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Auf der Suche nach dem künstlerisch wertvollen Sexfilm

Spielfilme im ZDF/ Samuel Fuller gab sich vor der Presse die Ehre  ■ Von Sabine Jaspers

Ein kleiner Mann ist vom Rauch seiner großen Zigarre in dichten Nebel gehüllt: Samuel Fuller, einer der „Gründerväter des Kinos“ (Bernardo Bertolucci), verleiht einer Pressekonferenz des Fernsehens den Glanz des Besonderen. Im nächsten Jahr wird die in Paris lebende Legende des amerikanischen Films 80 Jahre alt, das ZDF gratuliert mit einer Hommage. Madonna and the Dragon mit Flashdance-Pirouettendreherin Jennifer Beals in der Hauptrolle, ist Teil einer Fuller-Werkschau. Madonna and the Dragon ist ganz nach dem Credo des Meisters „Film ist wie eine Schlacht: Liebe. Action. Haß. Gewalt — in einem Wort: Gefühl.“ Ein Film, der, obwohl für das Kino produziert, hierzulande nicht das Licht der Leinwand erblicken durfte, aber als deutsche Premiere einen Sendeplatz beim ZDF gefunden hat.

Fullers Schlagzeilenkino ist nicht der einzige Höhepunkt auf dem Spielfilm-Jahresplan des ZDF. Allen Unkenrufen zum Trotz setzt der Leiter der Spielfilmredaktion, Georg Alexander, 1992 auf ein Programmm zwischen „Kunst und Kommerz“. Auch wenn sich die öffentlich-rechtlichen Sender eigenproduzierte Serien als Vorbeugung gegen Zuschauerdesinteresse verschrieben haben, der Spielfilm im Fernsehen gegen Rudi Carrell als Kult der Zerstreuung keine Chance hat, der Kampf um die bewegten Bilder auf internationalen Märkten immer härter wird und Alexander bedauern muß, das „zu viele Spielfilme auf zu vielen Kanälen“ laufen: Er läßt sich nicht verdrießen. Der Spielfilm, so hätten hausinterne Studien bewiesen, stünde nach den Nachrichten an zweiter Stelle auf der Nachfrageskala des Publikums. Hausgemachtes sei nicht per se erfolgreicher. Einschaltquoten von 30 bis 40 Prozent gäbe es heutzutage nirgends mehr, heute sei man auch mit 20 froh und mit 16 zufrieden.

Sogar einen neuen Spielfilmtermin hat man eingerichtet, Montag heißt der neue Kinotag im ZDF. Hier soll's, jeweils um 22.15 Uhr, „intelligente Unterhaltung“ geben. Dazu zählt man Rob Reiners Harry und Sally, Werke von Sam Peckinpah (Pat Garret jagt Billy the Kid), Patrice Leconte (Die Verlobung des Monsieur Hire), Dennis Hopper sowie eine Fassbinder-Retrospektive anläßlich seines 10. Todestages.

Der Mittwoch richtet sich mit Publikumsfängern von Heinz Rühmann bis Heinz Erhardt jeweils um 19.25 Uhr an den älteren Teil der Zuschauergemeinde. Auch Freitags trifft man viele alte Bekannte wieder, wenn Krimiklassiker, Komödien, Musikfilme oder Erschreckendenes aus dem Hause John Carpenter wie Halloween — Nacht des Grauens versendet werden.

Cineasten können auch 1992 ihrem Hobby nachgehen, wenn sie weiterhin mit wenig Schlaf auskommen. Der Spättermin am Donnerstag, 23.30 Uhr, ist für die „Anspruchsvollen“ unter uns reserviert. Daß gerade dieser Bereich noch mehr in die Außenbezirke des Programmschemas gedrängt wurde, betrübt auch Alexander.

Weil sich die Ankunft von Christoph Columbus in Amerika zum 500. Male jähren wird, sind unter dem Titel „Bilder aus der neuen Welt“ eine Reihe lateinamerikanischer Produktionen weiterer Programmschwerpunkt.

Neben den 450 ZDF-Spielfilmen sind noch rund 250 beim Spartenprogramm 3sat, dem Sender für „die intellektuell interessierte Minderheit“ (Alexander), geplant. Wie schade, daß gerade dieses Programm auf der Pressekonferenz wenig besprochen wurde, da gerade hier Unbekannteres wie neue baltische Filme, American Independents, ein Festival des Jiddischen Films oder ein Rückblick auf die Neue Welle des chinesischen Films ihr Schattendasein fristen.

Obwohl er RTLplus „schrecklich“ findet, würde man im Werben um die Einschaltgunst gerne eine „erotische Komponente einführen“, sagt Alexander. Doch die Suche nach dem künstlerisch ambitionierten und intelligenten Sexfilm bereite Probleme. Die paar, die man gefunden habe, werde man zwischen 1992 und 1993 das erste Mal ausprobieren.

Und Samuel Fuller? Im Schlagzeilen-Staccato, das seiner Persönlichkeit eigen ist, sagt er mir: „Fernsehen ist nicht Film. Da fehlt was, das Licht ist unterschiedlich, die langen Shots gehen verloren, das Fernsehen ist schneller, vieles kann man nicht sehen, vergiß das Fernsehen.“ Wären da nicht die Kosten, die Schwierigkeiten, gerade für Independent-Filme einen Verleiher zu finden... Und während die PressevertreterInnen schon in die Redaktionsstuben eilen, die Forellenhäppchen aufs Presseheft huckepack nehmend, schiebt sich der alte Mann seine Zigarre in den Mundwinkel und schaut sich mit aller Zeit der Welt seinen eigenen Film an. Ganz dicht sitzt er vor der Flimmerkiste, so daß er leicht nach oben blicken muß. So, als wär's Kino.

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