: Die Vergangenheit fordert ihren Tribut
■ Zumindest in der Debatte ließen sich die Reformer in der Ost-CDU nicht mit Allgemeinplätzen abspeisen. Ob praktische Konsequenzen folgen, ist offen. Eine Ost-Frau, Angela Merkel, wurde als...
Die Vergangenheit fordert ihren Tribut Zumindest in der Debatte ließen sich die Reformer in der Ost-CDU nicht mit Allgemeinplätzen abspeisen. Ob praktische Konsequenzen folgen, ist offen. Eine Ost-Frau, Angela Merkel, wurde als Stellvertreterin Kohls gewählt. Das Dresdener Manifest wird wohl bald vergessen sein
resden, Kulturpalast: Der Parteivorsitzende glänzt zufrieden und verfolgt das weitere Geschehen gelassen. Neben ihm sitzt für kurze Zeit seine frisch gekürte Stellvertreterin. Frauenministerin Angela Merkel, am ersten Abend des Parteitags mit komfortabler Mehrheit zu Helmut Kohls einziger Vizevorsitzenden gewählt, sieht dagegen abgespannt und strapaziert aus. Das ungleiche Führungsgespann der Union, der unanfechtbare Profi aus dem Westen und die um eine Generation jüngere Newcomerin aus dem Osten, soll das schwierige Geschäft der Unionsfusion fortführen. Der erste Anlauf zur Ost-West-Parität in der Parteiführung war an den Vergangenheitslasten von Vorgänger de Maizière gescheitert.
Wie unendlich verwickelt das Vergangenheitsproblem der vormaligen Blockpartei auch nach diesem Kongreß bleiben wird, konnte an kleinen Begebenheiten oft besser studiert werden als an den großen Reden. Am äußersten Rande des Tagungspräsidiums hatte die Regie den thüringischen Ministerpräsidenten Duchac plaziert, der wegen seiner Vorgeschichte in der Alt-CDU heftig umstritten ist und sich wohl kaum halten kann. Daneben, etwas mehr zur Mitte hin, ein deutliches Stück von Duchac abgerückt, Verkehrsminister Günther Krause, der 1987 am gleichen Ort Redner des Ost-CDU-Parteitags war.
Ob Kohl auch ihn meinte, als er sich vor attackierte Parteifreunde stellte, ist Interpretationssache. Namentlich genannt hat er ihn jedenfalls nicht. Den kompromittierten de Maizière zitierten hingegen zwei Delegierte, denen keine Anpasserei vorgehalten werden kann. „Ich freue mich noch heute“, so Angela Merkel in ihrer Vorstellungsrede, „daß er einer meiner politischen Lehrer war.“
Arnold Vaatz, aus dem Neuen Forum zur CDU gekommen und heute Mitglied der sächsischen Landesregierung, erinnerte an das Wort vom „Sündenfall“ und der „Schuld“ der Ost-CDU, das von de Maizière stammt — den „dürfte man doch wohl noch zitieren“.
Alles zu seiner Zeit und am richtigen Ort, das war beim Kapitel Vergangenheit und überhaupt für jeden potentiellen Konfliktfall die erfolgreiche Devise der Parteitagsregie. Nachdem der gewichtige Vorsitzende in seiner unerschütterlichen Selbstgewißheit den ersten Tag des Parteitags dominiert und eine fast sterile Debatte gleichermaßen für Zufriedenheit der Delegierten und für Langeweile beim Publikum gesorgt hatte, folgte gestern die Vorstellung des „Dresdner Manifests“. Es soll die Grundsätze der CDU fixieren, bis 1994 das neue Parteiprogramm verabschiedet wird.
Nach der Vorstellung durch CDU-Generalsekretär Volker Rühe diskutierte der Parteitag zunächst in sechs Foren: Gelegenheit zur Konfliktaustragung, die auf der großen Bühne des Parteitags nicht unerwünscht war. So fand im Forum „Soziale Marktwirtschaft vor neuen Herausforderungen“ tatsächlich der Streit um die Treuhand- Politik statt, allerdings ohne weitere Folgen für den Parteitag. Bei „Neue Chancen für Frauen im geeinten Deutschland“ ging es ähnlich trostlos zu wie in der Wirklichkeit. Trotz des vielerwähnten 40-Prozent-Frauenanteils in der Ost-CDU erschütterte das auch diesmal niemanden, denn zu sagen haben die Unions-Frauen unverändert wenig. — Das größte Interesse fand das Vergangenheitsforum; an den ins Unverbindliche abgerutschten Passagen des Manifests ändert das nichts. O-Ton: „Auch wer keinen Anlaß sieht, sich persönlich etwas vorzuwerfen, muß sich doch die Fragen stellen, ob seine frühere Tätigkeit in Beruf, Gesellschaft und Politik es seinen Mitbürgern und Parteifreunden heute schwer macht, neues Vertrauen zu gewinnen.“
Aber wichtiger als die Vergangenheit ist den Christdemokraten allemal die Gegenwart: „Eine gemeinsame Tagesordnung der Politik in Deutschland“ will die Union formulieren. Die hat, so Generalsekretär Volker Rühe, drei Fragen zu beantworten: „Was müssen wir leisten, was können wir leisten, worauf müssen wir verzichten.“ Das Dresdener Manifest sei „der erste Versuch der CDU, sich redlich und sachgerecht den neuen Aufgaben der deutschen Politik zu stellen“ (Rühe).
Klar, die gewachsenen außenpolitischen Anforderungen bedeuten, daß sich Einheiten der Bundeswehr in Konflikten engagieren, daß das Asylthema in der bekannten Art weitergeführt werden muß. Vor allem aber heißt, „die Einheit leben“, daß die staatlichen Aufgaben auf den Aufbau im Osten konzentriert werden müssen, daß manche Investitionen im Westen vertagt werden müssen und neue soziale Leistungen beschränkt werden. Auch für das Verhalten der Länder, so Rühe mit Seitenhieben auf die SPD, müßte ein neuer Prioritätenkatalog gelten. Die Chance, durch die Einheit „jünger und moderner“ zu werden, diese Lieblingsformulierung Rühes fehlte auch diesmal nicht. Auch Rühe versucht, was kaum ein Redner unterlassen hat: dem gescheiterten Sozialismus und seinen fundamentalen Irrtümern eine eigene Vision, ein christliches Menschenbild entgegenzuhalten. „Für uns kann weder ein Mensch noch eine utopische Idee zum Ersatz für Gott werden.“ Bei Machtmensch Rühe wirkt das nicht überzeugender als bei Helmut Kohl. — Heute wird der Parteitag das Dresdner Manifest nach spannungsloser Antragsdiskussion verabschieden, wohl mit klaren Mehrheiten. Konfliktthemen des politischen Alltags wie die Pflegeversicherung, die Reform des Paragraphen 218, die Armutswanderung bleiben ausgespart oder werden mit glatten Formeln aufgefangen. Die überfälligen Diskussionen um die großen Strukturprobleme, den auch in Dresden wieder beklagten Rückgang der konfessionellen Bindungen oder des niedrigen Frauen- und Jugendanteils in der Partei sind vertagt.
Dresden war keine Bühne für Modernisierung. Nicht nur weil Kohl zur Zeit unangreifbar ist. Das Thema deutsche Einheit, das Ziel, die gesamtdeutsche Partei zu werden, lastet die CDU voll aus. Unbestreitbar bleibt, daß ost-westliche Kommunikation und Zusammenarbeit in diesem Maße anderswo nicht zu finden sind — bei westlichem Übergewicht. Tissy Bruns
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