: Hürden für Berlin-Brandenburg
■ Am Freitag tagen die Kabinette beider Länder gemeinsam/ Während Berlin auf rasche Vereinigung drängt, setzen die Potsdamer auf Zeit/ Das dünnbesiedelte Flächenland fürchtet um seine Identität
Berlin/Potsdam. Brandenburgs Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) hatte den Stein im Juni unmittelbar nach der Entscheidung des Bundestages für Berlin als Sitz von Parlament und Bundesregierung ins Rollen gebracht: Möglichst bald müsse über die Form künftiger Zusammenarbeit von Berlin und Brandenburg entschieden werden. Sofort machte die Vision eines gemeinsamen Bundeslandes an Spree und Havel die Runde, nicht zuletzt dringend gefordert von den längst länderübergreifend organisierten Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften.
Vor der gemeinsamen Kabinettssitzung beider Länder zu diesem Thema am kommenden Freitag in Berlin erscheint dieses Ziel jedoch trotz gegenteiliger Absichtserklärungen in weiter Ferne. Die Berliner große Koalition hat sich klar für ein gemeinsames Bundesland ausgesprochen und drückt aufs Tempo. Der Senat erwarte am Freitag „erste konkrete Schritte“, sagt der Chef der Senatskanzlei, Volker Kähne.
Stolpe möchte bis 1998 Brandenburgs roten Adler mit dem Berliner Bären vereinigt sehen. In seiner „Ampelkoalition“ aus SPD, Bündnis 90 und FDP werden aber hohe Hürden aufgebaut. „Wir brauchen Zeit für uns selbst“, sagt SPD-Fraktionschef Wolfgang Birthler. Bevor Brandenburg nicht auf eigenen Füßen stehen könne, sei an eine Vereinigung nicht zu denken. Genau das veranlaßt Diepgen, auf eine rasche Grundsatzentscheidung zu dringen. Je mehr sich Strukturen verfestigten, desto schwerer werde die Vereinigung.
Emotional gibt es in Brandenburg viel Zustimmung zu einem gemeinsamen Bundesland. Doch die Befürchtung, das seine Identität suchende Flächenland mit 2,6 Millionen Einwohnern könnte von einem übermächtigen Vier-Millionen- Moloch Berlin aufgesogen und in seinem Wunsch nach Teilhabe am Wohlstand völlig vergessen werden, ist in Potsdam allgegenwärtig. „Wo liegt der Nutzen für Brandenburg in einem gemeinsamen Bundesland“, fragt etwa der Fraktionschef von Bündnis 90, Günter Nooke. Nach seiner Ansicht ist es zweifelhaft, ob die große Mehrheit der Berliner Abgeordneten in einem gemeinsamen Landtag mehr als den „Speckgürtel“ um Berlin im Auge haben würde.
Das sieht auch der Chef der Potsdamer Staatskanzlei, Jürgen Linde (SPD), so, der die Verhandlungen mit Berlin führt. Um heftigen Verteilungskämpfen zu entgehen, muß nach seiner Auffassung vor einer Entscheidung für einen Zusammenschluß die künftige Infrastruktur in Wirtschaft und Verwaltung verbindlich verabredet werden.
Während der Verteilungskampf zwischen beiden Ländern bereits in vollem Gang ist, fehlt es nach wie vor an konkreten Vereinbarungen in den Bereichen Verkehr, Müllentsorgung, Krankenhausplanung oder Wohnungsbau. Berlin fühlt sich hingehalten, während Potsdam etwa mit der Einrichtung eigener Landesarbeits- und -sozialgerichte Fakten schafft und mit höheren Eingruppierungen Beamte lockt. Berlin würde daher gern eine „Wohlverhaltensklausel“ unter Dach und Fach bekommen, wonach beide Länder für eine Übergangszeit keine Entscheidungen treffen, die einen Zusammenschluß behindern. dpa/taz
Siehe Kommentar auf Seite 21
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