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Weltoffen, aber ohne Einwanderer

Der CDU-Parteitag in Dresden mogelte sich um die Formulierung „Einwanderungsland“ herum/ Was hätte strittig sein können, blieb ausgespart/ Keine Debatte über Abtreibungsregelung  ■ Aus Dresden Tissy Bruns

„Antrag 069 haben wir bereits im Zusammenhang mit dem Dresdner Manifest behandelt...“ Am dritten Tag des CDU-Parteitages winkte das Tagungspräsidium Antrag für Antrag durch. Weil das Dresdner Manifest vorfristig und dazu noch einstimmig beschlossen wurde, blieb für die letzte Runde endgültig nichts Spannendes übrig. Obwohl die Delegierten viel mehr Zeit hatten als geplant, kam zu keinem brisanten Thema noch eine Diskussion auf. Was hätte strittig sein können, blieb ausgespart und wurde entweder an Bundesvorstand und Fraktion überwiesen oder war bereits durch das Manifest abgehandelt.

So konnten die brisanten Themen Asyl und Armutswanderung per Manifest erledigt werden. Deutschland ist ein „weltoffenes Land“, befand der Parteitag und löste so den Konflikt um die Frage auf, ob Deutschland kein Einwanderungsland oder doch eines sei. Im übrigen wurden bekannte Grundsätze festgeschrieben: Deutschland kann nicht alle aufnehmen, darum muß das Grundrecht auf Asyl ergänzt werden. Zufriedenheit beim christdemokratischen Arbeitnehmerchef Ulf Fink, weil das Thema Pflegeversicherung nicht nur überwiesen, sondern der Form halber beschlossen wurde, daß sich die CDU für eine Pflegeversicherung einsetzt. Eine präzise Position für den Clinch mit dem liberalen Koalitionspartner fixiert dieser Beschluß allerdings nicht.

Über den umstrittenen Abtreibungsparagraphen 218 gab es keinerlei Debatte. Nachdem schon im Frauenforum des Vortags das Thema vollkommen ausgespart blieb, auch Fehlanzeige in der Antragsdebatte.

Ganz passend zu diesem Verlauf gab Helmut Kohl den Delegierten in seinem Schlußwort dreierlei Besinnliches mit auf den Heimweg. Da er in Dresden schon genug triumphiert hatte, brauchte er sich nicht mehr viel einfallen lassen und reihte Floskeln aneinander. „Dankbarkeit für die Begegnung mit dieser Stadt, weil man hier sieht, was noch alles zu tun ist.“ Dieser Parteitag „ist anders“, ein „offener Parteitag“, der Beitrag der Union zur inneren Einheit. „Die Adventszeit“, so der Parteivorsitzende, „hat vielleicht unsere Bereitschaft zur Verinnerlichung erhöht.“ Helmut Kohl — und mit ihm der Parteitag — schließt mit dem Lied der Deutschen.

Er entließ sichtlich zufriedene Delegierte, denn die dreitägige Veranstaltung in Dresden zeigte die Union als gesamtdeutsche Partei, in der Ost- und Westdeutsche ihren Platz haben. Die Union, in diesem Gefühl gingen die Delegierten nach Hause, wird die Partei sein, die die „innere Einheit vollenden“ wird. Daß das ernste Kapitel Vergangenheit dabei einer Inflation der Worte und bekenntnishaften Formeln geopfert wurde, das kümmerte wenige. Nur selten drang auf diesem Parteitag durch, daß die Partei nach fast einer Dekade mit der Regierung Kohl neue Ideen und neue Kräfte braucht. Die Ende der achtziger Jahre steckengebliebene Modernisierung hat schwere Folgen. Die CDU ist überaltert und eine Männerpartei, von den „strukturellen Mehrheiten“ der achtziger Jahre ist in den westlichen Bundesländern nicht viel übriggeblieben. Heiner Geißler erinnerte in einem furiosen Beitrag an das Jugend- und Frauendefizit. Der Parteitag applaudierte heftig, Konsequenzen zog er nicht.

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