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„Jetzt sterben oder später“

Aids-Konferenz in Dakar: Sechs Millionen Afrikaner HIV-infiziert/ Düstere Prognosen für Afrika  ■ Von Willi Germund

Johannesburg (taz) — „Es ist kriminell. Sie geben Blutransfusionen, ohne sie vorher auf das HIV-Virus zu testen. Aber sie haben keine Wahl. Es geht nur um eines: jetzt sterben oder später“, erzählte Dr. Manzila Taranda, ein Arzt in Zaire, über das Verhalten von Kollegen an manchen Krankenhäusern des Landes. Das Land wurde zu dem Zeitpunkt von politischen Unruhen heimgesucht, die Chemikalien, mit denen Blut auf Aids getestet wird, gingen aus. Aber in anderen afrikanischen Staaten gehört dieses Vabanquespiel in ländlichen Gebieten zum Alltag, weil die nötige Ausrüstung mangels Geld fehlt. Viele Patienten sind dazu übergegangen, sich das Blut von Verwandten spenden zu lassen.

Freilich, ein absoluter Schutz bedeutet auch dies nicht. Einer von 40 Afrikanern südlich der Sahara ist infiziert, sechs Millionen der weltweit auf acht Millionen geschätzten Menschen, die das Aids-Virus haben, leben in Afrika. Während in der entwickelten Welt die Zahlen stagnieren, zeichnet sich in der Dritten Welt — vor allem aber in Afrika — eine Explosion ab. Schon jetzt sind auf dem afrikanischen Kontinent 750.000 Kinder infiziert. Die Weltgesundheitsorganisation WHO veröffentlichte in diesem Jahr Prognosen, wonach in den 90er Jahren weitere zehn Millionen HIV-infizierte Kinder geboren werden und zehn Millionen zu Waisen oder Halbwaisen werden, weil ihre Eltern an der Krankheit sterben. „Das Aids-Virus gewinnt“, resignierte unlängst der nordamerikanische Experte James Curran vom „Center for Disease Control“.

Daß die Zeit drängt, wissen auch die Wissenschaftler, die gegenwärtig bei der sechsten afrikanischen Konferenz über Aids in Dakar zusammenkommen. Doch hoffnungserweckenden Nachrichten sind auch bei diesem Treffen rar. Im Gegenteil: Wissenschaftler wissen selbst nach sechsjährigen Untersuchungen wenig über das Aids-Virus HIV 2, der anders als der weltweit verbreitete HIV 1 vor allem in Afrika vorkommt.

Rund 88 Mittel werden nach Schätzungen der pharmazeutischen Industrie gegenwärtig erprobt. Experten sind überzeugt, daß nur die vorbeugende Impfung die katastrophale Entwicklung bremsen kann. Marc Girard, Direktor für angewandte Forschung beim Pasteur-Institut in Paris erklärte kürzlich: „Chemische Therapie steht außer Frage, weil sie zu teuer ist. Auch Kondome kosten zu viel und stehen den Sitten in vielen Ländern der Dritten Welt entgegen. Wir können die Leute nicht auffordern nur einen Partner zu haben, weil es in Afrika völlig normal ist, zwei bis drei Freundinnen zu haben. Also bleibt nur der Impfstoff.“ Zwar werden bereits etwa acht Impfstoffe getestet, aber Girard glaubt, daß ein solches Serum frühestens Ende der 90er Jahre einsatzfähig sein wird.

Untersuchungen in Afrika zeigen, daß anders als in Europa oder den USA das HIV-Virus zu 80 Prozent durch heterosexuellen Verkehr verbreitet wird. Die Haltung des Papstes, der den Gebrauch von Kondomen ablehnt, ist ebensowenig hilfreich wie die Vorurteile vieler Menschen. So stecken sich nach Schätzungen der Regierung Südafrikas täglich 300 Bürger des Landes mit dem Virus an. Doch eine Umfrage unter jungen Leuten in Belleville bei Kapstadt zeigte, daß die Mehrheit der farbigen Schüler überzeugt war, Kondome seien Teil einer Verschwörung der weißen Minderheitsregierung, mit der das Bevölkerungswachstum unter Farbigen verhindert werden solle.

Unter afrikanischen Fachleuten verbreitet sich die Sorge, daß ihre Landsleute als Versuchskaninchen für die Erste Welt mißbraucht werden. Die meisten Forschungsinstitute betreiben ihre Untersuchungen inzwischen in Afrika, weil die Studien wegen der explosionsartigen Verbreitung dort einfacher sind als in der Ersten Welt, in der die Aids-Zahlen stagnieren. Aber das nordamerikanische „Center for Disease Control“ teilte die Ergebnisse der Untersuchungen in Zaire den Medizinern vor Ort nie mit. Auch das französische „Institut Pasteur“ wird deshalb mißtrauisch beäugt. Der Hintergrund der Geheimnistuerei: Wer einen effektiven Impfstoff entwickelt, kann riesige finanzielle Einnahmen verbuchen.

In Afrika aber verbreitet sich die Sorge, daß ein Durchbruch in der Aids-Forschung ein so teures Mittel hervorbringen wird, daß es sich die armen afrikanischen Staaten nicht leisten können. Staaten, die jährlich pro Kopf gerade 3,50 US-Dollar im Gesundheitswesen ausgeben, können sich schon AZT, das bei jährlichem Einsatz pro Person etwa 25.000 US-Dollar kostet, nicht leisten. Mehr Ausgaben im Gesundheitsbreich aber sind dank dem finanzpolitisch begründeten Geiz internationaler Geldgeber nicht möglich.

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