: Hektik und High-Tech im Hörfunk
Beim Berliner Privatsender „Info 101“ ersetzt ein Sendecomputer Tonband und Schneidemaschine/ Nutzung des ISDN- Telefonnetzes angepeilt/ Den Streß der Informationen im Minutentakt können nur junge RedakteurInnen durchhalten ■ Von Frank Holzkamp
„Dem digitalen Radio gehört die Zukunft“, davon ist Susanne Matthiesen, Chefredakteurin bei Berlins jüngstem Privatsender „Info 101“ überzeugt. Gemeint ist damit nicht der Musikgenuß in CD-Qualität, wie ihn die Satellitenprogramme versprechen. „Info 101“ sendet seit dem Programmstart am 21.11. 1991 auf UKW 101,3 Mhz ausschließlich Wort. „Nachrichten, wann immer Sie wollen“, verkündet die Eigenwerbung des Senders in Verlegerhänden; je 40 Prozent halten der Berliner 'Tagesspiegel‘ und „Radio Schleswig Holstein“, den verbleibenden Rest teilen sich 'FAZ‘ und 'Süddeutsche‘. Nachrichten zur vollen und halben Stunde, jede Viertelstunde Schlagzeilen und alle zehn Minuten „Wetter, Verkehr und mehr“ bilden die grobe Struktur, dazwischen aufgehangen finden sich Korrespondentenberichte und Reportagen, Servicemeldungen und natürlich Werbung. Nach spätestens 30 Minuten sollen die HörerInnen „einen soliden Überblick über das augenblickliche Geschehen in der Stadt, im Land und in der Welt“ haben. Ein hoher Anspruch — um die entsprechende Informationsflut in den Äther zu bringen, setzt der Sender mit Adresse am Ku'damm voll auf High-Tech: Text und Tonbearbeitung finden weitgehend digital im Computer statt. Kostengründe spielen dabei eine wichtige Rolle. Bislang gilt es für kommerzielle HörfunkerInnen als wenig rentabel, sich mit den personalaufwendigen Wortprogrammen der öffentlich-rechtlichen Anstalten anzulegen.
Anchor — Allround-RadiomacherInnen nach US-Vorbild
„Wenn jetzt nichts kommt, verhungere ich hier.“ Rachel Gelhoff, „anchor“ der Morgenschiene, wirft einen suchenden Blick durch die große Glasscheibe, die das Sendestudio vom Redaktionsraum trennt. Nach amerikanischem Vorbild „anchor“ sein, heißt: Nachrichten sprechen, Beiträge moderieren, eigene Texte schreiben, die Sendetechnik bedienen und die Redaktion an überfällige Beiträge erinnern — Tätigkeiten, die in einer ARD-Anstalt eine Handvoll Menschen beschäftigen.
Während eine Live-Reportage zum Berliner Dauerbrenner „morgendliches Verkehrschaos“ läuft, sichtet Rachel Gelhof das Angebot auf den Bildschirmen vor ihr. Nicht nur Texte werden direkt vom Monitor abgelesen, auch Beiträge, Werbung und Jingles werden aus dem Computernetzwerk aufgerufen und gesendet — weit und breit ist keine Bandmaschine zu sehen. Schlagzeilen über ein Musikbett sprechen — Knopfdruck — einen kurzen Jingle mit der Sendeerkennung abfahren — Mikrofon auf — Beitrag anmoderieren — Knopfdruck — Beitrag läuft... der Minutentakt läßt keine Verschnaufpause. „Die Gefahr ist, man kommt kaum noch dazu, die Sachen nochmal gründlich durchzulesen“, so Rachel Gelhoff, die sich während ihrer Arbeit als Moderatorin und Redakteurin manchmal schon als „Redaktronikerin“ fühlt. Wichtig ist das Fehlermanagement; gut drei Wochen nach Sendestart sind Pannen noch unvermeidlich. Nach 30 Minuten übergibt sie das Programm an einen Kollegen im Nebenstudio. Dessen halbe Stunde Sendezeit bleibt ihr, um sich auf die nächste Runde als „anchor“ vorzubereiten.
Neuer Arbeitsplatz am „Audiotisch“
Wenig Funkhausromantik herrscht auch in der Redaktion, eine ganze Wand ist mit Bildschirmen gepflastert, über die ein gutes Dutzend Fernsehprogramme flimmern. Der Arbeitsplatz der RedakteurInnen und ReporterInnen ist der „Audio- Tisch“, versehen mit Computer, Mischpult und Mikrofon. An dieser Kreuzung zwischen Computer zur Textverarbeitung und digitalem Hörfunkstudio schwappen die Nachrichtenströme zusammen, die sich aus sieben Pressetickern, zwei Hörfunkagenturen und dem Programmangebot der zwölf Satellitenschüsseln auf dem Dach nähren. Weggefallen ist der wortwörtliche „Schnitt“ von Tonbändern mit Bandscheren und Klebeband. Interviews, O-Töne und Korrespondentenberichte landen statt dessen auf der Festplatte des Computers und werden mit einem Bildschirm-Editor in Sekundenschnelle zurechtgestutzt. Der fertige Beitrag steht für die „anchor“ dann via Netzwerk sofort im Sendecomputer bereit.
Telefonate in Studioqualität
Ein weiterer Quantensprung ist mit der Einführung des ISDN-Telefonnetzes abzusehen, das vor allem wegen der riesigen staatlichen Investitionen umstritten ist. Mittels vergleichsweise preiswerter Zusatzgeräte lassen sich Sprache und Töne im ISDN-Netz mit Hörfunkqualität übertragen — und das von jedem digitalen Telefon aus. Damit geht die Ära der verknartzt-klirrenden Telefonberichte zu Ende, die in ihrer Häufigkeit gerade beim Privatfunk nerven. Das digitale Netz verschafft den Privaten annähernd dieselben Möglichkeiten wie den ARD-Anstalten mit ihrem Standleitungsnetz, allerdings zu einem Bruchteil der Kosten. Via ISDN ist auch der schnelle Programmaustausch mit anderen Stationen für den Preis von Telefoneinheiten zu haben. „Wir sitzen hier auf der High-Tech-Insel und warten aufs Netz“, faßt es Nachrichtenchef Heiner Martin zusammen.
Keine MitarbeiterInnen jenseits von 35
Der Einsatz der Rechenknechte erhöht das Produktionstempo enorm — genauso aber auch den Leistungsdruck. „Jeder jenseits von 35 hält diesen Streß nicht aus; damit wird kaum einer älter“, begründet Chefredakteurin Susanne Matthiesen das niedrige Durchschnittsalter der knapp 30 redaktionellen MitarbeiterInnen. Die Idee eines reinen Nachrichtenkanals hat, wie vieles im kommerziellen Hörfunk, amerikanische Anleihen. „News Talk“-Stationen haben dort ihren festen Platz neben den diversen Musiksendern — und Geld wird damit auch verdient. In Berlin hofft „Info 101“ vor allem durch „Zweitnutzung“ Reichweiten und damit kommerziellen Erfolg einzufahren. Wem das Nachrichtenangebot auf der Lieblingswelle nicht genügt, stillt seinen Hunger nach Aktualitäten mit dem Dauerfeuer auf 101,3 Mhz und schaltet dann wieder zurück, so das Kalkül. Zum Durchhören ist das Programm ohnehin nicht gedacht: Nach einer halben Stunde beginnt die Rotation der Beiträge von vorne. Der Gefahr, daß der Nachrichtenexpreß nicht nur die MitarbeiterInnen, sondern auch die HörerInnen unter Streß setzen könnte, hält Susanne Matthiesen entgegen: „Es gibt einen großen Vorteil. Wir sind vom Musikgeschmack unabhängig. So kriegen wir den Uniprofessor, den Laubenpieper in Köpenick genauso wie den Studenten und die Greise, denen das Musikgedudel ohnehin auf den Keks geht.“
Beiträge nicht länger als zwei Minuten
Eine wesentliche Gemeinsamkeit gibt es allerdings mit den kommerziellen Musikwellen: das strenge „Format“, das Sendeplatz und -länge jedes Programmbestandteils nach einer „Uhr“ festlegt. Ein Wortbeitrag darf auch bei Info nicht die privatfunkübliche Länge von zwei Minuten überschreiten: wenig Zeit für journalistischen Tiefgang. „Ich kann den Leuten nicht mit Fünf-Minuten-Geschichten kommen, sonst denken die, es gibt ja gar nicht ,Nachrichten, wann immer Sie wollen‘. Auch wir können Themen nur anreißen. Für Hintergründe müssen sich die Leute halt eine Zeitung kaufen“, so Susanne Matthiesen.
Eine schnelle Präsentation und die mundgerechte Aufbereitung der Informationshappen soll HörerInnen binden. Egal, wieviele HauptstädterInnen sich von der klassischen Kurznachricht ab- und dem journalistischen Überflug mit „Info 101“ zuwenden, einige DauerhörerInnen hat Susanne Matthiesen bereits ausgemacht: „Der ganze private Hörfunk glotzt auf dieses Projekt, um festzustellen, ob sich damit Geld verdienen läßt. Und wenn ja, wie.“
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