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KOMMENTAREStarke und schwache Auguste

■ Tüchtig geschimpft hat man in Dresden, aber keinen davongejagt

Warum gerade Dresden? Weil es im Osten liegt. Ganz sicher auch wegen Sachsens gewichtigstem König. Dessen Schatten schwebte während des gesamten Parteitages über dem Kanzler. Und so warf er sich alldar auch noch den Mantel des Starken August über. Kroatien, Slowenien, Anerkennung, Triumph. Hufeisen bog er dann zwar nicht zurecht, aber wieder einmal die Disharmonien zwischen Ost- und West-CDU. Gescheit auch der Einsatz der Komparserie durch den Regisseur. Ein Geniestreich, die Wahl Angelika Merkels. Der politische Stammbaum jener drögen Mecklenburger Pastorentochter ist ohne jeden Makel. Auch Schwierigkeiten wird es keine mit ihr geben. Selbst der geringste, noch so mopsgesichtig vorgetragene Einwand würde sie dorthin befördern, wo andere wirkliche Muskelmänner der CDU gelandet sind. In der Versenkung. Auch die Wahl der zweiten Ostfrau, der Thüringer Kultusministerin Christine Lieberknecht, sollte Zeichen setzen. Nicht im Osten. Hier kennt man sie. Keine andere Politikerin bietet ein derart chaotisches Bild. Mißtrauensanträge, Verfassungsbeschwerden. Die unsägliche, gnadenlose Art und Weise der Lehrerüberprüfung, ein Führungsstil, der die Volksbildung ohne jede Orientierung einhertaumeln läßt.

Dann wurden in Dresden die Altlasten bewältigt. Tüchtig geschimpft hat man. Aber nicht einen einzigen davongejagt. Das war wohl auch nicht geplant. Es hätte die Kluft zwischen Ost und West- CDU noch mehr vertieft. Auch hier war der Kanzler wieder einmal realitätsnäher als die meisten seines Gefolges und große Teile der Opposition. Es wird den Leuten im Osten nämlich zunehmend Wurst, das Gerede über Verstrickungen und Altlasten. Ihre Lasten sind anderer Art. Wenn solch Blockflöte oder Wendehals wenigstens, selten genug, kompetent ist, und etwas bewerkstelligt für die Allgemeinheit, ist ihm längst verziehen. Der Kanzler weiß das wohl und hätte deshalb gerne den flüchtigen Wandlitzer dem Parteitag als Geschenk und dem Ostvolk als Generalprügelknaben serviert. Danach dann aber endlich der große historische Schwamm über die Vergangenheit und den Blick der Zukunft zugewandt. Das Bekenntnis zur Angleichung der Lebensverhältnisse in beiden Teilen Deutschlands war ernstgemeint. Der Angstblick der Partei ist stier auf 1994 gerichtet, wenn bis dahin nicht wenigstens ein Hauch von Morgenluft zu spüren ist, wird es einen Sturm geben. Der dann alles durcheinanderwirbelt. Die Starken, wie all die vielen Schwachen Auguste auf so mancherlei bequemen Stühlen. Henning Pawel

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