Zuckerrohrernte leben die Haitianer in sogenannten Bateys; so werden die in langen Reihen ausgerichteten Barackensiedlungen inmitten der Zuckerrohrfelder genannt. Jeweils vier bis sechs Männer werden in einen engen, fensterlosen Raum gepfercht, dessen Einrichtung häufig nur aus rostigen Bettgestellen mit schmutzigen, durchgelegenen Matratzen besteht. Sie leben dort ohne Trinkwasser, ohne Elektrizität, selbst Latrinen sind selten. Ihre einzige warme Mahlzeit am Tag — gekochter Reis, der gelegentlich mit Trockenfisch und Bohnen angereichert wird — müssen sich die haitianischen Zwangsarbeiter auf primitiven Feuerstellen vor ihren Baracken selbst zubereiten. In plantageneigenen Läden können sie sich mit allem Überlebensnotwendigem versorgen — vorausgesetzt, ihr karger Lohn reicht aus, um die überhöhten Preise zu zahlen. Sie können von Glück sagen, wenn sie überhaupt Bargeld sehen. Denn das auf den Bateys übliche Zahlungsmittel sind „vales“, Gutscheine, die nur alle zwei Wochen in Bargeld eingetauscht werden können. „Seitdem ich hier angekommen bin, habe ich ganze 200 Pesos (zirka 16 Dollar) verdient“, berichtet Maximo Kesa, der seit sechs Wochen im Zuckerbetrieb „Ozama“ arbeitet. „Bis jetzt habe ich meinen Lohn für Essen und Kleidung ausgegeben, ohne einen Peso Bargeld zu erhalten. Meine Gutscheine tausche ich bei einem Geldwechsler, der fünf oder zehn Prozent dafür nimmt. Wenn ich im Laden der Zuckergesellschaft einkaufe, behalten sie auch mindestens zehn Prozent ein.“ Unterernährung und daraus resultierende Krankheiten sind an der Tagesordnung. Eine Gesundheitsversorgung oder sonstige soziale Einrichtungen sind unbekannt in Bateys.

Das Elend der haitianischen Arbeiter beginnt schon bei ihrer Rekrutierung. Zwar ist das dominikanische Staatsunternehmen CEA (Staatlicher Zuckerrat), dem zwölf der insgesamt 16 Zuckerbetriebe in der Dominikanischen Republik gehören, gesetzlich verpflichtet, Arbeitskräfte für die Erntearbeiten nur per öffentlicher Ausschreibung anzuwerben, doch die Praxis sieht anders aus. Nach wie vor sind es die sogenannten „Buscones“ — bezahlte Schlepper — die im Auftrag des CEA in die Grenzregionen Haitis einfallen und mit goldenen Versprechungen von gutbezahlter Arbeit ihre Opfer ins Nachbarland locken. Als Kopfgeld für jede abgelieferte Arbeitskraft bekommen sie zwischen vier und 20 Dollar, ausgehändigt von dominikanischen Grenzsoldaten oder von Verwaltern des Staatlichen Zuckerrates, welche die HaitianerInnen auf Sammelplätzen an der Grenze in Empfang nehmen. Diese Zusammenarbeit zwischen Staatsbeamten, Armee und Menschenschleppern ist für alle beteiligten Parteien ein lohnendes Geschäft, nur für die betroffenen HaitianerInnen nicht: Die meisten ahnen nicht einmal, daß nicht der versprochene Traumjob, sondern die Hölle des Zuckerrohrs auf sie wartet.

„Ein Typ namens Bigeton erzählte mir, daß ich in der Dominikanischen Repbulik für 300 US-Dollar im Monat in der Orangenernte arbeiten kann“, erzählt der 22jährige Jean Aurel. „Ich habe ihm 20 US-Dollar gegeben, damit er mich über die Grenze bringt. An der Grenzstation Jimani verkaufte er mich den dominikanischen Soldaten. Die gaben ihm 100 Pesos (acht US-Dollar). Der junge Haitianer landete nicht in der versprochenen Orangenernte, sondern auf der staatlichen Zuckerrohrplantage mit dem klangvollen Namen „Porvenir“ — Zukunft. Der für haitianische Verhältnisse geradezu astronomische Monatsverdienst von 300 US-Dollar schrumpfte auf ganze 90 Cents täglich zusammen!

Viele HaitianerInnen, darunter vor allem Kinder, werden regelrecht zwangsrekrutiert. Sie werden von der Straße weggekidnappt, so wie der 14jährige Marc Pierre: „Ich habe im Fluß an der Grenze mit meiner kleinen Schwester gebadet, als ein dominikanischer Soldat in grüner Uniform uns festgenommen hat. Er brachte uns ins Gefängnis und erzählte uns, daß wir Zuckerrohr schneiden sollten. Als ich ihm sagte, daß ich kein Zuckerrohr schneiden wolle, hat er mich mit seinem Gewehr geschlagen.“

Einmal auf den Plantagen abgeliefert, gibt es für die haitianischen ZwangsarbeiterInnen kein Entrinnen mehr. Wer gehen will, wird von den dominikanischen Aufsehern mit Schlägen bedroht. Wer es dennoch wagt zu fliehen, riskiert, von der „Guarda Campestre“, einer Art Landmiliz, wieder eingefangen und übel mißhandelt zu werden. Mit derart brutalen Maßnahmen sichert sich der Staatliche Zuckerrat die so dringend gebrauchten haitianischen Arbeitskräfte, ohne deren Einsatz die dominikanische Zuckerindustrie zusammenbrechen würde.

Auf der Flucht vor Hunger und Armut im eigenen Land sind die haitianischen LandarbeiterInnen schon seit Jahrzehnten willkommene Lückenbüßer für den Arbeitskräftemangel in der dominikanischen Zuckerindustrie. Denn trotz chronischer Arbeitslosigkeit in der Dominikanischen Republik gibt sich kein Dominikaner für die schweißtreibende Arbeit in den Zuckerrohrfeldern her. Das Zuckerrohrschlagen gilt traditionell als Sklavenarbeit und wird deshalb den Nachbarn aus der schwarzen Republik Haiti überlassen. Den sich selbst als direkte Nachfahren der spanischen Kolonisatoren begreifenden Dominikanern bleiben die weniger anstrengenden Jobs als Vorarbeiter und Verwalter und als Ingenieure in den Zuckerfabriken vorbehalten. Diese auf rassistischen Vorurteilen basiserende Hierarchie ist so alt wie die Sklavenarbeit auf den Feldern.

Tatsächlich wurden die haitianischen LandarbeiterInnen noch bis vor fünf Jahren wie SklavInnen an den Nachbarstaat verhökert. Unter der Diktatur der Duvaliers in Haiti wurden der dominikanischen Zuckerindustrie jährlich 20.000 haitianische Arbeitskräfte vertraglich zugesichert. Als „Aufwandsentschädigung“ für ihre Anwerbung und Verfrachtung an die Grenze zahlte die dominikanische Regierung dem Nachbarstaat je nach Lieferung bis zu zwei Millionen Dollar. Eine Summe, die nie im Staatsbudget auftauchte, sondern gleich im Privatsäckel des Duvalier-Clans verschwand. Dieser vertraglich geregelte Menschenhandel fand erst mit dem Sturz Jean Claude „Baby Doc“ Duvaliers 1986 ein Ende. Seitdem werden die haitianischen Arbeitskräfte wieder illegal angeworben. Aber noch immer sind es tausende, die jährlich über die Grenzen kommen und das Heer der haitianischen ArbeitsimmigrantInnen verstärken, die hochverschuldet und mittellos nach jeder Zafra in der Dominikanischen Republik hängenbleiben. Viele von ihnen, die vor Jahrzehnten der Legende von der gutbezahlten Arbeit im Nachbarland gefolgt sind, haben inzwischen Familien gegründet und so die zweite und dritte Generation von ArbeitssklavInnen für die dominikanische Zuckerindustrie geschaffen. Zwischen 600.000 und einer Million Haito-DominikanerInnen sollen es inzwischen sein. So genau weiß das niemand, da die meisten von ihnen illegal im Land sind. Obwohl in der Dominikanischen Republik geboren und aufgewachsen, der eigenen Sprache — des Kreol — kaum noch mächtig, wird ihnen bis heute von den dominikanischen Behörden die Staatsbürgerschaft verweigert. Sie sind weder haitianische noch dominikanische BürgerInnen und absolut rechtlos, ohne Anspruch auf Schulbildung oder andere staatliche Sozialleistungen, jederzeit von Verhaftung und Abschiebung bedroht. Die Regierung Balaguer ist — wie schon ihre Vorgängerinnen — ausschließlich an billigen Arbeitskräften, nicht aber an menschlichen Schicksalen interessiert.

Auf die in den letzten Jahren wiederholt geäußerten Vorwürfe der Sklavenarbeit in den staatichen Zuckerrohrplantagen reagierte der dominikanische Präsident stets mit leeren Versprechungen. So erließ er Ende letzten Jahres ein Dekret, das den haitianischen ZuckerrohrschneiderInnen einen geregelten Aufenthaltsstatus, individuelle Arbeitsverträge und freie Arbeitsplatzwahl zusichert. „Alles nur wertloses Papier“, meint Ann Fuller von der US-amerikanischen „National Coalition for Haitian Refugees“. Zusammen mit der Menschenrechtsorganisation „Americas Watch“ hatte ihre Organsation die US-Regierung aufgefordert, der dominikanischen Regierung die Handelsvorteile zu entziehen, falls die menschenunwürdigen Lebens- und Arbeitsbedingungen auf den dominikanischen Zuckerrohrplantagen nicht umgehend verbessert würden. Passiert ist seitdem nichts. „In diesem Jahr wurden tatsächlich zum ersten Mal für alle Neuankömmlinge Arbeitsverträge an der Grenze verteilt. Doch die sind in so miserablem Kreol verfaßt, daß nicht einmal haitianische Intellektuelle sie verstehen. Ganz abgesehen davon sind die meisten haitianischen Zuckerrohrarbeiter Analphabeten. Diese Verträge sind also völlig nutzlos für sie, wenn sie nicht über ihre Rechte aufgeklärt werden. Und die Mühe machen sich die dominikanischen Behörden natürlich nicht.“

Mit derartigen Scheinmanövern versucht die dominikanische Regierung, sich das Wohlwollen der Vereinigten Staaten zu erhalten. Eine Kürzung der millionenschweren US- Wirtschaftshilfe — wie sie ein Kongreßabgeordneter im Frühjahr angedroht hatte — wäre eine Katastrophe für den maroden Staatshaushalt der Dominikanischen Republik. Über 25 Prozent Arbeitslosigkeit und inflationäre Preissteigerungen hatten bereits im letzten Jahr zu zahlreichen Streiks und Massendemonstrationen geführt, die nur durch brutalen Polizeieinsatz niedergeschlagen werden konnten.

In diesem Sommer hatte Präsident Balaguer ein anderes Mittel gefunden, um das explosive soziale Klima im Land kurzfristig zu entschärfen: Im Juni verkündete er die Ausweisung aller illegal im Land lebenden HaitianerInnen. Seitdem wurden zirka 25.000 Männer, Frauen und Kinder über die Grenze abgeschoben. Noch einmal so viele HaitianerInnen kehrten „freiwillig“ in ihre Heimat zurück. Sie hatten offenbar Angst vor Repressionen der dominikanischen Armee.

Von rassistischer Presse- und Regierungspropaganda zu Parasiten gestempelt, gelten die haitianischen EinwandererInnen bei der Mehrheit der Dominicanos als unnütze KostgängerInnen und Konkurrenz im Kampf um die spärlichen Arbeitsplätze und Sozialleistungen. Mit ihrer Abschiebung hat sich Balaguer beim Volk erst einmal Luft verschafft und die hausgemachten sozialen und ökonomischen Probleme geschickt in die Nachbarrepublik exportiert.

Doch auch in der kommenden Erntesaison wird der Staatliche Zuckerrat der Dominikanischen Republik nicht über Arbeitskräftemangel klagen müssen. Für Nachschub auf dem dominikanischen Sklavenmarkt sorgt diesmal neben den angeheuerten Menschenschleppern auch die politische Konjunktur im Nachbarland. Der jüngste Militärputsch in Haiti wird die Bevölkerung wieder zu Tausenden auf die staatlichen Zuckerrohrplantagen in die Dominikanische Republik treiben. Denn der bittere Zucker in der Dominikanischen Republik schmeckt immer noch besser als Hunger und Repression des Militärs im eigenen Land.

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