piwik no script img

Alter Wein im neuen Schlauch

■ Kurz vor ihrem zweiten Parteitag ist die SED-Nachfolgepartei PDS nur noch rudimentär vorhanden/ Doch die Genossen verschließen die Augen und die Parteierneuerer fühlen sich an alte SED-Zeiten erinnert

Berlin (taz) — Wenn sich die PDS am Wochenende zu ihrem zweiten Parteitag in Berlin zusammenfindet, steht in erster Linie die Befriedung der Parteibasis auf dem Programm. Der Vorstand soll neu gewählt und von derzeit 70 auf 18 Mitglieder verkleinert werden, die personelle Besetzung hat Parteichef Gregor Gysi vorgeschlagen. Er soll die „Mitte“ der zerstrittenen und nicht mehr als 180.000 Mitglieder der Partei repräsentieren. Durchsetzen wird sich aber, so unken parteiintern die Kritiker aus dem Kreis der Erneuerer, das „Modell Volkssolidarität“.

Die Reformer in der PDS, die sich auf dem letzten Parteitag mit dem Anspruch einer Runderneuerung der Partei als „Strömung“ zusammenschlossen, haben zwischenzeitlich mehr oder weniger aufgegeben. Deren prominente VertreterInnen, wie die Präsidiumsmitglieder Helga Adler und Rainer Börner, kandidieren nicht mehr — und Jan Bloch, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Junger Genossen, urteilt über die Erneuerungsversuche schlicht: „Gescheitert“. In der PDS dominieren dem 31jährigen zufolge wieder „ähnliche Strukturen wie in der SED“.

Auch Gregor Gysi, dem einst so agilen Aushängeschild der SED- Nachfolgepartei, werfen die Reformer vor, nur den Interessen des traditionalistischen Flügels der Partei zu dienen und dessen DDR-Nostalgie faktisch mitzutragen.

„Sechs Thesen zur Strategie und Politik der PDS — Für radikale Reformen“ soll der Parteitag verabschieden, in deren Kern sich die Partei einem Primat der Sozialpolitik unterwerfen soll. Das Eingemachte steht dagegen nicht auf dem Programm: Weder über das Scheitern der Partei im Westen, noch über die Frage „Zukunft als Regionalpartei für den Osten“ soll debattiert werden. Auch der auf dem letzen Parteitag beschlossene und mittlerweile zur Makulatur verkommene Beschluß zum eigenen Umgang mit der Stasi-Vergangenheit taucht auf der Tagesordnung nicht auf. Die Beschäftigung mit dem rapiden Zerfall wäre indes dringend notwendig. Von den 350.000 Mitgliedern im Juni 1990 verließen bis heute mehr als 170.000 die Partei. Bundesweit erreicht die PDS nach neuesten Umfragen gerade einmal zwei Prozent, auch in den neuen Bundesländern ist der Einbruch drastisch. Würde morgen gewählt, wäre der Einzug der Gysi-Partei in den Potsdamer Landtag keineswegs sicher. Nach einer Umfrage ist in Brandenburg der Musterverband der PDS in der Gunst der Wähler von zwölf auf sieben Prozent gefallen. Eine Entwicklung, die auch für die anderen Neuländer gilt. Gefahr droht der PDS auch auf kommunaler Ebene. Von den rund dreihundert Bürgermeistern, die die PDS in den neuen Bundesländern stellen konnte, haben an die hundert die Partei verlassen, zum Teil zugunsten der SPD. Und die verbliebenen Mandatsträger werden noch mehr unter Druck geraten, wenn der Parteitag, wie vorgesehen, in der Ausländer- und Asylfrage mit großer Mehrheit die Forderung nach „offenen Grenzen“ beschließt.

Rollback der Alten

Erklärt wird der drastische Verfall in der PDS überwiegend mit hausbackenen Mustern: Schuld sei, neben dem „anhaltenden Trommelfeuer aus allen Richtungen“ (so eine Berliner Parteigruppe), vor allem die Zurschaustellung der eigenen, parteiinternen Konflikte. Von der Kritik an der Außendarstellung zur innenparteilichen Gängelung führte ein kurzer Weg: Diskussionen werden als Grabenkämpfe denunziert — in der Sonderbeilage zur Parteitagsvorbereitung im parteinahen 'Neuen Deutschland‘ schreibt beipielsweise Vorständler Uwe Ehrhold: „Wer versucht, eine Richtungsentscheidung herbeizuführen — egal, für oder gegen welche Richtung und egal, ob durch Wahlen oder sonst wie — zerstört den letzten Rest unserer Chancen, doch noch eine moderne sozialistische Partei zu werden, zerstört die PDS und macht sich schuldig an der Linken.“

Kritiker, die den Rollback der alten Männer in der PDS offen anprangern, finden immer weniger Zugang zur parteiinternen Öffentlichkeit. So geschehen im Fall des früheren Hamburger Grün-Alternativen Michael Stamm, der mit Schreiben vom 15. November dem Parteivorstand seinen Rücktritt aus Vorstand und Präsidium erklärte. In seiner Rücktrittserklärung („Ich bin mit meinem Engagement in und für die PDS auf der ganzen Linie gescheitert“) verweist Stamm auch auf eine ausführlicheres Schreiben an Parteichef Gysi, mit dem Vorschlag, Gysi solle das Schreiben öffentlich machen. Der Brief an Gregor, eine bittere Abrechnung mit dem PDS-Ehrenvorsitzenden Hans Modrow, mit Gysi und Stamms eigenen „Illusionen“, wird in der PDS als Verschlußsache gehandelt. Eine „typische Deckelei“, finden resignierte Reformer. wg

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen