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Durch den Tunnel ins Chaos

■ Trotz geringer gewordenen Nord-Süd-Verkehrs hält Senat am Tunnelbau fest

Berlin. Der Nord-Süd-Verkehr zwischen Heidestraße und Kanalufer ist seit der Maueröffnung um fast sieben Prozent zurückgegangen, während sich der Verkehr in Ost-West-Richtung mehr als verdoppelt hat. Dies stellte das Institut für Bahntechnik (IfB) in einem Gutachten für die Tiergartener Stadterneuerungsgesellschaft S.T.E.R.N. fest. Grundlage der IfB-Untersuchung sind Daten der Senatsverkehrsverwaltung. Demnach ist der vom CDU/SPD-Senat beschlossene Tunnel durch den Tiergarten nicht nur überflüssig, so S.T.E.R.N.-Chef Uli Hellweg, sondern nachgerade schädlich. Denn der Tunnel würde von den Autofahrern genutzt, um die jetzt schon überlasteten Ost-West-Magistralen zu erreichen, so daß der Verkehr in Moabit und Umgebung komplett zusammenbrechen werde. »Daß die SPD so etwas mitmacht, ist unbegreiflich«, bemerkte Hellweg. Die vom Senat geplante Tunnelausfahrt über die Heide- und Lehrter Straße gefährde außerdem die Planung einer dringend benötigten Schule; zudem würde die Trasse über das alte Moabiter Zellengefängnis führen. An diesem Ort, wo in der Nazizeit politische Häftlinge gefangensaßen, soll eigentlich eine Gedenkstätte entstehen.

Ein »Skandal«, so Hellweg, sei es außerdem, daß der Senat bereits entschieden habe, den umstrittenen Zentralbahnhof an der Lehrter Straße zu bauen. Nach einer Diskussion im »Stadtforum« vor einem halben Jahr hatte der Verkehrssenator eine Reihe von Büros beauftragt, fünf Alternativen dazu zu prüfen. Nun entschied sich der Senat für den riesigen Zentralbahnhof an der Lehrter Straße, ohne das Ergebnis der — übrigens millionenteuren — Prüfung abzuwarten. »Dabei sind all die Sachen, die wir vor Monaten kritisiert haben, eingetreten«, sagte Hellweg. So habe man damals schon darauf hingewiesen, daß die Anbindung des Zentralbahnhofs an den öffentlichen Nahverkehr — derzeit gibt es dort nur die Ost-West-S-Bahn — nicht finanzierbar sein werde. Im Verkehrskonzept des Senats für den zentralen Bereich (wir berichteten) steht zwar, daß die U-Bahn-Linie fünf vom Alexanderplatz zur Lehrter Straße geführt werden soll. Die Erweiterung dieser und anderer Strecken in Richtung Tiergarten, Schöneberg und City-West sei erst »in einer weiteren Ausbauphase denkbar«, so das Senatskonzept. Das heiße, das Berlin bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag darauf warten werde, sagte Hellweg.

Das Institut für Bahntechnik prüfte neben dem Zentralbahnhofskonzept das alternative »Zwiebelmodell«, bei dem große Bahnhöfe am Ost- und Westkreuz geplant sind. Die »Zwiebel«, so das IfB-Gutachten, sei stadt- und umweltverträglicher als der Zentralbahnhof und nehme auf die polyzentrale Struktur Berlins Rücksicht. esch

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