: Eine Stasi-Räuberpistole in D.-Moll
Wie alte Stasi-Seilschaften einen unglaublichen Schatz beiseite schafften, auf einem bewachten Gelände horteten und „schon sehr bald“ nach Belgien bringen wollten/ Stimmt die Geschichte nicht, so ist sie zumindest gut erfunden ■ Von Wolfgang Gast
Berlin (taz) — Es ist lausig kalt in Potsdam-Babelsberg, und das Café am Bahnhof, das der Informant genannt hatte, ist einfach nicht zu finden. War der Anruf eine Finte, der angedeutete Skandal nur eine Ente? Raus aus der S-Bahn, an der Ampel im Caféhaus, hatte der Mann, der sich als Detlev Moll vorstellte, telefonisch hinterlassen. Zwischen 15 und 16 Uhr wolle er dort warten und eine Geschichte erzählen, in der neben Gold und wertvollen Gemälden eine Stasi-Seilschaft die Hauptrolle spiele. Das vereinbarte Erkennungszeichen: eine zusammengerollte taz unter dem Arm. Nach längerer Suche läßt sich das Café schließlich finden — nur heißt es heute anders; aus der einst staatlichen Gaststätte ist ein Privatbetrieb geworden. Dort sitzt er auch. Detlef Moll, die Beschreibung paßt: dunkle Haare, braune Lederjacke, Größe etwa eins achtzig.
Was der Mittvierziger zu berichten hat, klingt geradezu abenteuerlich. Bei einem Kännchen Kaffee und im Flüsterton beschuldigt er sich selber, Mitglied einer großangelegten Konspiration zu sein. Ehemalige Mitarbeiter der Staatssicherheit haben nach seinen Worten zusammen mit alten SED-Funktionären vor Ort einen Schatz auf die Seite geschafft, der in drei Tagen nach Belgien verschoben werden soll. Um Hunderte von Millionen Mark gehe es; genauer um 1,24 Tonnen in Gold und über dreißig wertvolle Gemälde alter deutscher Meister. Er wisse, wovon er rede, schließlich bewache er zusammen mit elf Kollegen seit mehr als 15 Monaten das millionenschwere Diebesgut. Es soll auf einem nahegelegenen und eigens gepachteten Gelände versteckt sein. Auch Waffen seien dort gelagert.
Stimmt auch nur die Hälfte dessen, was Moll berichtet, dann muß es sich um ein ausgemachtes Gaunerstück handeln. Edelmetalle, Gemälde und Waffen — das fällt unter das klassische Repertoire des früheren Chefdevisenbeschaffers und Stasi-Obersts Alexander Schalck- Golodkowski. Potsdam, der Hort einer Stasi-Seilschaft, die einen bislang unbekannten Nachlaß aus Schalcks Imperium „Kommerzielle Koordinierung“ auf eigene Rechnung verscherbeln will?
Detlef Moll will alles beweisen können. Das Gold, führt er aus, wurde schon kurz nach der Wende beiseite geschafft und die Bilder im März diesen Jahres von einer ihm bekannten Speditionsfirma angeliefert. Morgen nacht, wenn er und zwei seiner Kollegen bis sieben Uhr früh Wache schieben, könne er Interessierte mit dem Firmenwagen auf das bewachte Gelände schmuggeln. Gold und Gemälde seien dann zu besichtigen, auch sei man vor unangenehmen Überraschungen sicher, weil sich eventuelle Besucher und andere Firmenmitarbeiter über Funk anmelden müßten. Zu dritt hätten sie beschlossen, den Deal auffliegen zu lassen. Aus Rache, weil man an der Beute nicht beteiligt werde — und, natürlich, gegen eine gewisse finanzielle Vergütung. Wenn sie das geplante Geschäft platzen ließen, müßten sie anschließend für eine gewisse Zeit untertauchen. Und das verursacht Unkosten, „verstehen Sie?“ Der geforderte Preis: 10.000 Mark pro Mann — „für ihre Zeitung rechnet sich das allemal“.
Für die „Aufwandsentschädigung“ wollen Moll und Kollegen handfeste Beweise liefern. Expertisen, die ein Berliner Auktionshaus über die Gemälde angefertigt hat. Diese sind, so der Informant, ebenso in dem gesicherten Objekt gelagert wie auch Verträge, aus denen hervorgeht, an wen die Gemälde verschoben werden. Nur schnell müsse es gehen, sie hätten überraschend den Auftrag erhalten, alles transportfertig zu machen; morgen nacht wäre die letzte Gelegenheit.
Hauptakteure der Konspiration sind Moll zufolge drei Wach- und Schließgesellschaften in Potsdam und Umgebung, allesamt von ehemaligen Stasi-Größen nach der Wende gegründet und von Mitarbeitern des Mielke-Ministeriums durchsetzt. Er selbst sei auch Mitglied „der Firma“ gewesen. Als zuverlässig geltender Stasi-Mann habe man bei ihm und anderen Ehemaligen aus dem Ministerium vor über einem Jahr angefragt, ob er für eine etwas außergewöhnliche Aufgabe zur Verfügung stehe. Bedingung: keine Fragen. Über das Wachmann-Salär hinaus bekommen sie dafür monatlich 2.000 Mark, schwarz natürlich.
So wertvoll, wie der Schatz sein soll, so erlaucht scheint auch der Kreis der Beteiligten: Mit von der Partie sind nach den Worten des Wachmannes der frühere Potsdamer Kripochef, der letzte örtliche Bezirksvorsitzende der SED und ein ehemaliger Offizier im Besonderen Einsatz, der für die Wachleute den Draht zur „Geschäftsspitze“ hält und zu Honeckers Zeiten von der Stasi in die Potsdamer Verkehrspolizei eingeschleust wurde. Ein dichter Filz, der sich da offenbar an den Hinterlassenschaften des SED-Staates bereichern will.
Um Geld geht es aber auch den Abtrünnigen der Wachmannschaft. Um Verständnis werbend („schließlich begehen wir auch einen Vertrauensbruch gegenüber unseren Kollegen“) beharrt Detlef Moll darauf, den finanziellen Rahmen zu klären, das weitere Gespräch sei ansonsten sinnlos. Seine leise Drohung: Es gibt auch andere Medien. Das Treffen im Café geht zu Ende — von Geld war schließlich beim Anruf keine Rede. Das Angebot des Journalisten: ein anderes, vielleicht zahlungskräftigeres Medium einschalten und sehen, ob sich finanziell etwas im gewünschten Sinne regeln läßt. Detlef Moll verspricht, am nächsten Tag in der Redaktion anzurufen, man könne sich ja vielleicht noch einig werden, es gebe Handlungsspielraum.
Pünktlich zur vereinbarten Zeit schellt tags darauf am Vormittag das Telefon. Der Informant will wissen, wie sich die Zeitung entschieden hat. Er drängt, denn seine Kollegen sind, wie er sagt, vom bisherigen Gesprächsverlauf enttäuscht. Er brauche jetzt eine verbindliche Auskunft.
Die angefragten Kollegen vom Fernsehen waren an der Geschichte ausgesprochen interessiert. Aber auch ihnen war klar, daß der geforderte Preis um mindestens das Doppelte zu hoch gegriffen ist. Die Entscheidung, ob man für Informationen überhaupt zahlen will, wird auch hier zur Chefsache erklärt, eine definitive Entscheidung ist daher erst am Nachmittag möglich. Detlef Moll zögert, ist aber offensichtlich bereit, auf das offene Angebot einzugehen. Er will — nach erneuter Rücksprache mit seinen Kollegen — am späten Nachmittag zurückrufen.
Die Zeit zwischen den Telefonaten läßt sich für erste Recherchen nutzen: Die drei genannten Wachfirmen existieren. In Potsdam ist es auch kein Geheimnis, daß sie ein Auffangbecken für ehemalige Stasi- Leute bilden. Die wertvollen Gemälde, hatte Moll behauptet, sollen aus der Staatlichen Kunstsammlung der DDR stammen — die von ihm genannte Transportfirma findet sich ebenso wie das Westberliner Auktionshaus im Telefonbuch wieder. Detail am Rande: Unter den Gemälden soll sich ein Bild des Malers Otto Dix befinden — Kunstexperten bestätigen, daß einige seiner Werke seit Jahren verschollen sind.
Die Mitarbeiter des Fernsehens steigen aber aus. Aus prinzipiellen Erwägungen, denn wenn es tatsächlich um die behaupteten Millionenwerte gehe, sei dies eher ein Fall für die Staatsanwaltschaft.
Das anschließende Telefonat mit Herrn Moll endet abrupt. „Unseriös“ nennt er, daß der Preis für die in Aussicht gestellten Beweise nach der Absage der TV-Mitarbeiter wiederum heruntergehandelt werden soll. Nach längerem Überlegen verspricht er, noch einmal mit seiner Arbeitsgruppe zu reden. Der versprochene Rückruf bleibt aber aus — von Herrn Moll und seinen Kollegen ist danach nichts mehr zu hören.
Bis zuletzt bleiben Zweifel an der angepriesenen Enthüllung. Erst ein Gespräch mit der Arbeitsgruppe Regierungskriminalität der Berliner Kripo führt zu einer überraschenden Wende. Dort sind zwei Vorgänge bekannt: Im Fall eines privaten Berliner Rundfunksenders hatten Unbekannte eine annähernd ähnlich brisante Geschichte offeriert. Gegen viel Geld wurde den Privatfunkern zugesagt, eine „inoffizielle Auktion“ der Millionenbilder auffliegen zu lassen. Am vereinbarten Treffpunkt war dann allerdings niemand. Auch eine andere Zeitung wurde mit einer gleichlautenden Story über den Tisch gezogen. Für die versprochenen Exklusivinformationen hatten die Zeitungsmacher einen fünfstelligen Betrag aufgewendet. Vielleicht ist Detlef Moll gar kein Stasi-Mitarbeiter gewesen. In der Liste der 97.000 Mitarbeiter ist sein Name jedenfalls nicht verzeichnet. Unter seinem richtigen Namen könnte er allerdings nochmals zu Geld kommen. Er könnte ja einen Krimi draus machen.
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