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Eher von Speer als von Schinkel beeinflußt

■ Wo das Stadtbild zu wünschen übrig läßt: Fünfte Folge / Stalinallee“

Friedrichshain. In der Karl-Marx-Allee, alias Stalinallee, probt die Friedrichshainer Wohnungsbaugesellschaft, Nachlaßverwalterin der »ersten sozialistischen Magistrale« die städtebauliche Erneuerung. Das Hochhaus am Strausberger Platz ist eingerüstet, darunter leuchtet ein irrer Farbanstrich in currygelb. In den oberen Geschossen sind die Fensterkreuze herausgerissen und durch verspiegelte Scheiben ersetzt worden. Welcher Baustoffmarkt die abgeplatzten Kacheln aus Meißen an den Fassaden am Frankfurter Tor ersetzen darf, ist noch ungewiß. Jedenfalls geht es dem Baudenkmal an die Substanz.

Moskau in Berlin: Seit 1951 die Stalinallee ihre demonstrativ monumentale Form erhielt, gleicht sie dem Klischee sowjetischer Zuckerbäckerbauten der dreißiger Jahre. Statt eines funktionalen Wohnungsbaus, wie er noch in den beiden von Scharoun und Ludmilla Herzenstein errichteten Laubenganghäusern zur Sprache kommt, sollte sich im Wiederaufbau Ost-Berlins in den fünfziger Jahren das »nationale Erbe« deutscher Architekturgeschichte materialisieren. Aber die ideologische Neuorientierung der Architektur in der Tradition des preußischen Klassizismus verselbständigte sich gegenüber den propagierten Vorbildern. Für ein hohles Pathos plünderte die Stalinallee, wo immer es ging. Es entstand ein eklektizistischer Theaterprospekt aus folkloristischen Russenbauten, der Gorki- Straße und der Universität von Moskau. Nicht bei Schinkel oder Ludwig Hoffmann, sondern allenfalls bei Speer klauten die Architekten. Und das Bedürfnis nach Kontinuität bedeutete in Wahrheit ein Ungenügen der zeitgenössischen Architektur.

Es sind nicht nur die unmaßstäbliche Breite, die strenge Axialität und stadträumliche Leere, die Unbehagen erzeugen. Vielmehr ist es die »Simulation mit Versatzstücken ohne Rücksichtnahme auf den Nutzungszusammenhang«, wie Werner Durth, Volker Martin und Karl Pächter in der Zeitschrift 'Bauwelt' feststellten. »Das Ergebnis ist kein lebendiger städtischer Raum, sondern gleichsam eine riesige Bauattrappe, gewissermaßen ein Knochen ohne Fleisch.« Ein Plädoyer für den bedingungslosen Denkmalschutz der Straße, die nach Ansicht des Architekturkritikers Bruno Flierl »urbane Räume« hervorbrachte, ist fehl am Platz, weil die Straße alles andere als urban war. Sie war eine Schlafallee. Jetzt gleicht sie einer postmodernen Verkehrsschneise, durch die die Autos sechsspurig rasen. Sie lebendig zu machen, bedeutet, daß das Ensemble als ideologie- und baugeschichtlicher Zeuge nur soweit bewahrt werden sollte, wie neue Nutzungsanforderungen dies zulassen. Zu den Wohnungen müßten Geschäfte, Kultureinrichtungen, Arbeitsstätten hinzukommen; eine differenzierte Mischung also. Sonst steht mitten in der Stadt ein totes steinernes Museum, das genausowenig wert ist, wie etwa der currygelbe Farbanstrich aus dem Baustoffmarkt. Rolf R. Lautenschläger

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