: Alte Kader gestalten die neuen Zeiten der Humboldt-Uni
■ In der Verwaltung der Humboldt-Universität steht die personelle Erneuerung immer noch am Anfang/ Auch Westimporte an der Uni-Spitze brechen die alten Strukturen nicht auf, sondern orientieren sich an ihnen/ Es herrscht »schleppender sozialistischer Gang«/ Kaum einer traut sich, offen zu reden
Berlin. Allwöchentlich waren seinerzeit die diskreten Herren in das Vorzimmer des ersten Prorektors gekommen, um den Bericht in Empfang zu nehmen. Allwöchentlich hatte der zuverlässige Herr im Vorzimmer sauber und ordentlich zusammengefaßt, was sich an Wichtigem in der Universität zugetragen hatte. Die Herren bedankten sich höflich und führten die Berichte den Aktenordnern jener Behörde zu, deren Hinterlassenschaften nun der Pastor Gauck verwaltet. Der zuverlässige Stasi-Berichterstatter aus dem Vorzimmer des damals mächtigen Prorektors sitzt auch heute noch in der Humboldt-Universität, immer noch in der Verwaltung und immer noch in einem Vorzimmer: pikanterweise in dem des heute mächtigsten Mannes an der Humboldt-Universität, des Kanzlers.
Besser läßt sich eine Geschichte über die vielberedete Herrschaft der alten Seilschaften an der Humboldt- Universität kaum illustrieren als mit dem Ausharren des zuverlässigen Stasi-Berichterstatters im Vorzimmer der Macht. Zu DDR-Zeiten hatte er den eigentlichen Herrscher der Humboldt-Universität beraten, den Mann, der jahrelang maßgeblich die SED-Herrschaft in der Uni durchgesetzt hat, Professor Hubatsch.
»Ein ergebener Diener der Macht«, so beschreibt ein Senatsmitglied der Humboldt-Universität den ehemaligen Stasi-Berichterstatter und FDJ-Sekretär. Rektor Fink war frühzeitig bedrängt worden, die Vergangenheit des Mannes untersuchen zu lassen. Fink aber ist untätig geblieben. Statt dessen läßt heute der Kanzler den Mann für sich arbeiten.
Der Mann ist kein Einzelfall, vielmehr nur ein Beispiel für die Kontinuitäten in der Verwaltung der Humboldt-Universität. »Nun endlich wird einiges klarer!« schrieb in der vorigen Woche eine erzürnte Personalrätin in einem offenen Brief. »Zum Beispiel, warum nicht schon vor Monaten, obwohl oft genug angemahnt, solch sensible Bereiche wie die Personalabteilung, das Direktorat für internationale Beziehungen, die Abteilung für Studienangelegenheiten oder das Rektoramt als erstes von politisch belasteten Personen befreit ... wurden.« Die Erleuchtung war ihr mit dem Schreiben der Gauck-Behörde gekommen, in dem Humboldt-Rektor Fink als inoffizieller Mitarbeiter der Stasi bezeichnet wurde.
Daß der Rektor ein Stasi-Mann sein könnte, war nicht nur für die wütende Personalrätin, sondern für viele Verbitterte in der Humboldt- Universität die Erklärung dafür, daß in der Verwaltung bislang so wenig bewegt worden sei. Nur mühsam sind Ansätze einer neuen Verwaltungsstruktur entwickelt worden, die aber den sprichwörtlich schleppenden »sozialistischen Gang« aus DDR-Zeiten kaum beschleunigt haben. Vor allem: Bis in leitende Positionen sitzen noch jene, die die Humboldt-Universität schon verwaltet haben, als sie noch eine SED-Kaderschmiede war. So hat zwar der Direktor der Auslandsabteilung den Dienst quittieren müssen. Über ihn liefen früher alle Auslandsreisen. Aber heute leitet seine frühere Stellvertreterin, eine ehemalige Kampfgruppenkommandeurin, das einst interessanteste (und wahrscheinlich besonders Stasi-durchsetzte) Referat. Ein Humboldt-Senator, der Fink skeptisch gegenübersteht, meint, es sei falsch, die personellen Kontinuitäten auf Fink zurückzuführen: »Dann traut man ihm zu, was er gar nicht kann: solche Dinge zielstrebig zu organisieren.«
Bei genauerem Hinsehen versagen allerdings die einfachen Erklärungsmuster unabhängig davon, ob an den Stasi-Vorwürfen gegen Rektor Fink etwas dran ist oder nicht. Ein Beispiel ist der einstige Stasi-Berichterstatter im Vorzimmer des Kanzlers. Verantwortlich dafür, daß er dort sitzt, um alte Seilschaften zu schützen, ist Kanzler Rainer Neumann. Dieser aber ist kein alter Humboldt-Kämpe sondern ein Import aus dem Westen, aus Konstanz.
Auch das Referat für Studienangelegenheiten hat mittlerweile einen Westimport an der Spitze. Unter der Leitung des alten Direktors waren hier die Studenten eher politisch überwacht als betreut worden. Wer nicht die politischen und militärischen Voraussetzungen erfüllte, dem öffnete der Studiendirektor auch nicht die Tür zur Alma Mater. Der alte Direktor arbeitet aber weiter — als stellvertretender Referatsleiter. Sein neuer Vorgesetzter, der Westimport an der Spitze des Referats, läßt sich ausgerechnet von diesem Mann beim Aufbau einer neuen Personalstruktur beraten. So trägt die neue Struktur die Handschrift des alten Direktors.
Eine Reform, die die alte Hierarchie auf den Kopf stellt, schaffen indes auch die neuen Westköpfe in der Humboldt-Verwaltung nicht. Sie scheitern daran, daß sie in das Dickicht der alten Strukturen nicht hineinleuchten können, während sie zugleich die Arbeitsfähigkeit der Verwaltung aufrechterhalten müssen. Da haben jene, die früher schon Verantwortung trugen, auch heute die besseren Karten und sichern sich Posten und Einfluß.
»Alle hier wissen, was die anderen früher gedacht und gesagt haben«, sagt eine Frau aus der Verwaltung, »deshalb traut sich keiner, offen über andere zu reden.« So trauen sich nicht einmal die Benachteiligten der mangelnden Erneuerung, sich offen zu beschweren. Eine Chance zur Erneuerung der Verwaltung hätte es vielleicht mit der Einsetzung einer Personal- und Strukturkommission gegeben. Sie hätten (wie in den wissenschaftlichen Bereichen der HUB) die Vergangenheit thematisieren und einen Neuaufbau planen können, bei dem die Leistungsfähigkeit der einzelnen Mitarbeiter begutachtet worden wäre. Doch dies hatte Interims- Kanzler Schwarz abgeblockt — auch er ein Westimport von der TU. Schwarz hatte, bevor Neumann zum Kanzler gemacht wurde, selbst Regie führen wollen beim Neuaufbau der Verwaltung.
So erweisen sich die neuen Westmänner an den Spitzen der Humboldt-Verwaltung, ob sie wollen oder nicht, als förderlich für die Restauration der alten (Personal-)Strukturen dort. Winfried Sträter
Ein zweiter Bericht über die Erneuerung des Wissenschaftsbetriebes an den Fachbereichen der Humboldt- Universität folgt auf den nächsten Hochschulseiten im Januar.
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