: Auf Samtdeutsch
■ Rosa Prosafaden — Eine Ansammlung von Rätseln
Es war einmal ANNA LYSE. Mit von der Partie ihr Liebhaber, der Prinz GI und die samtdeutsche Sprache. In ihr enthalten sind so wunderliche Sprachschöpfungen wie Belichterstattung und Eros=ion.
All dies sind Kopfgeburten der surrealistisch geschulten Sprachanalytikerin (Der Mythos des Surrealismus), Dichterin und Performerin Ginka Steinwachs. Nach jahrelangem Schreiben am Rande des Literaturbetriebs — bei einer gleichzeitig anwachsenden StammleserInnen-Gemeinde — liest sie sich mittlerweile knapp an etlichen ersten Literaturpreisen vorbei.
Einer ihrer Texte wurde jüngst in New York mit großem Erfolg aufgeführt. Jetzt tritt sie mit einem neuen rosa prosafaden an die Öffentlichkeit. Anna's (((T))) Raum. Wer diesen Titel schreibt, hat Glück, denn wer ihn sprechen muß, steht vor den Klammern wie vor einer Entscheidung. Wie das Lesen von modernen Partituren ist eben auch das Lesen von Ginka Steinwachs' Texten fakultativ. Bitte wählen Sie zwischen Traum und Raum.
Diese Texte sind eine Ansammlung von Rätseln, die ähnlich wie Getrud Steins Irritationen oder Zürns Anagramme nicht entschlüsselt, sondern gelesen und gespielt werden wollen. Bei Steinwachs ist das Alphabet und das gängige Repertoire von Satzzeichen die Quelle von vielerlei Kombinationsspielen, Auflösungen, Wiederholungen und Umstellungen. Wie wir sprechen, so schreibt sie. Empfindung auf Samtdeutsch: M empfindung.
Nach Lust und Laune wird programmatisch behauptet (»dies ist eine affirmative dekonstruktion«), leider reichlich Fremdsprachiges dazwischengeschoben (As=Bach) und vor allem zitiert: Die Literaturgeschichte ist ein Warenangebot, und was einem gefällt, das wird aus dem Regal gepickt. Jeder Text von Steinwachs ist das, was ein französischer Literaturwissenschaftler einmal »textes-lectures« genannt hat. Texte, die die Spuren von Lektüren bewahren.
Surrealismus und Strukturalismus, vielleicht auch ein bißchen orientalische Philosophie sind die Standbeine ihrer Schreibweisen. Insoweit hält sie sich an Konventionen ehemals subversiver Poetik und ehemals neuartiger wissenschaftlicher Analyseformen. Eine (((K))) Ostprobe, Kapitel VII. Titel »es wächst das glück, man ist entzückt: i. punkt/ich, anna lyse und so weiter, liege bei dir,/ geliebter prinz GI auf dem lager. wir sind wie./ wir sind in eins verschlungen wie. wir sind/ in eins verschlungen wie eine eins.«
All diese Zeichen warten nun auf ihre theatrale Umsetzung, auch wenn der Text gar kein Bühnenstück ist (was für einer ist er denn?). Denn nur so wird schöner Unsinn wie der stein der leisen und die dunkelkammer der literatur das Buch verlassen und die Bühne betreten können. Das wäre der i.punkt jenseits der gedruckten Seiten. Ein Bändchen, das durch seine feine Typographie und den mitternachtsblauen Einband besticht. Gabriele Mittag
Ginka Steinwachs: Anna's (((T))) Raum. Zeichen + Spuren , Bremen 1991. 32 Seiten. 18 DM.
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