: Die Krücken der Hoffnung
■ Theater Vagent inszenierte Beckets „Spiel ohne Worte I“
Theaterfoto:
2 Frauen,
1 auf Podest
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Ein tic-tac-toc in schwarzer Nacht. Drei Töne zählen in unendlicher Wiederholung eine sinnlos gewordene Zeit, in der sich durch ein fehlendes Ereignis die zeitliche Orientierung verliert wie das Sehen in absoluter Dunkelheit.
Doch es wurde Licht auf der Bühne im Kantorhaus. Andrea Herbst und Barbara Theobaldt schritten unter der Regie Malgorzata Walas– von links nach rechts und von rechts nach links. Ihre Rollen besitzen keine Namen, ihr Spiel hat keinen erkennbaren Sinn, und ihr Gang besitzt genau den Ausdruck jener Ausdruckslosigkeit, in der absurdes Theater Lachen erzeugt und nicht zum Trauerspiel erstarrt.
Samuel Beckett gab seinen Mimen nicht viel Anweisungen an die Hand. Mit pantomimischen Mitteln erzählen die beiden Schauspielerinnen die Geschichte einer Abrichtung, der Abrichtung eines Menschen. Schreitet er durch die rechte Tür, wird er zurückgeworfen, es ertönt ein Pfeifen von links. Schreitet er durch die linke Tür, wird er zurückgeworfen, es ertönt ein
Pfeifen von rechts.
Schließlich bleibt er, ausgeliefert einem Instrumentarium der Dressur, das über seinem Kopf auf der Bühne schwebt. Einzelne Gegenstände werden an Fäden herabgelassen, doch, bevor sie sich greifen lassen, wieder in unerreichbare Höhe gezogen. Ein Überlegen beginnt, und im richtigen Augenblick dazu erscheint ein großer Würfel. Auf ihn läßt sich steigen, doch bevor die Hand ergreifen kann, was sie begehrt, entschwindet es noch ein wenig höher. Ein Überlegen beginnt, ein kleinerer Würfel erscheint, Vergeblichkeit wiederholt sich in der Ewigkeit. Das Schicksal hängt die Begehrnisse unseres Lebens an Fäden, die wir nicht verstehen.
Auf der Bühne des Vagant- Theaters ist es ein anderer Mensch, der an den Fäden zieht und gibt und nimmt, doch auch er weiß nicht, warum. Eine Glühbirne konditioniert ihn am Bühnenmechanismus. Blinkt sie auf, hat er Wünsche zu erzeugen und zu entziehen, nach einem System, das auch er nicht versteht.
Doch daß all das nicht furchtbar wurde, ist einer Inszenierung zu verdanken, die erlaubte zu lachen. Über die Krücken, die sich die Hoffnung schafft, wenn sich ihr Ziel mit der Geschwindigkeit der erfolgten Annäherung entfernt, wie im Wirkungskreis eines perpetuum mobiles. Zu lachen über die Ironie, wenn sich Wunsch und Erfüllung aufeinander zu bewegen und ratlos voreinander stehen. Über den Sarkasmus, der entsteht, wenn noch ein winzig kleiner Würfel erscheint, auf den keiner mehr steigen kann. Hohn über das vergangene Bemühen sinkt von der Decke nieder, bis alles vorüber ist. Das Versuchsobjekt reagiert auf keine Reize des Experimentators mehr, schon nach kurzer Zeit. Denn das Stück ist viel zu schnell vorbei, nach einer guten halben Stunde steht der Besucher wieder dort, von wo er gekommen ist. Such is life, such is Beckett.
roth
Weitere Aufführungen: am 20. und 21.12. und am 10.,11.,12. und 17.,18.,19.1. um 20.30 Uhr im Kantorhaus in der Schildstr. 21/23
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