: Honecker in der chilenischen Botschaft
Heute läuft das Ultimatum aus, das Boris Jelzin dem ehemaligen DDR-Staatschef Erich Honecker gestellt hat/ Honecker flüchtete „überstürzt“ unter die Fittiche des chilenischen Botschafters in Moskau ■ Aus Moskau Barbara Kerneck
Am heutigen Freitag schlägt es 13 für Erich Honecker. Um Mitternacht läuft dann das Ultimatum ab, das ihm die russiche Regierung am Montag stellte, unmittelbar nachdem sie das Brester Abkommen mit der Ukraine und Belorußland in der Tasche hatte. Auf Jelzins Beschluß droht dem ehemaligen DDR-Staats- und Parteichef die Auslieferung an die Bundesrepublik, falls es ihm nicht vorher gelingt, Rußland zu verlassen. Honecker sucht in einem letzten verzweifelten Schritt zu entkommen: Er flüchtete sich in die chilenische Botschaft.
Daß Honecker für den Fall der Ausweisung mit Selbstmord gedroht hat, bezeichnete noch am 20. November ein Kommentator der 'Prawda‘ als „Tragödie“. Sein Argument gegen die jetzt von Jelzin angestrebte Auslieferung: „Die Führer Rußlands haben offenbar vergessen, daß Moskau nicht nur die Hauptstadt der Russischen Föderation ist, sondern auch der noch existierenden Sowjetunion und somit einen besonderen Status hat. Rußland kann auf diese Stadt nicht hundert Prozent seiner Jurisdiktion ausbreiten.“
Genau dies hat die russische Regierung getan mit der Gründung der „Gemeinschaft Unabhängiger Staaten“. Eines besseren Beweises für die bröckelnde Macht des UdSSR- Präsidenten Gorbatschow bedarf es kaum: Als „Johann ohne Land“ kann er nicht länger die Hand über seinen Schützling halten.
Der aber könnte sich am ehesten in Richtung auf eine andere ehemalige Sowjetrepublik aus dem Staube machen. Denn alle wirklich souveränen Staaten könnten gegen Honeckers Einreise ein schlagendes Argument ins Feld führen: Der ehemals erste Mann der DDR dürfte kaum über einen gültigen bundesdeutschen Paß verfügen.
Der frühere DDR-Staats- und Parteichef hat daher jetzt in der chilenischen Botschaft in Moskau Zuflucht gesucht, um der drohenden Ausweisung zu entgehen. Der 79jährige befindet sich damit unter den Fittichen des chilenischen Botschafters, wobei auf die Formulierung Wert gelgt wird, daß Honecker privat und „als Gast“ dort weile. Der Botschafter selbst, ein persönlicher Freund des SED-Vorsitzenden, halte sich derzeit jedoch in Santiago de Chile auf. Die DDR hatte Botschafter Almayda während der Pinochet-Diktatur Asyl gewährt.
Honecker bemüht sich mit seiner Frau Margot um eine Ausreise nach Chile, wo seine Tochter Sonja lebt. Der chilenische Staatspräsident Patricio Aylwin versicherte jedoch kürzlich in einem Interview, er werde Honecker auf gar keinen Fall politisches Asyl gewähren. Doch offiziell hatte Chile gestern abend noch nicht entschieden, wie es sich dem prominenten Flüchtling gegenüber verhalten wird.
In einer von der chilenischen Botschaft verteilten Erklärung Honeckers lehnt dieser seine Auslieferung strikt ab und bezeichnet sich als „politisch Verfolgten“. Dieser rechtlichen Würdigung schloß sich auch sein Berliner Anwalt Wolfgang Ziegler an.
Die deutsche Bundesregierung forderte, Honecker in Auslieferungshaft zu nehmen, und bestand auf einer „unverzüglichen Rücküberstellung“. Die Berliner Justizbehörden sind auf eine Überstellung Honeckers vorbereitet: „Sobald er deutschen Boden betritt, wird er verhaftet.“
Ein überraschendes Asyl bot Honecker noch vor wenigen Tagen das Haupt der wahrhaft rechtgläubigen Kirche, auch Katakomben-Kirche genannt, in einer Erklärung, die die Moskauer Tageszeitung 'Kuranty‘ veröffentlichte. Erzbischof Lasar vertritt einen Zweig der russischen Orthodoxie, der sich seit den 20er Jahren gegen jegliche Zusammenarbeit mit der KPdSU-Obrigkeit sperrte und noch bis heute konspirative Traditionen bewahrt.
Anfang des Monats wandte er sich an Michail Gorbatschow mit dem Vorschlag, den ehemaligen DDR- Führer in einem der geheimen Klöster der Katakomben-Kirche zu verbergen. Nur dort, so argumentierte Vater Lasar, könne Honecker der von ihm so dringend benötigte „geistliche und physische Schutz“ gewährt werden.
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