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NRW vergleicht Dioxin-Äpfel mit Birnen

Steinfurter Sportler höher mit Dioxin belastet als angenommen/ Marsberg-Studie ist kein Grund zur Entwarnung  ■ Von Hermann-Josef Tenhagen

Berlin (taz) — Die nordrhein-westfälische Landesregierung gerät mit ihrer Durchmarschpolitik im Marsberger Dioxin-Skandal ins Kreuzfeuer der Kritik. Sie hatte wenige Wochen nach der Entdeckung des stark dioxinhaltigen Marsberger Kieselrots auf den Sportplätzen der Republik Entwarnung gegeben und ihre Sportplätze zwischen Weser und holländischer Grenze wieder freigegeben. Die Ergebnisse einer Studie des Gelsenkirchener Hygiene-Instituts, die diese Entwarnung begründen sollten, bieten aber im Gegensatz zur Darstellung der Landesregierung absolut keinen Grund für ein solches Vorgehen. Seitdem tobt hinter den Kulissen die Auseinandersetzung zwischen den Gelsenkirchener Wissenschaftlern und den Düsseldorfer Ministerialbeamten.

Brisant ist vor allem ein Ergebnis, das die Forscher vom Hygiene-Institut erst nach der Studie erhielten. Im westfälischen Steinfurt, woher die Kontrollgruppe für die Marsberg- Studie stammte, sind gerade vier passionierte Sportler mit dem hochgiftigen Marsberg-Dioxinen erheblich höher als normal belastet. Das Urteil der Gelsenkirchener Wissenschaftler ist in diesem Fall unzweideutig: „Daraus schließen wir, daß bei Sportlern auf Kieselrotplätzen eine Belastung erfolgt.“ Das Ergebnis, das die Freigabe der Sportplätze unmittelbar in Frage stellen würde, sei der Landesregierung bekannt.

Die Düsseldorfer Beamten hatte schon bei der Nutzung der Gelsenkirchener Studie zur Rechtfertigung der Sportplatzfreigabe immer wieder Äpfel und Birnen verglichen. Das funktionierte so: Dioxin ist lediglich der Oberbegriff für eine ganze Reihe von ähnlichen hochgiftigen Molekülen, die mehr oder weniger viele Chlor-Atome enthalten, sogenannte Kongenere. Das Marsberger Kieselrot enthielt hohe Konzentrationen bestimmter Dioxin-Kongenere. Genau diese heimischen Kongenere identifizierten die Wissenschaftler vermehrt im Blut der Marsberger. Trotzdem gab die Landesregierung im Sommer Entwarnung: Die Gesamtbelastung der Marsberger mit Dioxinen liege nur wenig über einem angenommenen Bundesdurchschnitt.

Selbst für dieses Ergebnis hatten die Düsseldorfer Ministerialen allerdings geschummelt. Erstens erscheint die von der Landesregierung zum Vergleich bemühte durchschnittliche Belastung mit 30 Pikogramm Dioxin pro Kilo vielen Fachleute zu hoch. Und zweitens hatten die Gelsenkirchener Wissenschaftler Blutfettwerte gemessen, die von den Düsseldorfern genutzten beruhigenden Vergleichszahlen bezogen sich aber auf die Dioxine im Körperfett. Uwe Lahl, Bielefelder Umweltdezernent und vehementer Kritiker der Sportplatzfreigabe, beobachtet inzwischen nicht ohne Genugtuung, daß die „Landesregierung keinen Wissenschaftler mehr aus NRW findet, der ihre Position teilt“. So benutzt die Landesregierung nach Erkenntnissen der Grünen Landtagsfraktion immer noch Maßstäbe für die Giftigkeit verschiedener Dioxine, die in der Fachwelt als überholt und in vielen Fällen zu niedrig gelten.

Am prägnantesten läßt sich der Rückzug der Wissenschaftler am Beispiel Arnim Basler zeigen. Basler, der im Bonner Bundesumweltministerium für den Dioxin-Bereich zuständig ist, hatte mit anderen Dioxin-Experten der Landesregierung bestätigt, daß man bei Blut- und Körperfett Äpfel mit Birnen vergleichen könne. Das der taz vorliegende Papier war gegenüber einer ersten Version allerdings nachgebessert. Zunächst hatten sich die Wissenschaftler nur um die Körperfettwerte gekümmert, dann aber das Papier mit dem Halbsatz nachgebessert: „Vergleichbare Konzentrationen sind im Blutfett nachweisbar.“ Inzwischen hat Basler mit dieser Gleichsetzung offenbar Bauchmerzen. Uwe Lahl erhielt einen Brief von Basler, in dem der Bonner Beamte ausführt: „Um beurteilen zu können, ob eine Dioxinexposition zu einer Belastung führt, ist es meines Erachtens nicht zulässig, die Dioxinkonzentrationen im Humanfett unbelasteter Probanden mit den Dioxinkonzentrationen im Blutfett exponierter Personen zu vergleichen.“ Giftäpfel sind eben doch keine Birnen.

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