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Verfassungsgericht für Meinungsfreiheit

■ Bayer-Konzern darf Flugblätter von „kritischen Aktionären“ nicht zensieren

Karlsruhe (ap) — Wer in Flugblättern oder anderen öffentlichen Meinungsäußerungen Kritik äußert, darf sich dabei auf Presseberichte beziehen. So lautet der gestern in Karlsruhe veröffentlichte Beschluß des Bundesverfassungsgerichts. Das BVG hat damit ein anderslautendes Urteil zugunsten der Bayer AG aufgehoben. Zur Unterlassung oder zum Widerruf einer Äußerung dürfe nur dann verurteilt werden, wenn die Presseberichte „erkennbar überholt oder widerrufen sind“.

Nach der Entscheidung der Karlsruher Richter darf der Verein für die „Coordination gegen Bayer-Gefahren e.V.“ und die „kritischen Bayer- Aktionäre“ weiterhin behaupten, daß der Pharma-Konzern Bayer AG durch seine Unternehmenspolitik, die ausschließlich auf Gewinne konzentriert sei, die Demokratie gefährdet.

Mit seiner Entscheidung gab das höchste Gericht einer Verfassungsbeschwerde der „Coordination gegen Bayer-Gefahren e.V.“ statt. Diese Vereinigung, die sich unter anderem „die Sammlung und Verbreitung von Informationen über Schäden am Menschen und der Umwelt“ durch den Bayer-Konzern und seine Tochtergesellschaften zum Ziel gesetzt hat, hatte im Februar 1987 ein hart umstrittendes Flugblatt herausgebracht. Darin wurde zur Unterstützung der „kritischen Bayer-Aktionäre“ aufgerufen.

Eine Passage dieses Flugblattes hatte folgenden Wortlaut: „In seiner grenzenlosen Sucht nach Gewinnen und Profiten verletzt Bayer demokratische Prinzipien, Menschenrechte und politische Fairneß. Mißliebige Kritiker werden bespitzelt und unter Druck gesetzt, rechte und willfährige Politiker werden unterstützt und finanziert.“ Auf eine Zivilklage des Bayer-Konzerns war die „Coordination“ vom Oberlandesgericht Köln in zweiter Instanz zur Unterlassung und zum Widerruf dieser Passage verurteilt worden.

Jetzt hat das Bundesverfassungsgericht diese Entscheidung wieder aufgehoben. Begründung: Vom Gericht sei das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit zu eng ausgelegt worden. Die Kölner Richter hatten die im Flugblatt formulierte Kritik als Tatsachenbehauptung bewertet. Der Bezug auf entsprechende Presseberichte, so ihre Begründung, sei kein ausreichender Wahrheitsbeweis.

Demgegenüber erklärte das Bundesverfassungsgericht, an Wahrheitsbeweise dürften keine Anforderungen gestellt werden, die die Meinungsäußerungsfreiheit einschnüren könnten.

Dürfe nämlich jemand Tatsachen, die er der Presse entnommen habe, nur noch dann aufgreifen und zur Stützung seiner Meinung anführen, wenn er sie selbst nachgeprüft habe, dann würde er in weiten Bereichen an der Äußerung „tatsachenhaltiger Meinungen“ gehindert werden. Dies sei mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit unvereinbar.

(Aktenzeichen: Bundesverfassungsgericht 1 BvR 1555/88)

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